13.09.2023

Künstliche Intelligenz im Unternehmen – auch eine Frage der Organisation

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz kann die Produktivität in Unternehmen steigern. Aber er wirft auch viele Fragen auf. LBBW Research hat sie untersucht.

Mann steht mit Laptop vor Roboter
Mann steht mit Laptop vor Roboter

„Das konnte ich ja nicht wissen.“ So oder so ähnlich hat es wahrscheinlich jede Führungskraft schon einmal von einer oder einem Mitarbeitenden zu hören bekommen, wenn es darum ging, einen Fehler zu rechtfertigen. Folgt man den Befürwortenden des Einsatzes generativer Künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen, könnte es mit solchen „Ausreden“ bald vorbei sein. Denn gefüttert mit gewaltigen Datenmengen könnte generative KI, abgeleitet vom englischen „Artificial Intelligence“ auch kurz „GenAI“ genannt, schon bald die Antwort auf jede erdenkliche Frage geben. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn auch GenAI ist nicht unfehlbar. Das geben selbst die Entwicklerinnen und Entwickler des wohl bekanntesten GenAI-Chatbots ChatGPT unumwunden zu. Das hinter der aktuellen ChatGPT-Version stehende Computer- bzw. Sprachmodell GPT-4 könne es in Sachen akademischer Benchmarks, etwa Zugangstests für Universitäten, bereits mit Menschen aufnehmen, heißt es auf der Homepage von OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT. In Bezug auf weniger theoretische Alltagssituationen sei es hingegen oft weniger fähig, räumen die Entwickler ein.

Wie also könnte der Kollege KI künftig in bestehende Unternehmensstrukturen eingebunden werden? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die scheinbar allwissenden Algorithmen versagen? Und nimmt die KI womöglich bald auch am Flurfunk oder Teeküchenplausch teil? Kaum ein Digitalisierungsthema wird derzeit in der Wirtschaft so heiß diskutiert wie die Nutzung generativer KI. Während die Befürwortenden vor allem auf mögliche Produktivitätssteigerungen hinweisen – ChatGPT etwa kann auf Basis durchdachter kurzer Eingaben (Prompts) in Sekundenschnelle Texte und Programmiercodes erstellen –, warnen andere vor der disruptiven Kraft, die eine ungezügelte KI entfalten könnte. Sie fordern daher eine umfassende Regulierung der Entwicklung und Nutzung der Technologie.

Kurzfristig dürfte sich in den meisten Unternehmen durch den Einsatz von GenAI noch nicht sehr viel ändern, langfristig dafür aber umso mehr.

Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research

Unternehmensorganisation im Wandel

Unabhängig davon, wie diese Diskussion ausgeht, scheint eines schon festzustehen: GenAI wird die Arbeitsprozesse in Unternehmen spürbar verändern. Und damit werden sich auch die Organisation und die strategische Ausrichtung vieler Unternehmen wandeln (müssen). Als grobe Faustformel für die digitale Transformation kann gesagt werden, dass sie zu 30 Prozent aus Technologie und zu 70 Prozent aus organisatorischer Veränderung besteht.

70 Prozemt

der digitalen Transformation bestehen aus organisatorischer Veränderung.

Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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„Kurzfristig dürfte sich in den meisten Unternehmen durch den Einsatz von GenAI noch nicht sehr viel ändern, langfristig dafür aber umso mehr“, sagt Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research. Zum Beispiel sei zu erwarten, dass GenAI über kurz oder lang integraler Bestandteil aller Office-Programme wird. Microsoft, globaler Marktführer bei Bürosoftware und einer der größten Investoren des ChatGPT-Entwicklers OpenAI, ist bereits dabei, GenAI-Funktionen in seine wichtigsten Office-Programme zu integrieren oder als Add-on zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört ein sogenannter Copilot. Dieser KI-Assistent kombiniert laut Microsoft die Leistungsfähigkeit großer Sprachmodelle mit den Daten des Unternehmens. Er soll nicht nur Anwenderinnen und Anwender dabei unterstützen, Präsentationen zu erstellen oder Texte zu formulieren, sondern auch den Workflow im Unternehmen verbessern.

