Zockerei oder Zukunft?

Viele verbinden mit Blockchain vor allem Bitcoins. „Grundfalsch“, sagt LBBW-Kryptoexperte Andreas von Richter. Ein Plädoyer für die Technik der Zukunft.

Andreas von Richter erklärt die Zukunftstechnologie Blockchain

LBBW Standpunkt: „Blockchains bilden eine Datenstruktur, durch die ein auf viele Teilnehmer verteilter Zustand gemeinsam verändert werden kann. Dabei werden die Einheitlichkeit und Fälschungssicherheit gewährleistet, indem die einzelnen Transaktionen bestätigt werden.“ Schreibt das Bafin, aber um ehrlich zu sein: Verstehen tun wir das nicht …

Andreas von Richter: Besondere Bekanntheit hat die Blockchaintechnologie im Zuge von Bitcoin erlangt, weswegen Krypto meistens nur mit Kryptowährungen in Verbindung gebracht wird. Dies ist aber grundlegend falsch.

LBBW Standpunkt: Gut, jetzt wissen wir zumindest, was Blockchain nicht ist.

Die Blockchain reduziert konstruktionsbedingt jede Möglichkeit, Daten zu manipulieren.

Andreas von Richter, Kryptoexperte der LBBW

von Richter: Kern ist: Blockchain ist die Basistechnologie, auf der verschiedene neue Services aufgebaut werden können. Somit ähnlich zum sogenannten http-Protokoll, auf dem im Prinzip unser Internet basiert. Blockchain ist eine kryptografische Technologie, die einen mathematischen Code verwendet, um eine Datenbank einzurichten.

LBBW Standpunkt: Und die, weil alle gemeinsam Zugriff haben, quasi nicht manipulierbar ist?

von Richter: Genau! Die Blockchain reduziert konstruktionsbedingt jede Möglichkeit, die Daten zu manipulieren, und somit können die Daten nicht verändert werden.

LBBW Standpunkt: Sie sprachen es bereits an. Blockchain und Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Dogecoin verstellen uns den Blick auf die Möglichkeiten. Zumal in den Zeitungen in diesem Zusammenhang vor allem von Pleiten, Kursabstürzen, Manipulation und Warnungen die Rede ist …

von Richter: Im Prinzip kann man es mit dem Internet in den 90ern vergleichen, wo der Mainstream auch vom Nutzen nicht überzeugt war. Warum sollte man Bücher online kaufen ...? Trotzdem wurden in dieser Zeit die heute wertvollsten Unternehmen gegründet. Nur wenige haben das Potenzial damals verstanden. Dies wird sich meiner Meinung nach im sogenannten Web-3-Bereich wiederholen. Man sollte sich intensiv mit den Anwendungsfällen beschäftigen, denn diese gehen weit über neue Währungen hinaus.

LBBW Standpunkt: Weil?

von Richter: Eine Blockchain eignet sich ideal als „Hauptbuch“ für Transaktionshistorien, die nicht manipulierbar sind. Hier drauf können Smart Contracts aufgebaut werden. Das sind im Grunde genommen einfache Computerprogramme, die – beim Eintritt bestimmter Ereignisse – im Vorfeld programmierte Abläufe umsetzen, wie etwa Zinsen auszahlen. Hierdurch werden beispielsweise Finanzdienstleistungen möglich, die auf der Blockchaintechnologie aufbauen. Dies ist der Anwendungsfall für „Decentralized Finance“. Blockchain-basierte Kreditplattformen verbinden hier Gläubiger mit den Schuldigern per Smart Contract. Hier gibt es auch neue krypto-basierte Versicherungen. Investoren können sich über Versicherungsplattformen gegen unterschiedliche Risiken absichern, alles basierend auf Smart Contracts.

