02 - Die Schuldenbremse lockern

Deutschland muss investieren. Doch woher soll das dafür notwendige Geld kommen? Entweder Steuern erhöhen – oder die Schuldenbremse lösen und Kredite aufnehmen.

Das Brandenburger Tor von vorne

Artikel 109, Absatz 3 Grundgesetz. Da steht sie, die Schuldenbremse, ziemlich weit hinten in der Verfassung und auch erst spät (2009) hinzugekommen. Zusammengepfercht auf 130 Wörter umständliche Juristenprosa, aber die haben es in sich. Tatsächlich überschattet die Schuldenbremse immer mehr Politikbereiche. Wegen Corona war sie für ein paar Jahre suspendiert. Aber jetzt gilt sie wieder. Erinnern Sie sich an das Hickhack bei der Erstellung des Haushalts für 2024? Der bittere Koalitionsstreit um die Kindergrundsicherung. Einsparungen im Digitalbudget. Kürzungen bei Freiwilligendiensten. All das hat indirekt mit der Schuldenbremse zu tun.

Aber der Reihe nach. Was ist die Schuldenbremse eigentlich? Im Grundgesetz steht: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Es gibt zwar ein paar Sonderregeln, etwa bei schweren Schocks wie Naturkatastrophen, aber im Grunde besagt die Schuldenbremse: „Keine Haushaltsdefizite und keine neuen Schulden. Basta!“

Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer

Fairerweise muss man sagen, dass die Schuldenbremse Deutschland gut gedient hat.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW und Leiter des Bereichs LBBW Research

Fairerweise muss man sagen, dass dieses Regelwerk Deutschland gut gedient hat. Im Gegensatz zu fast allen anderen Industrienationen liegen die Staatsschulden 2023 in Deutschland bei 66 Prozent des Inlandsprodukts – ungefähr dort, wo die Quote auch vor der Finanzkrise lag. Für die G7-Staaten insgesamt haben sich die Schulden der Regierungen um über 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) vermehrt auf 128 Prozent des BIP! Also alles richtig gemacht, oder? Bisher eigentlich schon.

Grafik zu stagnierenden öffentlichen Investitionen

Die Schuldenbremse als Wachstumsbremse

Jetzt droht die Schuldenbremse zur Wachstumsbremse zu werden. Denn in den nächsten Jahren kommen erhebliche Mehrbelastungen auf die öffentliche Hand zu. Da sind zunächst die rasant steigenden Zinsausgaben zu nennen. Über die kommende Dekade können da jährliche Mehrbelastungen von 1 bis 1,5 Prozent des BIP anfallen. Dann ein knappes Prozent des BIP mehr für Verteidigung. Denn wir haben ja versprochen, endlich ernst zu machen mit den NATO-Vorgaben. Nach Schätzung der EU-Kommission dürften nochmal mindestens 1,5 Prozent des BIP für Rente, Pflege und Gesundheit dazukommen. Und dann natürlich die lange liegengebliebenen Investitionen in Infrastruktur, Energiewende, Digitalisierung und Bildung. Seit der Finanzkrise betrugen die öffentlichen Investitionen hierzulande nur durchschnittlich 2,3 Prozent des BIP.

Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer

In den nächsten Jahren kommen erhebliche Mehrbelastungen auf die öffentliche Hand zu.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW und Leiter des Bereichs LBBW Research

Alles zusammen macht das an zusätzlichen Ausgaben grob 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Nicht über Nacht, aber vielleicht bis 2030. Eine solche Größenordnung kann nicht anderswo eingespart werden. Unmöglich! Konsens vorausgesetzt, dass wir die obengenannten Vorhaben alle umsetzen müssen, wenn Deutschland seine wirtschaftliche Stärke und Stabilität behalten soll, geht es ohne eine Lockerung der Schuldenbremse nicht. Denn wir wissen ja, wo gespart wird, wenn die öffentlichen Finanzen klamm werden: wie üblich bei den Investitionen. Genau die sind aber notwendig, damit sich Deutschland nachhaltig aus der Wachstumskrise befreien kann.

Kredite aufnehmen oder Steuern erhöhen?

Natürlich wird hier keiner enthemmten Verschuldung das Wort geredet. Aber wir müssen der nackten arithmetischen Realität ins Gesicht blicken. Zusätzliche Ausgaben können nur gestemmt werden, wenn man sich zuvor mehr Geld beschafft hat. Entweder durch Kreditaufnahme oder durch höhere Steuereinnahmen. Wer sich einer moderaten Neuverschuldung (etwa für bestimmte Investitionen) verweigert, muss die Steuern erhöhen. Beides zugleich abzulehnen, ist leider nicht möglich. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds ist das Thema noch dringlicher geworden, denn nun fehlen 60 Milliarden Euro. Die Zeit für Pragmatismus ist gekommen.

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