Viele Chancen, viele Fragen

Nach Ansicht von Experten wird generative KI Unternehmen mittel- bis langfristig in vielerlei Hinsicht verändern, indem sie zum Beispiel die individuelle Produktivität kognitiver Arbeit und die Prozesse der Ideenfindung und Kreativität fördert. Das wird auch an der Organisation und der strategischen Ausrichtung von Unternehmen nicht spurlos vorübergehen. Das schafft zwar die Möglichkeit für Kostensenkungen, zum Beispiel bei Analysen und Prognosen zur Optimierung von Unternehmensabläufen, bei der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, beim Workflow oder bei kreativen Prozessen, etwa zur Entwicklung neuer Produkte.

In diesem Zusammenhang stellt sich aber auch eine Vielzahl neuer Fragen, die bislang nur zum Teil beantwortet werden können:

  • Wie können die sich durch den Einsatz von KI-Instrumenten wandelnden Arbeitsprozesse konkret gestaltet werden?
  • Wie können die Authentizität des Inputs und die Qualität des Outputs von GenAI gesichert werden?
  • Was macht den Sinn und Zweck (Purpose) und die Corporate Identity eines Unternehmens in einer von Algorithmen bestimmten Welt aus?
  • Wie können durch die neue Technologie drohende Cyberrisiken beherrscht werden?
  • Wie können Copyrights und intellektuelles Eigentum gesichert werden?
  • Wie können Unternehmen mit den durch eine schnellere Informationsaufbereitung möglicherweise kürzer werdenden Strategiezyklen umgehen?
  • Wie verändert sich der Wettbewerb durch die neue Technologie und welche Geschäftsmodelle können aus ihr erwachsen?

Auf der Suche nach Antworten hat LBBW Research einschlägige Managementliteratur unter die Lupe genommen, darunter eine Diskussionsreihe des renommierten Harvard Business Review. Erste Ergebnisse:

  • GenAI ist kein Hype, sondern dürfte in den nächsten Jahren langsam, aber stetig die kognitive Arbeit in den Unternehmen verändern.
  • Digitale Transformation beginnt an der Spitze. Entscheidungsträgerinnen und -träger sollten sich daher mit GenAI vertraut machen, um die Potenziale der Technologie zu entdecken. Andernfalls besteht ein hohes Risiko strategischer Fehlentscheidungen.
  • Mit GenAI entstehen neue Fehlerquellen. Die Leichtigkeit, mit der mithilfe der Technologie programmiert werden kann, könnte Beschäftigte zu einem übermäßigen Vertrauen in ihre Fähigkeiten verführen. Schätzungen gehen davon aus, dass 40 Prozent der von KI geschriebenen Programme mit Fehlern behaftet sind.
  • KI ist nicht nur ein bloßes Add-on zu bestehenden Geschäftsmodellen, das man an einzelne Silos in der Unternehmung delegiert. Als Querschnittstechnologie erfordert KI einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Unternehmen Problemlösungen und Wertschöpfung angehen. Die zentrale Frage, mit der sich Unternehmen auseinandersetzen müssen, ist, wie sich das Wesen der Organisation selbst im Zeitalter der KI weiterentwickelt.
  • Für das Changemanagement von Unternehmen könnte die Implementierung von GenAI das nächste große Projekt nach den Herausforderungen der hybriden und der Fernarbeit sein.

GenAI bietet zwar ein immenses Potenzial. Die erfolgreiche Integration in die Arbeitsprozesse erfordert jedoch ein sorgfältiges Management und wohl auch neue Organisationsformen.

Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research

Ohne den Menschen geht es nicht

„GenAI bietet zwar ein immenses Potenzial. Die erfolgreiche Integration in die Arbeitsprozesse erfordert jedoch ein sorgfältiges Management und wohl auch neue Organisationsformen“, sagt Guido Zimmermann. Menschen müssten lernen, den Copiloten GenAI zu steuern und den Überblick zu behalten, um potenzielle Fallstricke und Grenzfälle zu erkennen, die der KI möglicherweise entgehen. Plakativ formulierte das kürzlich der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Deutschlandfunk-Podcast „KI verstehen“: „Chatbots sollten so ähnlich behandelt werden wie ein guter Kumpel, von dem man weiß, der hatte schon drei Drinks zu viel. Es kann inspirierend sein, mit ihm zu quatschen, aber man hat im Hinterkopf, dass er stellenweise Blödsinn redet.“

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