Interessanterweise hat die marktführende Kryptowährung Bitcoin keinen wirklichen Nutzen, wenn es um die Verwendung von Smart Contracts geht. Das Potenzial genau dieser Anwendung macht den Bereich für neue „Unternehmen“ so spannend – aber nicht Bitcoin.

LBBW Standpunkt: Das massive Auf und Ab des Bitcoin bestimmt die Zurückhaltung vieler bei der Technologie insgesamt. Viele glauben, das ist pure Zockerei …

von Richter: Generell sollte man einen klaren Unterschied zwischen verschiedenen Kryptokategorien machen. Es ist fundamental falsch, nur von Kryptowährungen zu sprechen. Ich glaube, hier drin liegt der Kern des Missverständnisses. Wichtig ist, dass es verschiedene Basis-Kryptokategorien gibt. Ich darf mal in a), b) und c) sprechen?

  • a) Kryptowährungen: Hier gibt es in der Tat neue und volatile Währungen wie Bitcoin und Dogecoin wobei für mich persönlich eine Währung wie Dogecoin keinen Sinn macht außer Spekulation. Es gibt aber auch stabile digitale Währungen, die direkt den Wert von einem US-Dollar oder Euro darstellen.
  • b) Plattform- oder Utility-Tokens: Das sind Tokens, die für die Teilnahme an der zugrunde liegenden Plattform benötigt werden. Zum Beispiel benötigt man Ethereum als Gebühr, um auf der Ethereum-Plattform Smart Contracts – sprich Services – auszuführen. Ethereum ist keine Währung, sondern ein Netzwerk von Computern, mit Usern, Umsätzen und Services. Ethereum hat im Jahr 2021 rund 9,9 Milliarden US-Dollar an Transaction Fees generiert, ähnlich hoch wie Amazon Web Services im Jahr 2015.
  • c) Security- oder Equity-Tokens: Dies sind im Prinzip Anteile an einem Service, Projekt oder einer Firma im Kryptoumfeld. Ähnlich wie bei Aktien besitzt man damit einen Teil von dieser „Entity“. Oft wird an diese Anteilseigner eine Art Dividende ausgezahlt, zum Beispiel aus Transaktionsgebühren.

LBBW Standpunkt: Der Erfinder von Blockchain, ein Mann namens Satoshi Nakamoto, ist selbst abgetaucht. Niemand weiß, ob der Name ein Avatar ist und war oder ein Klarname. So richtig vertrauenserweckend ist das alles nicht …

von Richter: Hier sprechen wir vom Erfinder von der Bitcoin-Blockchain. Niemand weiß, ob dies nur eine Person, ein Team war oder wer es ist. Damals ging es darum, eine neue Währung während der Finanzkrise von 2008 zu schaffen ohne eine zentrale Kontrolleinheit. Somit scheint es mir logisch, dass man damals den/die Erfinder anonym gehalten hat. Gründer von anderen Blockchains sind übrigens meistens bekannt.

LBBW Standpunkt: In den vergangenen Jahren sind einige Milliarden US-Dollar in Start-ups investiert worden, die Geschäftsmodelle für Unternehmen „Blockchain-basiert“ entwickeln sollen. Können Sie mal ein, zwei Beispiele nennen, wo diese Start-ups bereits erfolgreich waren?

