07.07.2025
Die Regierung Merz legt los
Halbjahresausblick 2025 | Die Finanzpolitik der schwarz-roten Koalition nach dem Motto „viel hilft viel“ scheint über das Ziel hinauszuschießen.


Halbjahresausblick 2025 - Wirtschaftspolitik
- Koalitionsvertrag: besser als gedacht, schlechter als gehofft
- Wachstumsbooster hilft Investitionen
- Alles hängt an den Einnahmen
- Deutschland verfehlt die EU-Defizitregeln
- Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
Im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl verwiesen seine Befürworter häufig und gerne auf die vermutete Wirtschaftskompetenz des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Sie dürfte den Mangel an Regierungserfahrung ohne weiteres wettmachen. Nun ist aus dem Kandidaten Merz der Kanzler Merz geworden. Das Team des LBBW Research hat den Koalitionsvertrag von Union und SPD entsprechend einmal genauer unter die Lupe genommen und nach Wachstumseffekten abgeklopft.
Der erste Eindruck des Regierungsprogrammes ist durchaus positiv. Auf einer Skala von Null (ein identifizierter Wachstumsengpass wird nicht im Koalitionsvertrag erwähnt oder wird berührt aber mit wachstumsschädlichen Vorhaben) bis 4 (zentrale Leitplanke des Koalitionsvertrages mit plausiblen Details), erhält das Regierungsprogramm von den LBBW Analysten eine durchschnittliche Bewertung von 2,5. Das hört sich nicht nach dem großen wirtschaftspolitischen Wurf an. Und das ist es auch nicht. Trotzdem ist die Bewertung besser als zu erwarten gewesen wäre. Denn die Wahlprogramme der Koalitionsparteien waren, wenn überhaupt, noch schwächer (siehe Abb. 1). Mit anderen Worten: Es ist den Verhandlern gelungen, dass der Kompromiss besser ist als die Summe der Teile. Jedenfalls mit Blick auf die zu stimulierende Wachstumsdynamik. Alles in allem ist der Koalitionsvertrag deshalb besser als zu erwarten gewesen wäre, aber er ist nicht so gut wie im Stillen gehofft.
Abb. 1: Bewertung Koalitionsvertrag und Parteiprogramme
Die Abbildung zeigt, dass der Koalitionsvertrag insbesondere im Politikfeld „staatliches Handeln“ (also Steuer- und Regulierungspolitik sowie Stärkung von Arbeitsanreizen) die nach Lektüre der Wahlprogramme gebildeten Erwartungen übertraf. Ähnliches könnte man auch für Maßnahmen zur Überwindung des risikoaversen deutschen Mindsets sagen. Aber hier liegt die Overperformance vor allem an den sehr niedrigen Erwartungen. In diesem Zusammenhang waren die unnötigen Wahlgeschenke wie Erhöhung der Pendlerpauschale, Ausweitung der Mütterrente und Wiedereinführung des verbilligten Agrardiesels symbolisch. Solche Maßnahmen fördern die Erwartung bei Bürgerinnen und Bürgern, dass der Staat für ihr wirtschaftliches Wohl zu sorgen habe. Es unterwandert Eigenverantwortung und flexible Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse.
Positiv hingegen ist beispielsweise einzuordnen, dass es den Menschen finanziell schmackhafter gemacht wird, auch nach Eintritt in den Ruhestand weiterzuarbeiten. Das kann dazu beitragen, den Arbeitskräftemangel im Land etwas zu mildern. Ebenfalls hoffnungsfroh stimmen die maßvollen Entlastungen bei der Unternehmensbesteuerung im Rahmen des sogenannten Wachstums-Boosters. Die Kombination aus der Super-AfA (Abschreibung für Abnutzung) von 30 % und der geplanten Körperschaftssteuersenkung schafft attraktivere Rahmenbedingungen für Investitionen. Insbesondere bei kapitalintensiven Projekten dürfte sich ein spürbarer konjunktureller Impuls ergeben. Ob diese Maßnahmen wirklich zusätzliche Investitionen generieren kann statt nur kostspielige Mitnahmeeffekte, wird sich erst noch zeigen. Die sich aufhellende Stimmung bei den Unternehmen, wie sie sich etwa im ifo-Index widerspiegelt, gibt Anlass zu Optimismus.
