Wachstum mit Fragezeichen

2022 soll die deutsche Wirtschaft um 5,0 Prozent wachsen. Das prognostiziert LBBW Research im Kapitalmarkt Ausblick – und liegt damit am oberen Rand der Prognosen.

Schwimmerin springt in einen Pool, Unterwasseraufnahme

Das Fragezeichen geht um in Ökonomen-Kreisen. Wann und wo wird der aktuelle Anstieg der Energiepreise enden? Werden die hiermit im Zusammenhang stehenden Inflationssorgen die führenden Notenbanken der Welt dann doch kurzfristig zu einem ersten Zinsschritt aufwärts seit Jahren animieren? Wie lange und wie heftig wird die vierte Corona-Welle? Wann zeigen sich die weltweiten Lieferketten endlich wieder stabil?

Zwar tragen auch die Prognosen für das Wachstum 2022 viele Fragezeichen. Zunächst aber zeigen sie für das kommende Jahr steil nach oben. Die Bundesregierung: plus 4,1 Prozent; die EU-Kommission: plus 4,6 Prozent; der Sachverständigenrat – die fünf Weisen: plus 4,6 Prozent; das Münchner ifo-Institut: plus 5,1 Prozent!

5 %

soll die gesamtwirtschaftliche Leistung im kommenden Jahr wachsen.

Auch die LBBW-Volkswirtinnen und -Volkswirte rechnen für das kommende Jahr mit einem robusten Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Leistung, und zwar um 5,0 Prozent. Damit befinden sie sich zwar in guter Gesellschaft, aber die Prognose liegt doch eher am oberen Rand der Spanne aller aktuell verfügbaren Vorhersagen.

Stabile Nachfrage sorgt für Optimismus

Grund für Konjunktur-Optimismus sehen alle Prognostiker in einer stabilen Nachfrage. Nach asketischen Wochen und Monaten während pandemiebedingter Lockdowns sind die Konten gut gefüllt. Der Run auf den Handel ist groß. Durch lange Lieferzeiten sei sogar mit einem Überhangeffekt ins kommende Jahr zu rechnen, schreiben die Volkswirte der LBBW im jüngst veröffentlichten Kapitalmarkt Ausblick. „Wir befinden uns noch immer am Anfang einer konjunkturellen Erholung. „Die Auftragsbücher der Unternehmen sind prall gefüllt“, so Thomas Meißner, Abteilungsleiter Makro- und Strategy-Research, in der LBBW-Analyse. Die LBBW-Experten gehen davon aus, dass sich die Probleme der Lieferketten in den kommenden Monaten zusehends auflösen werden. Im Zusammenspiel mit der zurückgestauten Nachfrage dürfte hiervon ein gehöriger Schub ausgehen.

Doch ganz wolkenfrei ist der Konjunkturhimmel nicht. Erstens waren die Prognosen für das jetzt zu Ende gehende Jahr vielfach optimistischer als die Realität und müssen nun reihenweise revidiert werden. Der Sachverständigenrat geht aktuell von 2,7 Prozent für 2021 aus, nachdem die Wirtschaftsweisen noch im Frühjahr von einem Plus von 3,1 Prozent geschrieben hatten. Das LBBW Research sieht aktuell ein Wachstum von 2,8 Prozent für 2021, gegen den Trend angehoben vom Frühjahr, als noch 2,5 Prozent erwartet worden waren.

Zweitens ist das Corona-Thema quasi über Nacht wieder ganz oben auf der Agenda angelangt. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht bereits den „Notstand“ in Deutschland erreicht. Nach einem „Sommermärchen“ 2021, als wieder fast alle Freizeitbeschäftigungen möglich waren, geistern nun wieder Unworte wie „Lockdown“ und „Shutdown“ durch die Gazetten. Welchen Einfluss das am Ende auf die ersehnte Konjunkturerholung haben wird, ist ungewiss; entscheidend wird sein, wie umfassend neuerliche Anti-Corona-Maßnahmen ausfallen werden. Bei alledem wissen wir seit Ludwig Erhard: Die Hälfte des Wirtschaftens ist Psychologie.

Und Drittens? Drittens spielen die Notenbanken und ihre Zinspolitik naturgemäß eine nicht zu unterschätzende Rolle. Seit Beginn der Pandemie haben die Zentralbanken in Island, Polen, Russland, Tschechien, Rumänien und Ungarn ihre Leitzinsen wieder angehoben. Jenseits Europas haben die Notenbanken in Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und Südkorea die Zinswende eingeläutet. Jetzt geht es ans Kaffeesatzlesen, wie die Aussagen von Vertretern der global wichtigsten Notenbanken zu werten sind: der EZB und der Fed. Zwar sieht US-Notenbank-Chef Jerome Powell „die Zeit noch nicht reif für eine Leitzinserhöhung“. Aber es geht um das kleine Wort „noch“. Die LBBW-Volkswirte gehen für das vierte Quartal 2022 von einer ersten neuerlichen US-Leitzinserhöhung aus. Für die EZB geht es bei alledem allem Anschein nach darum, nicht verfrüht an der Zinsschraube zu drehen; EZB-Leitzinsanhebungen sind, so die LBBW-Expertinnen und -Experten, einstweilen kein Thema.

Steigende Preise? Kein Dauerthema

16500 Punkte

zum Jahresultimo 2022 erwartet das LBBW Research für den DAX.

Für die Fachleute der LBBW spielen Negativszenarien wie eine längerfristig anhaltende vierte Corona-Welle, anhaltendes Inflationsrisiko und das In-Gang-Setzen einer Lohn-Preis-Spirale mit dann auch deutlich steigenden Zinsen mit einem Restrisiko von 20 Prozent eine Rolle in ihrer Prognose. In ihrem Hauptszenario (Wahrscheinlichkeit 65 Prozent) bleibt Corona beherrschbar und die Weltwirtschaft auch im kommenden Jahr auf einem soliden Wachstumskurs. „Die Inflation bleibt zwar auch 2022 ein Thema.“ Das Risiko steigender Preise dürfte aber in der zweiten Hälfte des neuen Jahres an Brisanz verlieren. Für den deutschen Leitindex DAX erwartet die LBBW einen Stand von 16.500 Punkten zum Jahresultimo 2022.