Wechselkurse sind Sensibelchen.

Der Euro hat im Vergleich zu den Tiefstständen 2022 fast 20 Prozent zugelegt. Schlimm für die deutsche Exportwirtschaft? Fragen an LBBW-Chefökonom Moritz Kraemer.

Statue mit Eurozeichen vor Hochhäusern

LBBW Standpunkt: Ziemlich genau ein Jahr lang war der Euro im Vergleich zum Dollar schwach, rutschte im Herbst 2022 sogar deutlich unter die 1:1-Parität. Jetzt ist er wieder stark. Herr Kraemer, gibt es Erklärungen dafür?

Moritz Kraemer: Ja, klar. Der wichtigste Grund sind die unterschiedlichen Zinserwartungen in den USA und Europa. Während die Märkte davon ausgehen, dass die US-Notenbank Fed bereits am Ende ihrer Phase von steigenden Zinsen ist, erwarten wir in Europa noch drei eher kleinere Schritte im laufenden Jahr durch die Europäische Zentralbank, die EZB. Wechselkurse, das wissen wir seit langem, sind Sensibelchen und reagieren auf solche Szenarien sofort.

LBBW Standpunkt: Und liegt das vor allem daran, dass die Federal Reserve viel früher angefangen hat, die Leitzinsen zu erhöhen?

Kraemer: Auch. Aber vor allem liegt es daran, dass sich in den USA Sorgen breit machen, die US-Wirtschaft könnte gegen Jahresende möglicherweise in eine Rezession abrutschen.

LBBW Standpunkt: Und da sind hohe Zinsen Gift?

Kraemer: Sie helfen zumindest nicht. Die Wirkung von Leitzinsen strahlt ja bis in das Konsum- und Verbraucherverhalten von Industrie und Privathaushalten hinein. Fallen die Zinsen, gibt das in der Regel einen Schub für die Konjunktur. So sagt es zumindest das Lehrbuch.

Dr. Moritz Kraemer Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs Research

In den USA machen sich Sorgen breit, die US-Wirtschaft könnte gegen Jahresende möglicherweise in eine Rezession abrutschen.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW

LBBW Standpunkt: In den USA werden Schulden wieder zum Thema. So wie seinerzeit, als Senat und Kongress den Haushalt von Präsident Barack Obama nicht passieren ließen und die USA damit kurz vor der Zahlungsunfähigkeit standen.

Kraemer: Das stimmt, diese Befürchtungen gibt es. Auch das macht den Dollar derzeit nicht zwingend zu einem Paradies für Anleger. Aber noch ist das nur ein Drohszenario. Man wird sehen und abwarten müssen, wie sich Demokraten und Republikaner im Laufe des Jahres verhalten werden.

LBBW Standpunkt: Im Lehrbuch steht auch, dass starke Währungen immer auch die Industrie – vor allem die Exportindustrie – belasten, weil die Ausfuhren teurer werden. Machen Sie sich wegen des starken Euro Sorgen um den Exportweltmeister Deutschland?

Kraemer: Nein. Die deutsche Industrie ist robust aufgestellt. Zudem hat die übertriebene Euro-Schwäche im vergangenen Jahr viele Geschäfte beflügelt. Und, die deutsche Industrie lebt wie kaum eine zweite Volkswirtschaft von Vorprodukten und Rohstoffen. Und die werden derzeit deutlich billiger. Mit anderen Worten: Auf der Einkaufsseite ist Entlastung angesagt, auf der Verkaufsseite ein wenig Anspannung.

LBBW Standpunkt: Nach Covid und Krieg, nach Inflation und Fachkräftemangel jetzt das nächste Sorgenkind?

Kraemer: Sie haben die Energiekrise vergessen. Der Krieg ist nach wie vor verheerend und die Auswirkungen schlimm. Der Arbeitsmarkt ist für die Unternehmen eine kleine Katastrophe. Die Inflation wird sich im Lauf des Jahres wieder beruhigen. In Summe bleibt die Situation aber schwierig. Und ein dauerhaft starker Euro hilft da sicher nicht.

Der Euro steht jetzt da, wo er gemessen an der Wirtschaftskraft Europas auch hingehört.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW
Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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LBBW Standpunkt: Sie gehen von einem langfristig starken Euro aus?

Kraemer: Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich die Wechselkurse in absehbarer Zeit deutlich verändern oder – im Sinne der deutschen Unternehmen – verbessern. Die derzeitigen Zinserwartungen sind nun voll eingepreist. Nur wenn die EZB noch falkenhafter als gedacht zu Werke geht, dürfte es weiteren Aufwertungsdruck geben.

LBBW Standpunkt: Also keine Entwarnung?

Kraemer: So schlecht ist die Lage nicht. Vor allem, weil sich die diversen Weltuntergangsszenarien des vergangenen Jahres nicht bewahrheitet haben. Der ifo-Geschäftsklimaindex ist jetzt zum fünften Mal in Folge gestiegen. Das heißt zwar noch nicht, dass die Unternehmen mit voller Hoffnung in die Zukunft sehen, aber sie sind deutlich weniger pessimistisch als noch in 2022.

LBBW Standpunkt: Wie wichtig ist eigentlich der Wechselkurs des Euro gegenüber der anderen Weltwährung – des chinesischen Renminbis?

Kraemer: Ziemlich unbedeutend. Die chinesische Währung wird staatlich gemanagt. Einen freien und fairen Wechselkurs gibt es also nicht. Zwar gewinnt der Renminbi immer mehr an Bedeutung im Welthandel, aber das betrifft fast ausschließlich den Handel zwischen China und Russland. Oder den Handel zwischen China und anderen Schwellenländern. Für Europa und die deutsche Industrie gibt es nur eine wichtige Wechselkursrelation und die ist die zum US-Dollar. Und ich sage Ihnen noch was: Der Euro steht jetzt da, wo er gemessen an der Wirtschaftskraft Europas auch hingehört.