Deutschland unter Strom: So weit ist die Elektrifizierung fortgeschritten

Strom zu nutzen ist effizienter, als Gas oder Öl zu verbrennen. Bei Pkw und Heizungen schreitet die Elektrifizierung voran, ein Allheilmittel ist sie jedoch nicht.

Zwei Elektriker vor einem Stromkasten

Sie sind die Symbole der Energiewende: Windräder an Land und auf See, Fotovoltaikanlagen auf Dächern und Freiflächen. Doch auch auf den Straßen und in den Heizungskellern wird der Umbau des Energiesystems mit der wachsenden Zahl von Elektroautos und Wärmepumpen immer sichtbarerer. Strom verdrängt dort nach und nach die fossilen Kraft- und Brennstoffe. Mehr als die Hälfte des hierzulande verbrauchten Stroms stammt bereits aus erneuerbaren Quellen.

Ist die Elektrifizierung aller Motoren und Maschinen, Anlagen und Prozesse also der Königsweg zum Klimaschutz? In der Tat hat der Einsatz von Strom gegenüber anderen klimafreundlichen Energieträgern wie grünem Wasserstoff oder E-Fuels einen großen Vorteil: seine Effizienz. Wird der Strom direkt genutzt, geht kaum Energie verloren.

Die Bundesregierung misst der Elektrifizierung bei der Energiewende deshalb einen zentralen Stellenwert bei. Der Stromverbrauch wird bis 2030 gegenüber 2022 um 37 Prozent steigen, erwartet das Wirtschaftsministerium.

15 Millionen Elektroautos bis 2030

Noch steckt die Elektrifizierung in einem recht frühen Stadium. Etwa im Straßenverkehr: Zwar wurden 2022 rund doppelt so viele E-Autos neu zugelassen wie im Vorjahr, fast jeder fünfte neue PKW fährt mittlerweile rein elektrisch. Betrachtet man die Gesamtflotte, ist deren Anteil jedoch gering. Gerade einmal gut eine Million Elektroautos sind hierzulande angemeldet – das entspricht einem Anteil von 2,1 Prozent. Das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen E-Autos bis 2030 scheint deshalb in weiter Ferne. Da die Stromer jedoch seit zwei Jahren rasant an Marktanteilen gewinnen, könnte – das zeigt eine Untersuchung der Forschungsstelle für Energiewirtschaft – die anvisierte Marke trotzdem erreicht werden.

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Bei der Lkw-Flotte ist der Anteil der E-Antriebe mit heute 1,7 Prozent noch geringer. Mit Strom fahren fast ausschließlich Transporter von Paketlieferdiensten; größere Lkw zu elektrifizieren ist technisch eine Herausforderung, da die Batterien für die schweren, oft auf Langstrecken eingesetzten Fahrzeuge sehr groß sein müssen. Das Bundesverkehrsministerium beobachtet aber, dass das Interesse der Logistikbranche an Elektroantrieben stark wächst. So habe sich die Zahl der Förderanträge im vergangenen Jahr gegenüber 2021 vervierfacht.

37 %

mehr Strom als heute wird in Deutschland im Jahr 2030 verbraucht werden, schätzt das Bundeswirtschaftsministerium.

Prof. Dr. Volker Quaschning: „Die Pause bei der Energiewende rächt sich“

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Photovoltaik? Speichertechnologien? Windparks? Waren kaum angesagt. Die zehnjährige Pause bei der Energiewende räche sich jetzt, sagt Prof. Dr. Volker Quaschning von der HTW-Berlin im Talking-Transformation-Interview mit der LBBW, ebenso die Skepsis gegenüber innovativen Lösungen. Sein Eindruck: „Deutschland ist einfach technologiefeindlich.“

Marktanteil von Wärmepumpen wächst stark

Auch im Heizungskeller dominieren noch die fossilen Energien, die Wärmepumpen holen jedoch schnell auf. Derzeit sind hierzulande etwa 1,4 Millionen Wärmepumpen in Betrieb. Damit machen sie knapp sieben Prozent aller Heizungen aus. Unter den 2022 neu installierten Anlagen haben die Wärmepumpen aber bereits einen Anteil von 24 Prozent, hat der Heiztechnikverband BDH ermittelt.

Die Bundesregierung will die Gesamtzahl der Wärmepumpen bis 2030 auf sechs Millionen vervierfachen. Das Ziel ist erreichbar, meint der Bundesverband Wärmepumpe. Die Hersteller weiten ihre Fertigungskapazitäten derzeit stark aus, Handwerksbetriebe investieren dem Verband zufolge jetzt stark in Fortbildungen. Die von der Ampelkoalition geplante Vorgabe, dass neue Heizungen künftig zu mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien nutzen müssen, dürfte die Nachfrage nach Wärmepumpen weiter befeuern.

Große Herausforderungen in der Industrie

Im Industriesektor bringt die Elektrifizierung weit größere Herausforderungen mit sich als bei den Pkw und in der Wärmeversorgung. In vielen Prozessen sind die Unternehmen aus technischen Gründen auf feste oder gasförmige Energieträger angewiesen, etwa bei der Stahlherstellung. Unverzichtbar sind sie auch für die Hochtemperatur-Prozesswärme, die man etwa für das Schmelzen, Härten oder Trocknen von Produkten braucht. Hier bleibt den Betrieben keine andere Wahl als auf klimaneutrale Brennstoffe wie grünen Wasserstoff oder synthetisches Methan umzusteigen.

Das größte Potenzial für die Elektrifizierung liegt in der Bereitstellung von Niedertemperatur-Prozesswärme, wie sie etwa in der Lebensmittelindustrie benötigt wird. Diese Aufgabe könnten Wärmepumpen übernehmen. Deren Einsatz steht hier aber noch ganz am Anfang.

Energiewende braucht neben Strom auch Wasserstoff

Der Industriesektor zeigt: So effizient der direkte Einsatz von Strom auch ist, seine Einsatzmöglichkeiten sind begrenzt. Das gilt auch für den Verkehr. So ist Strom für den Antrieb von großen Schiffen sowie Flugzeugen keine Option, da er sich dort nicht in den benötigten Mengen speichern lässt. Hinzu kommt, dass die Elektrifizierung in allen Sektoren erhebliche Investitionen verlangt, weil die bestehende Infrastruktur auf flüssige und gasförmige Energieträger ausgelegt ist.

Gute Gründe also für die Bundesregierung, parallel zur Elektrifizierung auch die Produktion und den Einsatz von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten wie synthetischem Methan voranzutreiben. Davon profitiert die gesamte Volkswirtschaft: Die Deutsche Energie-Agentur dena hat in einer Studie ermittelt, dass ein breiter Mix an Energieträgern und Technologien gegenüber einer weitestgehenden Elektrifizierung langfristig bis zu 600 Milliarden Euro spart.