von Richter: In der Tat sind die Venture-Capital-Investitionen im Bereich Crypto & Blockchain von rund 5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf rund 30 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 gewachsen. Vielleicht ein Beispiel von vielen erfolgreichen Unternehmen: Das Helium Network (HNT), auch „The People’s Network“ genannt, ist mittlerweile die größte Blockchainanwendung für das Internet der Dinge (IoT). Es ist das weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk für das energieeffiziente Senden von Daten. Im Zentrum dieses dezentralen Blockchainnetzwerks steht dabei der HNT-Token. Dieser kann für Bezahlungen und bei Governance-Abstimmungen innerhalb des Netzwerks verwendet werden. Dadurch hat Helium einen zweiseitigen Markt für Anbieter und Nutzer geschaffen, die eine Internetanbindung für ihre IoT-Geräte benötigen. Das Projekt will so einen Markt, der im Moment von Monopolen kontrolliert wird, vollständig dezentralisieren. Nutzer können ganz einfach einen Minirouter von Helium in ihrer eigenen Wohnung aufsetzen und für andere IoT-Geräte Internet zu Verfügung stellen. Auf die Verbindungen können dann zum Beispiel verifizierte IoT-Geräte zugreifen oder Daten, die für bestimmte Gruppen interessant sind, getrackt werden. So können beispielsweise die E-Scooter von Lime, die Partner von Helium sind, auf diese Hotspots zugreifen, um Kosten einzusparen. Das Helium-Netzwerk belohnt alle diejenigen, die über einen sogenannten Helium-Hotspot das Internet für IoT-Geräte zur Verfügung stellen mit HNT-Token. Diese Hotspots sind physische Geräte, die für HNT-Mining/Generierung und die Übertragung von Daten im Netzwerk benötigt werden.

Die Blockchain wird Decentralized Financing und damit den Finanzsektor grundlegend verändern.

Andreas von Richter, Kryptoexperte der LBBW

LBBW Standpunkt: Machen wir das mal an einem Beispiel konkret: Nehmen wir einen mittelständischen Werkzeug-Maschinenbauer aus Tübingen. Was bringt dem das Nutzen der Blockchaintechnologie?

von Richter: Ehrlich gesagt, in absehbarer Zeit gar nichts. Insgesamt gibt es wohl rund 200 bis 300 Millionen Nutzer, das heißt Personen, die mit Krypto interagieren. Wenn wir über eine Milliarde Nutzer kommen, also in den kommenden zwei bis drei Jahren, wird Krypto wohl eine Mainstreamanwendung sein. Dann könnte die Technologie zum Beispiel für Pay-per-use-Transaktionen beim Maschinenbauer benutzt werden, und zwar automatisch über Smart Contracts. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Zahlungen könnten hier massiv Kosten gespart werden. Wichtig ist allerdings, dass dies komplett über eine Blockchain ablaufen muss. Ansonsten läuft es auf automatische SEPA-Überweisungen hinaus und man hat nichts gewonnen. Dann sollte man besser eine Standard-Datenbank-Lösung benutzen.

LBBW Standpunkt: Warum beschäftigt sich die LBBW mit dem Thema?

von Richter: Krypto-Blockchain ist im Entwicklungsstadium des Internets der frühen 90er mit mindestens demselben Returnpotenzial. Die Skalierbarkeit der Unternehmen durch Smart Contracts ist unvergleichbar, alles wird zu 100 Prozent automatisiert und kann somit mit extrem kleinen Teams realisiert werden. Der Bereich Decentralized Finance wird meiner Meinung nach den Finanzsektor grundlegend verändern.

LBBW Standpunkt: Wann rechnen Sie mit dem Durchbruch in Deutschland?

von Richter: In Deutschland gibt es aktuell wahrscheinlich nur rund 2000 bis 3000 Experten und nur ein paar Hundert werden pro Jahr in diesem Bereich ausgebildet. Dies ist viel zu wenig. Deutschland hat hier einiges aufzuholen. Zum Durchbruch kommt es mit mehr Anwendern. Bislang hat nicht einmal jeder zehnte Deutsche mit Krypto agiert. Davon sicherlich die meisten über zentrale Börsen und wahrscheinlich zu 80 Prozent mit Bitcoin. Im Gegensatz zu den USA sind deutsche Anleger sehr risikoarm, deutlich weniger haben überhaupt Aktien im Portfolio. Daher wird der Adaptionsprozess wohl deutlich langsamer als in anderen Regionen sein. Gleichzeitig werden aber neue Technologien immer schneller adaptiert, und die Generation Z ist natürlich für das Thema offen und neugierig.