04.08.2022
Tokenisierung im Emissionshandel – EU muss Normen schaffen
Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research, über Kryptowährungen und CO₂-Zertifikate, die in einer Blockchain gespeichert werden.
CO₂-Zertifikate für den freiwilligen Emissionsausgleich, die in einer Blockchain gespeichert werden und so als umweltfreundliches Anlageobjekt dienen – das klingt zunächst nach einer interessanten Innovation für alle Anleger. Allerdings kommt dies auch zu einer Zeit, in der es viele Stimmen gibt, die vor Krypto-Assets warnen.
Über die Verschmelzung der Märkte der Kryptowährungen und des Emissionshandels haben wir uns mit Dr. Guido Zimmermann ausgetauscht, der sich seit 2007 als Senior Economist bei der Landesbank Baden-Württemberg mit Makroökonomik und der Digitalisierung beschäftigt.
LBBW: In den vergangenen Wochen waren Kryptowährungen wegen eines stark volatilen Kursverlaufes in aller Munde. Auch Tokenisierung und Blockchain wurden diskutiert. Wie lassen sich diese Themen mit dem Emissionshandel der EU verknüpfen?
Dr. Zimmermann: Zuerst müssen wir sehen, über welche Art von Blockchain wir hier reden. Ist damit eine öffentliche Blockchain gemeint wie Ethereum oder andere, die auf dem Proof of Work (PoW) Konsensmechanismus basieren und die sehr energieintensiv sind? Dann wäre das mit dem Emissionshandel nicht vereinbar, das würde dem Gedanken widersprechen.
Interpretiert man aber Blockchain als eine Distributed Ledger Technologie (DLT, verteiltes Kontenbuch) mit Zugangsbeschränkung, dann ist sie einfach eine dezentral verteilte Datenbank mit Automatisierungsmöglichkeiten, die sehr wohl eine Rolle im Emissionshandel spielen kann. Denn bei einer derartigen „Blockchain“ mit Zugangsbeschränkungen haben EU oder andere Akteure zusammen mit den Banken die Kontrolle darüber. Daher benötigt man auch nicht den sehr energieintensiven Validierungsprozess von Transaktionen und Daten, der bei einer öffentlich zugänglichen Blockchain notwendig ist.
In diesem Sinnen versteht das auch die EU. Sie hat verschiedene Initiativen zum Thema Blockchain gestartet, zumeist als DLT. Aber noch ist nicht ganz klar, ob es zukünftig nicht auch eine kontrollierte Schnittstelle der Systeme von EU und Banken zu öffentlichen Blockchains, die in Zukunft weniger energieintensiv als heute sein dürften, geben wird. Das wird die nächste Zeit zeigen.
LBBW: Aber sind wir in der EU überhaupt schon so weit? Die Einführung des digitalen Euro ist in weiter Ferne. Können wir das tatsächlich so umsetzen, dass Emissionen in der Zukunft mit einer Blockchain? gehandelt werden?
Dr. Zimmermann: Die Einführung des digitalen Euros ist eine der Schlüsselfragen. Und zwar deshalb, weil die Zukunft der Industrie eine Maschinenökonomie sein wird. Jede Maschine hat dann eine eigene Identität und kann daher einen automatisierten Zahlungsprozess auslösen. Genau dafür brauchen wir eine digitale Währung. Und mit dem digitalen Euro hätte man keine Kontrahenten-Risiken mehr. Stellen Sie sich vor Daimler oder die Reederei Maersk würden eine eigene Coin auf den Markt bringen, dann wäre in diesen Coins das jeweilige Emittenten- bzw. Kreditrisko dieser Unternehmen enthalten Mit dem digitalen Euro der EZB entfällt das Kredit- und Kontrahenten-Risiko. Er würde vieles beflügeln, weil sonst ein Wildwuchs von digitalen Währungen entstehen könnte, ähnlich den Verhältnissen in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts als tausende von Banken emittierte unterschiedliche Banknoten im Umlauf waren. Das änderte erst 1865 der National Banking Act. Wir sind im Blockchain Bereich in einem ähnlichen Stadium wie Mitte des 19. Jahrhunderts: Wir haben 5.000 bis 6.000 Kryptowährungen, aber keine offizielle digitale Währung.
Die Technologie kann Investoren Sicherheit geben, dass als grün deklarierte Finanztitel wirklich grün sind.
Nun zu Ihrer Frage, ob Emissionen in der Zukunft tatsächlich mit einer Blockchain gehandelt werden können? Ja, das geht – es hängt aber natürlich immer von den Umständen ab. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, quasi die „Zentralbank der Zentralbanken“, hat ein Projekt „Genesis“, bei dem es um Blockchain-basierte Green Bonds geht. Die Blockchain dient dazu, die über Sensoren erfassten Daten von Windparks zu speichern und Anteile bzw. von dem Windparkbetreiber emittierte Anleihen an Kleininvestoren zu verkaufen. Das Beispiel zeigt, wenn Standards über das tatsächliche „Grün“ einer Emission existieren, die ESG-Daten zur Nachhaltigkeit gemessen werden können und in der Blockchain gespeichert werden und die Blockchain selbst keinen hohen Energieaufwand hat, so kann die Technologie den Investoren Sicherheit geben, dass als grün deklarierte Finanztitel wirklich grün sind und kein „Greenwashing“ betrieben wird. Die Technologie ermöglicht es dann im Prinzip auch Kleininvestoren, sich über den Kauf von Tokens an illiquiden Projekten der Energiewende zu beteiligen.
