Es funktioniert auch ohne Worte

Janet Nitschke ist gehörlos – das behindert sie im Job allerdings kaum. Die 41-jährige Köchin arbeitet in einem Betriebsrestaurant der LBBW.

Janet Nitschke, gehörlose Köchin im LBBW-Betriebsrestaurant

„Bitte nur ganz wenig Soße auf die Nudeln!“ Diesen Satz kennt Janet Nitschke gut, gehört hat sie ihn allerdings noch nie. Seit 2017 arbeitet die 41-Jährige im LBBW Betriebsrestaurant am Pariser Platz in Stuttgart. Als sogenannte Kaltmamsell bereitet sie Salate und Nachtische zu, wäscht Gemüse und gibt im rotierenden System alle paar Wochen an der Theke Essen an hungrige Kolleginnen und Kollegen aus.

„Ich glaube, manche Gäste haben noch gar nicht bemerkt, dass ich nichts höre. Ich lese ihre Mimik“, formuliert sie mit den Händen. Es ist 10 Uhr morgens. Janet Nitschke hat zusammen mit ihrem Chef Albrecht Großhans und der Gebärdensprachdolmetscherin Tanja Lilienblum-Steck an einem der langen Kantinentische Platz genommen. Die Hände der beiden Frauen sind in ständiger Bewegung. Die Finger berühren mal das Kinn, mal die Stirn, klopfen auf die offene Handfläche oder formen Buchstaben. Simultan übersetzt Tanja Lilienblum-Steck in die hörbare Sprache.

Die Berufswahl war klar: Köchin

Janet Nitschke ist von Geburt an taub. Da es in ihrer Heimatstadt Mittweida keine Gehörloseneinrichtung gab, kam sie bereits mit drei Jahren ins Internat. In der Gehörlosenschule lernte sie die Gebärdensprache und machte einen regulären Schulabschluss. Danach entschied sie sich für eine Ausbildung zur Köchin.

Janet Nitschke im LBBW-Betriebsrestaurant

Gebt uns eine Chance! Dann können wir zeigen, was wir draufhaben.

Janet Nitschke, gehörlose Kaltmamsell im Betriebsrestaurant der LBBW

Die eigentliche Herausforderung beginnt für Menschen mit Behinderung in der Regel mit der Jobsuche auf dem ersten Arbeitsmarkt. „Man kann 100 Bewerbungen schreiben und bekommt trotzdem kein Vorstellungsgespräch“, berichtet die Sächsin. Ähnliches gilt für die Wohnungssuche. Ihr ist beides geglückt: Kürzlich hat sie in Berglen im Remstal eine neue Wohnung gefunden; mit dem Job hat es bei der LBBW GastroEvent GmbH bereits im April 2017 geklappt. Ihr Chef Albrecht Großhans hatte bereits gute Erfahrungen mit einer gehörlosen Mitarbeiterin gemacht. „Es klappt einfach!“, lautet seine Erkenntnis.

Kommunikation ist mehr als Sprechen

Kommunikation, das begreift man in der Küche am Pariser Platz schnell, funktioniert auch ohne Sprache wunderbar. Janet Nitschke liest ihren Kolleginnen und Kollegen von den Lippen ab, antwortet mit leicht verständlichen Gesten und bringt ihre Umgebung durch ihren Humor regelmäßig zum Lachen. Auch mit den Gästen an der Essenausgabe erlaubt sie sich hin und wieder einen Spaß – zum Beispiel mit denen, die nur ganz wenig Soße wollen: „Dann träufle ich manchmal nur einen winzigen Klecks auf den Teller.“

In der LBBW, wo Menschen aus 57 Nationen zusammenarbeiten, ist Janet Nitschke eine Mitarbeiterin, die wie viele andere ihre eigene Sprache und ihre besonderen Herausforderungen hat. „In der Küche sind wir wie eine große Familie. Hier möchte ich bleiben“, erklärt sie. Albrecht Großhans empfindet seine Mitarbeiterin als klaren Gewinn für sein Team.

Von einem Handicap ist wenig zu merken

In der Praxis fällt Nitschkes Handicap viel weniger ins Gewicht, als vermeintlich Gesunde sich vorstellen können. Sie beginnt wie alle anderen in der Küche morgens um 6.30 Uhr mit der Arbeit und hat eine Vollzeitstelle mit knapp acht Stunden täglicher Arbeitszeit.

Die Barrieren in den Köpfen der Mitmenschen sind denn auch die eigentliche Herausforderung für Menschen mit Behinderung. „Im Einstellungsverfahren zum Beispiel wäre es ein großer Erfolg, wenn Skeptiker uns wenigstens eine Chance geben würden. Dann könnten wir zeigen, was wir draufhaben“, bemerkt Janet Nitschke. Sie selbst hat ein klares Ziel: Sie möchte die Schürze der Kaltmamsell irgendwann gegen die Koch-Uniform eintauschen. Sie klopft energisch mit ihren Fingern auf den Tisch: „Ich bin gelernte Köchin. Ich kann das!“