„Düster wie selten zuvor“

Alle Konjunktur-Indikatoren zeigen nach unten. 2023 wird – so die Einschätzung von LBBW Research im Kapitalmarktausblick – das Jahr einer deutlichen Rezession.

Mann sitzt verzweifelt vor dem Laptop, der sinkende Graphen anzeigt

„Selten war die Stimmung in Deutschland so düster wie heute“, stellt LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer im Kapitalmarktausblick für 2023 fest und schickt eine Hoffnung hinterher: „Vielleicht ist es ja wahr, dass die Nacht vor der Dämmerung immer am dunkelsten ist.“ In dem jetzt vorgelegten Ausblick analysieren die LBBW-Analystinnen und -Analysten die gegenwärtige Lage und versuchen sich in Prognosen – allerdings auf sehr unsicherer Basis. Denn vieles – nahezu alles – hängt vom weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine ab. Die Gleichung ist einfach: Je schneller der Krieg ein Ende findet, desto schneller gehen Stimmung und Konjunktur wieder nach oben. Und umgekehrt.

Problem Inflation: „Es ist ein unrühmlicher Rekord: Im Oktober 2022 war die Inflationsrate mit 10,4 Prozent zweistellig! In den Zeitreihen für Deutschland muss man bis ins Jahr 1951 zurückgehen, um höhere Werte zu finden“, sagt Thomas Meißner, Leiter Finanzmarktstrategie bei LBBW Research, und prognostiziert: „Der Hochpunkt der Inflation dürfte noch bevorstehen.“

10.4 %

betrug die Inflationsrate im Oktober 2022 – nur 1951 war sie höher.

Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt zu, vor allem in der Sozialarbeit, im Handwerk und in der Informationstechnik.

Antje Laschewski, Analystin bei LBBW Research

Sorgenkind Fachkräfte: „Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt zu, vor allem in der Sozialarbeit, Erziehung, Pflege, im Handwerk und in der Informationstechnik. Zwei Millionen Stellen sind unbesetzt: ein trauriger Rekord! Angesichts des demografischen Wandels, der Digitalisierung und der Dekarbonisierung wird sich die Lage weiter verschärfen“, erwartet LBBW-Analystin Antje Laschewski.

Malaise beim Konsum: „Im Oktober 2022 lagen die Preise für Nahrungsmittel um 20,3 % höher als ein Jahr zuvor. Eine schnelle Trendumkehr ist nicht in Sicht, weder bei den Verbraucherpreisen insgesamt noch bei den Nahrungsmittelpreisen im Speziellen“, sagt LBBW-Analyst Gerold Deppisch.

20.3 %

teurer als 2021 waren Lebensmittel im Oktober 2022.

Ende des Bau-Booms: „Der rasante Anstieg der Wohnungspreise der vergangenen Jahre wird nun abrupt enden“, fasst LBBW-Immobilienexperte Martin Güth zusammen. „Es überrascht nicht, dass die Bauunternehmen vergleichsweise pessimistisch in die Zukunft blicken.“

Das Tief im Aktienmarkt kommt erst noch.

Uwe Streich, Analyst bei LBBW Research
Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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Pleitewelle bei Unternehmen: „Die deutschen Unternehmen sehen sich aktuell vielen Belastungsfaktoren gegenüber. Noch schlägt sich dies aber nicht in steigenden Ausfallraten nieder. Vielmehr liegt die Anzahl der Insolvenzen im Unternehmenssektor auf niedrigem Niveau“, konstatiert Michael Koehler. Doch dies werde nicht so bleiben. „Die derzeitige Situation stellt die berühmte Ruhe vor dem Sturm dar.“

Aktienmarkt – Bärenmarkt: „Das Aktienmarkttief kommt erst noch“, sieht Uwe Streich, Analyst Aktienstrategie, keinen wirklichen Silberstreif am Horizont. „Die Stimmung der Anleger ist am aktuellen Rand sehr negativ.“

Prognose für 2023: tiefe Rezession

Der düsteren Analyse folgt die bittere Prognose. Die Wirtschaftsleistung in Deutschland wird im kommenden Jahr um 1,5 Prozent sinken – eine deutliche Rezession. Erst 2024 soll es wieder ein Miniwachstum in Höhe von 0,5 Prozent geben. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen wird deutlich steigen und mit knapp 20.000 Pleiten einen seit Jahren traurigen Höchstwert erreichen. Bei den Preisanstiegen erwartet LBBW Research den Gipfel für Februar, bei dann rund 12 Prozent. Weitere Vorhersagen sind kaum möglich. Der DAX wird bis zur Jahresmitte 2023 bis auf etwa 13.000 Punkte nachgeben, bevor eine Trendwende möglich ist. Prognose bis Jahresultimo 2023: 15.500 Punkte.

Chefvolkswirt Moritz Kraemer sieht denn auch die deutsche Gesellschaft vor einer Zerreißprobe. „Die Einbußen an Kaufkraft und an finanzieller Sicherheit sind für die deutschen Haushalte derzeit so groß wie seit Generationen nicht mehr. Die Inflation frisst die Löhne immer schneller auf. Die Menschen im Land sind verunsichert“; resümiert Kraemer. Die Sorge über die Zukunft des deutschen Wirtschaftsmodells beginne durch die Talkshows zu wabern, der Ton in den sozialen Netzwerken werde zunehmend rauer.

15500 Punkte

Dort wird der DAX laut Prognose von LBBW Research am Jahresende 2023 stehen.

Der Zusammenhalt der Gesellschaft gerät unter Druck.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW

Zuletzt hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von „rauen Zeiten“ gesprochen. Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht seit geraumer Zeit von „Belastungen bis und über die Schmerzgrenze hinweg“. Ähnlich sieht das LBBW-Chefökonom Kraemer: „Der Zusammenhalt der Gesellschaft gerät unter Druck. Das Gefühl wachsender Ungleichheit hatte den Nährboden über Jahre wachsen lassen. Jetzt kommt ein plötzlicher Verlust an Kaufkraft hinzu. Wenig radikalisiert Menschen mehr als die Angst vor existenziellen Bedrohungen, die Angst vor dem Abstieg in die Armut. Zu Wohnungsnot gesellt sich nun das Risiko von Energiearmut. Zugleich wird der wöchentliche Einkauf teurer und teurer.“ Gleichzeitig betont Kraemer die Stärke des gesellschaftlichen Konsens in Deutschland: „Dieser wird uns helfen, auch die gegenwärtige Krise zu bewältigen.“

Hier geht’s zum Kapitalmarktausblick 2023