Der wichtigste Satz im Koalitionsvertrag…
…steht auf Seite 51: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Das heißt nichts anderes als dass sich die Koalition viel vorgenommen hat, wenn aber die Steuereinnahmen spärlicher als erhofft fließen, drohen diese Pläne allesamt zu Makulatur zu werden. Da die Haushaltslage schon heute angespannt ist, wird es nur eine Frage der Zeit sein, wann der Finanzierungsvorbehalt zuschlägt. Es wird also einen Kampf um knappe Ressourcen geben. In einem solchen Knappheitsszenario dürfte die demonstrativ zur Schau getragene Geschlossenheit der Koalitionspartner unter Druck geraten. Dann wird es auf den Kanzler ankommen, auszugleichen und Prioritäten zu setzen. Merz hat sich bislang aber eher als „Außenkanzler“ präsentiert und sich nicht erkennbar um wirtschafts- oder finanzpolitische Belange gekümmert. Sollte es erneut à la Ampel zu offenen Streitereien zwischen den Koalitionären kommen, dürfte das Vertrauen in einen Neustart auch bei der Unternehmerschaft Schaden nehmen. Freuen könnten sich über einen solchen Ausgang eigentlich nur die populistischen Ränder des politischen Spektrums.
Finanzpolitik mit Vollgas
Der Hauptgrund, weshalb das Koalitionsprogramm die Erwartungen unserer Analysten übertraf, lag in den aggressiveren Plänen, die immer maroder werdende Infrastruktur wiederherzustellen. Das ist durch die noch rasch vom alten Bundestag beschlossene Verfassungsänderung und die damit ermöglichte Einrichtung eines Sondervermögens von 500 Mrd. EUR realisierbar geworden. Das war wichtig und richtig, denn die Infrastruktur ist schleichend zu einem Wettbewerbsnachteil für Deutschland geworden.
Allerdings wirft die im Juni veröffentlichte mittelfristige Finanzplanung der Regierung große Fragen auf. Es entsteht der Eindruck, als wolle die schwarz-rote Regierung mit aller Macht in möglichst kurzer Zeit möglichst große Summen bewegen. Und zwar nicht nur für Infrastruktur, sondern auch, ja vor allem, für Verteidigung. Bereits 2025 soll die Nettoneuverschuldung des Bundes inklusive Sondervermögen auf 143 Mrd. EUR ansteigen. Das wären mehr als 3 % des Sozialprodukts. Von nächstem Jahr an wird sich die Nettoschuldenaufnahme des Bundes dann planmäßig zwischen 3,5 % und 4 % des BIP einpendeln. Inklusive der zu erwartenden Defizite von Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen dürfte der gesamtstaatliche Fehlbetrag noch höher ausfallen. Dass es der Regierung in der Praxis angesichts übermäßig bürokratischer Planungs-, Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren operativ schwerfallen dürfte, Investitionen und Rüstungsausgaben im geplanten Ausmaß tatsächlich auszuweiten, tröstet dabei nur wenig.
Abb. 2: Staatsschulden
in % des BIP
Berechnungen des LBBW Research auf Basis von BMF und IWF. Annahme des jährlichen Defizits von Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen von 1%.
Falls die mittelfristige Finanzplanung tatsächlich in der avisierten Form zum Tragen käme, dürften die Schulden rascher ansteigen, als wir das bislang erwartet hatten (siehe Abb. Abb. 2). Insbesondere die schuldenfinanzierten Rüstungsausgaben generieren keinen zukünftigen Cash-Flow, der die Bedienung der Anleihen erlauben würde. Wir sehen zwar keiner ausufernden Verschuldung entgegen, aber der Trend ist dennoch beunruhigend. Die Finanzpolitik der schwarz-roten Koalition nach dem Motto „viel hilft viel“ scheint über das Ziel hinauszuschießen.
Von: Dr. Moritz Kraemer
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