Konjunktur: Deutschland im Zeichen des R-Worts

Deutschland wird spätestens 2023 in die Rezession abgleiten, sagt das LBBW Research voraus. Der Abschwung dürfte regional jedoch unterschiedlich stark ausfallen.

Geschäftsfrau sitzt in vergöastem Konferenzraum am Laptop

In den USA ist das gefürchtete „R-Wort“ bereits Wirklichkeit: Die größte Volkswirtschaft der Welt verzeichnete im zweiten Quartal 2022 erneut einen realen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – per Definition eine Rezession. Deutschland schrammte hingegen mit einem Wachstumsplus von 0,8 Prozent im ersten Quartal 2022 und 0,0 Prozent im zweiten Quartal am Konjunkturabschwung vorbei. „Noch hat es bei uns zu einer schwarzen Null gereicht“, urteilt LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer.

Aber die privaten Konsumausgaben werden verstärkt unter der inflationsbedingten Erosion der Realeinkommen leiden, befürchten die LBBW-Volkswirte. Spätestens im nächsten Jahr wird Deutschland in die Rezession abgleiten, sagen sie voraus. Abgesehen vom Coronajahr 2020 wäre das die erste Rezession seit der Finanzkrise 2008/2009. Für 2023 prognostizieren sie der größten Volkswirtschaft der Eurozone einen Rückgang des BIP um 1,0 Prozent.

LBBW Research Grafik zur Konjunkturentwicklung und -prognosen in Deutschland

Welt im Rückwärtsgang

„Die ganze Welt ist im Rückwärtsgang“, betont LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer. Gleich ein ganzes Bündel schlechter Nachrichten drückt in allen wichtigen Volkswirtschaften auf die Geschäftserwartungen der Unternehmen und die Konsumfreude der Verbraucher. Dazu gehören die rekordhohe Inflation, die anhaltende Corona-Pandemie, die fortgesetzten Lieferschwierigkeiten und nicht zuletzt die steigenden Zinsen. Vor allem in Europa und insbesondere in Deutschland belasten zudem die infolge des Russland-Ukraine-Kriegs massiv gestiegenen Energiepreise und die weiterhin bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die russischen Gaslieferungen den Ausblick.

Die ganze Welt ist im Rückwärtsgang.

LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer

Die Experten des LBBW Research gehen bislang zwar nicht von einem russischen Gas-Embargo aus. Sie erwarten vielmehr, dass die Gaslieferungen wie schon bisher lediglich stark gedrosselt oder allenfalls zeitweise gestoppt werden. „Die Rezession wird relativ mild ausfallen, sofern uns Putin nicht den Gashahn abdreht“, urteilt Kraemer. Komme es hingegen zu einem Gaslieferstopp, sei eine sehr schwere Rezession unvermeidlich.

Rezessionsgefahr für Bundesländer unterschiedlich hoch

Auch auf Länderebene dürfte der Konjunkturabschwung flächendeckend Einzug halten. „Fast alle deutschen Bundesländer rutschen 2023 in die Rezession“, sagt Analyst Guido Zimmermann. Jedoch rechnet er mit einem differenzierten Bild, „denn die Auswirkungen der Rezession in den einzelnen Bundesländern hängen stark von der relativen Größe des Verarbeitenden Gewerbes, von der Exportquote sowie von der Struktur der Energieversorgung ab“, urteilt der Experte. Je stärker die Wirtschaft eines Bundeslandes von Exporten nach China, der Gasversorgung und dem energieintensiven Verarbeitenden Gewerbe geprägt ist, desto stärker wäre es durch rezessive Tendenzen betroffen.

Fast alle deutschen Bundesländer rutschen 2023 in die Rezession.

Guido Zimmermann, Senior Economist

Gemäß einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle muss beispielsweise bei einem russischen Gaslieferstopp besonders in jenen Ländern mit einem deutlich stärkeren Einbruch der Wirtschaftsleistung gerechnet werden, in denen das Verarbeitende Gewerbe ein großes Gewicht hat. Westdeutschland und dort insbesondere der Süden wären deshalb von einem Gaslieferstopp stärker betroffen als der Osten Deutschlands.

Grafik der LBBW BIP-Wachstumsprognosen für 2022 / 2023

Beispielsweise dürfte Baden-Württemberg mit seinem vergleichsweise hohen Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung 2022 mit +1,2 Prozent realen BIP-Wachstums noch mit einem blauen Auge davonkommen, aber 2023 mit –1,9 Prozent die „rote Laterne“ tragen. Hingegen könnte Berlin, wo die Dienstleister mehr als 80 Prozent zur Bruttowertschöpfung beitragen, mit +2,0 Prozent das Länderranking beim BIP-Wachstum 2022 anführen und auch 2023 mit 0,0 Prozent vergleichsweise passabel abschneiden.