30.03.2023

Was die Preisrally beim CO₂-Preis für Unternehmen bedeutet

Der Preis pro Tonne ausgestoßenem CO₂ hat kürzlich die 100-Euro-Schwelle durchbrochen. Welche Folgen hat diese Entwicklung für Unternehmen – und wie geht es weiter?

Windrad mit Rapsfeld im Vordergrund und Atomkraftwerk im Hintergrund
Windrad mit Rapsfeld im Vordergrund und Atomkraftwerk im Hintergrund
  • Das reduzierte Angebot an Emissionszertifikaten lässt den Preis für CO₂-Zertifikate spürbar steigen.
  • Die steigenden Kosten geben die Erzeuger an Unternehmen und Verbraucher: die Strompreise steigen.
  • Zugleich sind die steigenden Preise für CO₂-Zertifikate ein Anreiz, auf erneuerbare Energien umzusteigen.
  • Kurzfristig können die Preise wieder sinken – verlassen darauf sollten sich weder Verbraucher noch Unternehmen.

Viele Jahre lang dümpelten die Notierungen der CO₂-Zertifikate im EU-Emissionshandel (EU ETS) vor sich hin. Noch vor fünf Jahren mussten die zur Teilnahme verpflichteten Unternehmen dafür nicht einmal 10 Euro zahlen. Seitdem die EU-Kommission ihr „Fit for 55“-Programm vorgestellt hat, geht es jedoch steil nach oben. 2022 kratzte der Kurs der Tonne CO₂ einige Male an der 100-Euro-Schwelle – die er im Februar und März 2023 dann mehrfach durchbrochen hat. Was ist der Grund für diese rasante Entwicklung?

Die Reform des EU ETS, 2021 vorgeschlagen und Ende 2022 beschlossen, zeigt Wirkung: EU-Kommission und -Parlament sowie Europäischer Rat als Vertretung der Mitgliedsstaaten haben entschieden, die Menge der ausgegebenen CO₂-Emissionszertifikate weit stärker zu verringern als das bis dato vorgesehen war. Das reduzierte Angebot lässt die Preise steigen.

Dazu kommt, dass sich die Konjunktur in der EU zuletzt recht robust gezeigt hat. Für 2023 erwartet die EU-Kommission gar ein stärkeres Wachstum als bislang erwartet. Damit nimmt die Nachfrage nach Emissionsrechten zu. Ein weiterer Faktor: Angesichts hoher Gaspreise und der witterungsbedingt geringeren Erträge von Windrädern und Photovoltaikanlagen haben Kohlekraftwerke zuletzt mehr Strom erzeugt. Weil sie sehr viel CO₂ ausstoßen, benötigen die Betreiber entsprechend große Mengen an Emissionsrechten.

Hohe Zertifikatspreise lassen Stromkosten steigen

Die Preisrally am CO₂-Zertifikatemarkt schlägt sich in den Strompreisen nieder, da die nötigen Emissionsrechte in die Erzeugungskosten eingepreist werden. Darunter leiden industrielle und gewerbliche Verbraucher genauso wie Haushalte – auch wenn die Strompreisbremse des Bundes und andere Maßnahmen die Belastung etwas abfedern.

Industriebetriebe haben die Möglichkeit, die Wind- und Solarenergie als Kostendämpfer zu nutzen – durch direkte Abnahmeverträge (PPA) mit Betreibern von Ökokraftwerken.

Zugleich setzen die hohen Zertifikatskosten einen Anreiz, in erneuerbare Energien zu investieren. Das wiederum dürfte die Preise an den Strombörsen zumindest mittel- bis langfristig sinken lassen. Und: Industriebetriebe haben schon heute die Möglichkeit, die Wind- und Solarenergie als Kostendämpfer zu nutzen – durch direkte Abnahmeverträge (Power Purchase Agreements, kurz PPA) mit Betreibern von Ökokraftwerken. Die EU-Kommission will im Zuge der anstehenden Strommarktreform die Bedingungen für PPA verbessern, so dass auch kleinere Unternehmen von dem Modell profitieren können.

Klimaschutzinvestitionen werden attraktiver

Die teuren Zertifikate treiben die Kosten der Industrie noch auf eine andere Weise: Die Unternehmen müssen für den CO₂-Ausstoß ihrer Produktionsanlagen Emissionsrechte vorweisen. Zwar erhalten Betriebe, die im globalen Wettbewerb stehen, kostenlose Zertifikate; die Menge bemisst sich jedoch nach Effizienz-Benchmarks. Wer Anlagen betreibt, die in dieser Hinsicht nicht auf dem neuesten Stand der Technik sind, muss also Emissionsrechte zukaufen.

Die hohen Preise bedeuten im Umkehrschluss aber auch, dass sich Investitionen zur Emissionsminderung schneller amortisieren. Zudem werden künftig mehr staatliche Fördermittel für Klimaschutzmaßnahmen der Industrie bereitstehen – die Töpfe werden mit Einnahmen aus dem Zertifikatehandel gefüllt.

Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber: „Wir tun nicht genug gegen den Klimawandel“

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Politischen Druck, um den Klimawandel aufzuhalten, hält Prof. Hans Joachim Schellnhuber für unerlässlich. Den reformierten CO₂-Emissionshandel bewertet der Gründer der Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung im Talking-Transformation-Interview der LBBW positiv: „Ich habe mehr Hoffnung als vor zehn Jahren, dass wir die Kurve noch kriegen.“

Preisdeckel in der Diskussion

Wie geht es weiter mit den CO₂-Zertifikatspreisen? Kurzfristig könnte der Kurs durchaus wieder etwas sinken. Denn die EU hat im Februar 2023 beschlossen, den Verkauf von Zertifikaten im Wert von etwa 20 Milliarden Euro vorzuziehen. Die Mittel sollen für die europäische Energiewende eingesetzt werden.

Auf mittlere und längere Sicht hängt die Preisentwicklung vor allem davon ab, wie stark Stromversorger und Industriebetriebe ihre Emissionen reduzieren werden. Auch die Handelsstrategien der Marktteilnehmer spielen eine Rolle, ebenso die allgemeine Konjunkturentwicklung. Eine seriöse Prognose ist hier kaum möglich.

Gewiss ist nur eines: Sollten sich die Notierungen für CO₂-Emissionen dauerhaft über der 100-Euro-Marke einpendeln, wird in der EU eine Debatte über einen Preisdeckel zum Schutz der industriellen wie privaten Stromverbraucher beginnen. Bereits im vergangenen Jahr hatten Spanien und Polen ein solches Instrument ins Spiel gebracht – damals noch ohne Erfolg.

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