LBBW: Kritiker dieser Technologie sagen, dass unter Umständen minderwertige Zertifikate gehandelt werden könnten - beispielsweise Zertifikate von Umweltsündern, die sonst keiner anfassen würde. Was ist an den Vorwürfen dran?
Dr. Zimmermann: Der erste Use Case einer Blockchain ist, dass man eine dezentralisierte Datenbank hat. Wenn man Unsinn in diese Datenbank einspeist, dann kommt auch Unsinn heraus. Leider wurden im Handel mit den Emissions-Zertifikaten noch keine Standards entwickelt, die für alle auf den freien Märkten gehandelten Zertifikate gelten. Auch gibt es einen Wildwuchs von Ratings im ESG (Environment, Social, Government)-Bereich. Und dann kann es passieren, dass die Standards für Zertifikate in Märkten für den freiwilligen Handel derselben so weich sind, dass die Gefahr besteht, dass „schlechte“ Zertifikate in die Datenbank, genannt Blockchain, gesteckt werden. Die Blockchain kontrolliert ja nicht die Qualität des Inhalts und hinterher kann es nicht mehr geändert werden. Es ist es eine Frage der Anreize für Betreiber der Datenbank und Anbieter der Zertifikate, ob sie schlechte Zertifikate in den Datenbanken speichern oder nicht.
LBBW: Müssen wir dann nicht in der EU erstmal unsere Hausaufgaben machen und für vernünftige Standards und Regularien sorgen?
Dr. Zimmermann: Auf jeden Fall muss die EU die Standards schärfen. Es müssen Normen wie im Markt für Staatsschulden geschaffen werden. Ein AAA-Rating von Fitch oder S&P ist eine Norm, die jeder nachvollziehen kann. Solange diese Standards im Markt der Zertifikate nicht etabliert und fixiert sind, existiert ein Anreiz für Greenwashing, ob nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt.
LBBW: Wenn das System mal läuft, wer wird investieren? Die privaten Anleger oder die großen Institutionen?
Dr. Zimmermann: Ich habe mir einfach mal zwei Tokens, die in diesem Markt eine Rolle spielen wollen, angeschaut: KlimaDAO und Toucan. KlimaDAO steht derzeit bei fast 100 Prozent Verlust und Toucan, nach den letzten Schwankungen, bei 60 Prozent Verlust. In beiden Fällen haben sich sowohl private und vielleicht auch institutionelle Anleger an einem sehr unsicheren Spekulationsobjekt beteiligt. Die Korrelation zwischen dem Krypto-Markt und solchen - hoch illiquiden Tokens ist sehr, sehr hoch. Das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Es muss eine scharfe Regulierung kommen, sowohl was die Steuerung an den Finanzmärkten betrifft (mit Emissionen wird ja gehandelt), als auch seitens der Umwelt – oder Nachhaltigkeitsbehörden. Ohne Standards wird es eher ein spekulatives Anlageobjekt für private Investoren sein und bleiben, denn die institutionellen Anleger brauchen immer einen regulatorischen Rahmen. Wenn die Standards erstmal da sind, dann kann ich mir das auch für institutionelle Anleger vorstellen. Das dürfte aber auch noch eine sehr lange Zeit dauern.
Ohne Standards wird es eher ein spekulatives Anlageobjekt für private Investoren sein und bleiben, denn die institutionellen Anleger brauchen immer einen regulatorischen Rahmen.
LBBW: Was muss im nächsten Jahr passieren, um auf den richtigen Weg zu kommen?
Dr. Zimmermann: Ich glaube, dass der Blockchain-Handel von Zertifikaten durch den Krypto-Crash für das nächste halbe Jahr verbrannt ist. Wenn jetzt die US-Notenbank die Zinsen weiter erhöht, dürften alle Blockchain-basierten Produkte leiden. Und das unabhängig davon, welchen individuellen Nutzen sie versprechen. Meiner Meinung nach ist das im Augenblick nicht der beste Zeitpunkt, solche Projekte zu starten.
Mittelfristig kann es funktionieren, wenn die ESG-Standards hart und fest verankert sind und jeder nachvollziehen kann, was wirklich nachhaltig ist. Die Produkte müssen vergleichbar und liquide sein. Diese Liquidität gibt es nur mit einem regulatorischen Rahmen. Wir brauchen Standards und anschließend Regulierungen. Erst dann gehen die Institutionellen rein. Auch haben erst mit einer entsprechenden Regulierung die privaten Anleger die nötige Sicherheit zu investieren. Aber wir sprechen hier von Jahren. Im Augenblick hat die EU andere Probleme als Blockchain-basierte Nachhaltigkeitszertifikate.