05.11.2018

LBBW Research und IAW präsentieren den Mittelstandsradar

Pressemitteilung

Fachkräftemangel gefährdet die Zukunftsfähigkeit des Mittelstands

  • 90 Prozent der Mittelständler klagen über Fachkräftemangel
  • Unternehmen locken aber kaum mit höherem Gehalt, sondern setzen auf Werbung und weiche Faktoren
  • Fehlende Fachkräfte bremsen Digitalisierung aus
  • Mittelständler sind insgesamt weiter optimistisch, knapp zwei Drittel halten Aussichten für sehr gut oder gut
  • Brexit und Trump sorgen für immer steilere Sorgenfalten
  • Finanzierungsbedingungen für Unternehmen weiterhin attraktiv

Trotz der seit Jahren guten Konjunkturentwicklung gibt es bei den deutschen Mittelständlern nicht nur zufriedene Gesichter: Fast 90 Prozent der befragten Führungskräfte des gemeinsam von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen e.V. (IAW) ermittelten Mittelstandsradars sehen ihr Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. 74 Prozent der Unternehmen klagen über einen Mangel an Facharbeitern, dahinter folgen fehlende Bewerber um Ausbildungsplätze (43 Prozent) und Hochschulabsolventen (41 Prozent).

Begehrte Fachkräfte werden in der Regel trotzdem nicht mit einer prallen Lohntüte geködert. Nur jedes vierte Unternehmen setzt bei der Gewinnung von beruflich ausgebildeten Arbeitskräften auf ein überdurchschnittliches Gehalt, nicht einmal ein Drittel bietet dies jungen Hochschulabsolventen. Abwerbeprämien stehen gar ganz am Ende der Beliebtheitsskala.

Lohnerhöhungen beheben keinen Fachkräftemangel

Die Begründung ist eindeutig: 86 Prozent der Befragten glauben nicht daran, dass ihr Fachkräftemangel mit hohen Gehältern zu mildern ist. Die Unternehmen gehen bei Hochschulabsolventen und beruflich ausgebildeten Arbeitskräften gleichermaßen davon aus, dass die Zahl der Bewerber die Nachfrage nicht decken kann. Oftmals ist also schlicht niemand da, den sie locken könnten. Erst mit deutlichem Abstand nennen sie begrenzte Vergütungsmöglichkeiten oder einen unattraktiven Firmenstandort als weitere Gründe. Recht uneinheitlich fällt die Sicht auf die Qualifikation der Bewerber aus. Bei den Hochschulabsolventen sehen nur gut ein Fünftel der Mittelständler hier Probleme, bei den Fachkräften beklagen hingegen fast 60 Prozent mangelnde Qualifikationen.

Zur Lösung ihres Fachkräftemangels setzen die Unternehmen vornehmlich auf konventionelle Maßnahmen der Anwerbung und auf weiche Faktoren. Zur Gewinnung von gewerblich ausgebildeten Facharbeitern setzen 58 Prozent der befragten Unternehmen in erster Linie auf klassische Werbemaßnahmen in verschiedenen Medien, aber auch auf die Empfehlung durch eigene Mitarbeiter sowie auf Fort- und Weiterbildungsangebote. Bei der Ansprache von Hochschulabsolventen verspricht sich gut die Hälfte der Unternehmen Erfolg von flexiblen Arbeitszeitmodellen, aber auch die Werbung in unterschiedlichen Medien und die Zusammenarbeit mit Personalvermittlern wird häufig genutzt.

Die Folgen des Fachkräftemangels gehen weit über abgelehnte oder nur langsam abgearbeitete Aufträge hinaus, beklagt LBBWUnternehmenskunden- Vorstand Karl Manfred Lochner: „Besonders bei IT-Fachleuten gibt es spürbare Engpässe. Der Fachkräftemangel bremst die Digitalisierung aus und könnte so die Zukunftsfähigkeit des Mittelstands gefährden.“ Drei Viertel der Befragten wollen in die Digitalisierung investieren, weit mehr noch als in „Forschung und Entwicklung“ (39 Prozent).

USA büßen an Attraktivität ein – UK bleibt am unattraktivsten

Die große Verunsicherung rund um die globalen Handelsstreitigkeiten wirkt sich in einer deutlich schlechteren Beurteilung des Auslandsmarktes USA durch die Mittelständler aus. Gegenüber dem ersten Mittelstandsradar im April fallen die Bewertungen für die USA als Produktionsstandort und Absatzmarkt sowie hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung und politischen Rahmenbedingungen spürbar negativer aus. Unangefochten am Ende des Rankings der Wirtschaftsstandorte bleibt das Vereinigte Königreich (UK). „Die anhaltenden Sorgen um einen ungeregelten Austritt aus der Europäischen Union belasten das Image Großbritanniens als Wirtschaftsstandort nachhaltig“, sagt LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Inzwischen sehen knapp 60 (April: 43) Prozent Großbritannien als Absatzmarkt negativ, sogar gut 70 (April: 51) Prozent auch als Produktionsstandort. Auch bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der politischen Rahmenbedingungen erzielt kein anderer Standort so schlechte Werte.

Die Stimmung der Mittelständler ist insgesamt nach wie vor gut. 65 Prozent bewerten ihre Geschäftslage als gut oder sehr gut. Gute und sehr gute Aussichten für ihr Geschäft sehen 63 Prozent. Im ersten Mittelstandsradar lagen die entsprechenden Werte jeweils rund 25 Prozentpunkte höher. Hintergrund ist nach Ansicht der LBBWAnalysten, dass die Stimmung bei der ersten Umfrage wegen der sehr positiven Wirtschaftsentwicklung 2017 noch außergewöhnlich gut war. Aktuell spürt auch der Mittelstand die Konjunkturberuhigung. Zudem war die Bedrohung durch einen Handelskonflikt im Zeitraum der ersten Befragung noch nicht im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit.

Einen wesentlichen Anteil an der insgesamt guten Grundstimmung hat das günstige Finanzierungsumfeld. Mehr als 80 Prozent empfinden die derzeitigen Finanzierungsbedingungen als gut bis sehr gut. 53 Prozent der Unternehmen planen in den kommenden sechs Monaten Investitionen, vor allem um zu expandieren. Dafür brauchen die

Unternehmen auch Fremdkapital: Mehr als die Hälfte der befragten Mittelständler (56 Prozent) gibt künftigen Finanzierungsbedarf an. Der klassische Bankkredit erzielt dabei besonders hohe Beliebtheitsraten: Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen (98 Prozent), die im kommenden Halbjahr Fremdkapital brauchen, möchte auf dieses Finanzierungsinstrument setzen. Ein großer Vertrauensbeweis für die Banken. Mit Abstand folgen Förderdarlehen sowie Leasing und Factoring.

„Das Mittelstandsradar liefert viele aktuelle Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Unternehmen. Er ist besonders aussagekräftig, da zwei Drittel der Befragten Eigentümer, CEO oder Finanzvorstände des jeweiligen Unternehmens sind“, sagt Prof. Dr. Bernhard Boockmann, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen e.V. (IAW). Das Institut hatte im September im Auftrag der LBBW in der repräsentativen Umfrage gut 200 Entscheidungsträger aus der Leitungsebene mittelständischer Unternehmen nach Entwicklungen, Einschätzungen und Absichten befragt. Das Mittelstandsradar ist ein bedeutender innovativer Gradmesser der wirtschaftlichen Lage und erscheint seit dem Frühjahr 2018 halbjährlich.