29.09.2023

Keine Abwanderungswelle im Mittelstand

Pressemitteilung

Research-Umfrage zur Internationalisierung des Mittelstands

Das LBBW Research sieht derzeit keine große Abwanderungswelle von deutschen Mittelständlern ins Ausland. Laut einer aktuellen Umfrage streben mehr als zwei Drittel der Unternehmen in den nächsten Jahren keine entsprechenden Verlagerungen an. Vielmehr bleibt nach Ansicht der Analysten Deutschland als Produktionsstandort weiter vergleichsweise attraktiv – wenngleich die Sorgen der Unternehmen um mögliche Wettbewerbsnachteile zunehmen.

Eine von manchen Wirtschaftsexperten und Politikern befürchtete Abwanderung mittelständischer Industrie-unternehmen aus Deutschland ist derzeit nicht zu beobachten. Stattdessen hat sich die Globalisierungsgeschwindigkeit zuletzt sogar verlangsamt. So lautet das Kernergebnis einer Umfrage des LBBW Research im Rahmen des „Mittelstandsradars 2023“. Demnach streben gut zwei Drittel (67 Prozent) der mittelständischen Industrieunternehmen hierzulande in den kommenden zehn Jahren keine Verlagerung ihrer betrieblichen Aktivitäten ins Ausland an. 7 Prozent wollen bestehende Fertigungskapazitäten zudem aus entfernten Schwellenländern in benachbarte bzw. näher liegende Länder verlagern. „Die Zahlen belegen einen weltweit zu beobachtenden Trend: Die Diversifizierung der Beschaffungs- und Wertschöpfungskettenländer verlangsamt sich. Auch die Globalisierung hat also Grenzen“, sagt Andreas da Graça, Autor des Mittelstandsradars.

Deindustrialisierung kann noch vermieden werden

Für Deutschland ist diese Entwicklung nach Ansicht von da Graça ambivalent. Auf der einen Seite hätte die export- und industrieorientierte deutsche Volkswirtschaft seit der Jahrtausendwende überproportional stark vom Globalisierungstrend profitiert. Auf der anderen Seite würde die aktuell eher abwartende Haltung vieler Unternehmen die vielerorts geäußerte Sorge vor einer unaufhaltsamen Deindustrialisierung des Landes dämpfen. „Das Gros der deutschen Industrie verlässt das Land bis dato nicht. Und viele Unternehmen, die Pläne für eine Abwanderung schmieden, würden gern bleiben – wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, betont da Graça.

Gefordert werden seitens der Unternehmen vor allem eine stärkere Deregulierung, mehr Bürokratieabbau, ein Ausbau der Infrastruktur – Stichwort Digitalisierung – und verbesserte Bildungsmöglichkeiten, um dem Fachkräftemangel entgegen-zuwirken. „Wenn die Politik hier nicht schnell reagiert und die Wettbewerbsbedingungen bzw. die Rahmenbedingungen verbessert, könnten sich tatsächlich noch mehr deutsche Unternehmen nach neuen Standorten im Ausland umsehen“, so die Einschätzung von da Graça.

Hohe Verunsicherung bei deutschen Unternehmen

Derzeit scheint für einheimische mittelständische Industrieunternehmen der Produktionsstandort Deutschland im internationalen Vergleich aber nach wie vor attraktiv zu sein. Zu beachten dabei ist, dass keine Region und kein Land eine neutrale oder positive Bewertung als Produktionsstandort erhalten hat. Als die besten Einschätzungen sind daher die „am wenigsten negativen“ zu werten.

Diese hohe Verunsicherung der Unternehmen sei Ausdruck einer Vielzahl teilweise interagierender Risikofaktoren, denen sich die Wirtschaft in Deutschland und der Welt gegenübersieht, so da Graça. Fast die Hälfte aller Unternehmen (49 Prozent) sieht geopolitische Risiken als das Haupt¬hindernis für die Ausweitung ihrer Auslandsaktivitäten, gefolgt von Konjunkturrisiken (42 Prozent) sowie Belastungen durch Handelskonflikte und Sanktionen (33 Prozent). „In Zeiten einer auch politisch gewollten Verringerung wirtschaftlicher Abhängigkeiten von einzelnen Handelspartnern, des sogenannten Derisking, ist ein solches von Unsicherheit geprägte Umfeld natürlich kontraproduktiv“, sagt da Graça.

Diversifizierung schafft Unabhängigkeit

Das Beispiel der russischen Gaslieferungen seit Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs hätte jedoch gezeigt, wie wichtig ein Derisking auch in anderen Bereichen ist. Das gelte etwa mit Blick auf die Abhängigkeit deutscher Unternehmen von Halbleitern, Technikkomponenten und Vorprodukten aus China. 41 Prozent der befragten Unternehmen können sich daher eine stärkere Diversifizierung der Einkäufe im Ausland vorstellen. Fast ebenso viele denken über eine Erhöhung ihrer Lagerhaltung (40 Prozent) und eine Verkürzung der Lieferwege (38 Prozent) nach. Dafür würde ein Viertel der Unternehmen sogar prinzipiell auf Kostenvorteile verzichten. Einen partiellen oder vollständigen Rückzug aus internationalen Wertschöpfungsketten halten dagegen nur 4 Prozent für machbar.

Transformationswillige Unternehmen können auch in Zeiten des Derisking wachsen

„Der deutsche Mittelstand ist insgesamt stark und wird unseres Erachtens auch diese politisch und wirtschaftlich schwierige Phase meistern“, erklärt da Graça. Bereits während der Corona-Pandemie und zu Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs hätten insbesondere die kleineren und mittleren Unternehmen eine hohe Anpassungsfähigkeit bewiesen. Durch ihre Innovationskraft sei es ihnen gelungen, Marktanteile zu verteidigen oder sogar auszubauen. Allerdings sei dies auch damals nur möglich gewesen, weil die Politik mit Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld oder der vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht unterstützend eingegriffen hat. „Wie der deutsche Mittelstand und die deutsche Wirtschaft als Ganzes durch die aktuelle Krise kommt, wird viel von zukünftigen politischen Entscheidungen abhängen“, mahnt da Graça. „Wenn es in den kommenden Monaten nicht gelingt, die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland zu verbessern, wird das Gespenst der Deindustrialisierung uns nicht verlassen.“

Zum LBBW Mittelstandsradar 2023

Die Ergebnisse der diesjährigen Impulsbefragung basieren auf den Antworten von insgesamt 248 Unternehmen zwischen Mitte Juli und Anfang August. Der Fragebogen mit dem Thema „Globalisierungsstrategie im Mittelstand“ richtet sich primär an Unternehmen des produzierenden Gewerbes.

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Tobias Schwerdtfeger

Tobias Schwerdtfeger

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