13.04.2022

Emissionshandel - Es ist 3 vor 12

LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer über den EU-Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument zur Eindämmung des Klimawandels.

Rauchende Schornsteine vor blauem Himmel
Rauchende Schornsteine vor blauem Himmel

Noch deutlicher geht’s eigentlich nicht: Anfang April mahnte der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC), dass die Menschheit gerade dabei ist, die Ziele des Klimaabkommens von Paris erheblich zu verfehlen. Die durch Pandemie und Krieg geschwächten Volkswirtschaften des Planeten müssen unverzüglich einen Weg finden, die notwendige Rückführung von Treibhausgasen (THG) möglichst wirtschaftsfreundlich auf den Weg zu bringen.

Das europäische Emissionshandelssystem EU-ETS kann hierbei als Vorbild dienen. Zwar gibt es weltweit bereits eine Reihe von Emissionshandelssystemen, die unverbunden miteinander existieren. Aber bis wir eine globale Bestlösung haben, sollte das EU-ETS in anderen Ländern und Weltregionen weiter Schule machen und möglichst harmonisiert werden. So kämen wir der Situation näher, dass die Emission einer Tonne CO2 überall auf der Welt den gleichen Preis kostet. Denn umsonst wird es Klimaneutralität nicht geben. Aber wir können die Anpassungskosten so gering wie nötig halten, wenn wir uns auf marktwirtschaftliche Mechanismen besinnen. Und die EU hat mit dem ETS einen wegweisenden kosteneffizienten Mechanismus entwickelt, der alsbald durch ein Grenzausgleichssystem wettbewerbsneutral gemacht werden wird.

Europas Wirtschaft basiert auf einem fest verankerten Fundament marktwirtschaftlicher Prinzipien. Dieser Ansatz hat sich langfristig gegenüber alternativen Formen des Wirtschaftens als überlegen herausgestellt in Bezug auf die Schaffung von Wachstum und Wohlstand. Wir tun gut daran, an den bewährten Prinzipien festzuhalten. Das darf aber nicht blindlings geschehen. Denn wenn unzählige Individuen unabhängig voneinander individuelle Entscheidungen treffen, dann kann das auch Probleme aufwerfen. Beispielsweise steht zu vermuten, dass aus einem ungebändigten marktwirtschaftlichen Prozess eine Vermögens- und Einkommensverteilung resultieren würde, die den intrinsischen Werten von Fairness und Gerechtigkeit der meisten Bürgerinnen und Bürger entgegenstehen dürfte.

Klimawandel als Marktversagen

Marktversagen kann aber auch darin bestehen, dass die Preissignale ein Verhalten ermutigen, das langfristig unseren Wohlstand oder gar unser Überleben in Frage stellen. Wenn unser eigener Verbrauch die Wohlfahrt anderer einschränkt, auch zukünftiger Generationen, dann erzeugen wir negative externe Effekte. Das heißt, der von uns gezahlte Preis deckt nur einen Teil der Kosten, die unser Handeln verursacht. Der andere Teil wird auf die Allgemeinheit abgewälzt oder „externalisiert“. Deshalb besteht die Tendenz, solche Verbräuche zu stark zu nutzen, weil die Wohlfahrtseinbußen unserer Mitmenschen durch marktwirtschaftlich gebildete Preise nicht abgebildet werden.

Das prominenteste Beispiel ist der Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen (THG) durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Ölprodukten. Nicholas Stern, der Doyen der Klimaökonomen, nennt dementsprechend den Klimawandel auch das größte Marktversagen in der Geschichte der Menschheit. Das klingt vielleicht etwas hochtrabend, ist es aber nicht. Denn tatsächlich kann die menschengemachte Erhitzung unseres Planeten nicht nur Naturkatastrophen produzieren, sondern auch die Biodiversität gefährden und damit auch die Lebensgrundlage für Millionen, im Ernstfall auch Milliarden Menschen.

Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer

Das europäische Modell des Emissionshandels sollte weltweit Schule machen

Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW

Deshalb hat sich die Staatengemeinschaft 2015 in Paris in einem völkerrechtlichen Vertrag zur Begrenzung der Erderwärmung verpflichtet. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Der scheinbar direkteste und effektivste Weg der Reduzierung von THG-Emission ist ein Verbot oder gesetzliche Vorgaben, die einen Rückgang erzwingen. Dieser Ansatz wurde etwa erfolgreich angewandt zur Bekämpfung des Ozonlochs. Im Montrealer Abkommen von 1987 wurden die für das wachsende Ozonloch verantwortlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) nach einem kurzen Anpassungszeitraum verboten. Dass die junge Generation mit dem Wort Ozonloch nicht mehr vertraut ist, ist ein eindrucksvoller Beleg für den Erfolg dieses interventionistischen Ansatzes.

Leider lässt sich das Modell nicht unmittelbar auf die Treiber des Klimawandels übertragen. Denn im Falle des Ozonlochs gab es global nur eine relativ geringe Zahl von FCKW und ähnlichen Stoffen und unschädliche Ersatztechnologien waren verfügbar. Bei den THG und vor allem beim Kohlendioxid (CO2) stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Prozesse, die CO2 produzieren, sind allgegenwärtig, und jeder der fast 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten hat einen mehr oder minder großen CO2-Fußabdruck. Die derzeitigen frenetischen Versuche, sich von der Abhängigkeit russischer fossiler Energiequellen zu befreien, zeigen, wie schwierig die Substitution von Öl, Gas und Kohle ist. Ein „Verbot“ fossiler Brennstoffe würde zu einem kompletten Zusammenbruch der Weltwirtschaft und Not und Elend führen.

Preissignale nutzen, um die Kosten von Net Zero gering zu halten

Um die ökonomischen Kosten der notwendigen Dekarbonisierung der globalen Wirtschaft möglichst gering zu halten, können marktwirtschaftliche Lenkungsinstrumente eingesetzt werden. In der EU ist der CO2-Emissionshandel ein zentrales Instrument (ETS, Emission Trading System). Hierbei werden Emissionsrechte an europaweit über 10.000 energieintensive Unternehmen verteilt, vor allem in den Bereichen Energie und der energieintensiven Industrie (z.B. Stahl, Zement, Chemie), die für den überwiegenden Teil Emissionen in Europa verantwortlich sind.

Diese Emissionsrechte sind handelbar und die Anzahl der Emissionsrechte in Umlauf wird gesetzlich jährlich um 2,2 Prozent (bis 2021: 1,7 Prozent) reduziert, um dem angestrebten Net-Zero Ziel graduell näher zu kommen. ETS ist deshalb konzeptionell ein „Cap and Trade“-Ansatz, in dem die gesamten Emissionen fixiert sind, aber unter den Verschmutzern gehandelt werden können. Dies soll sicherstellen, dass die volkswirtschaftlichen Kosten der Emissionsreduzierung so gering wie möglich gehalten werden: ein Unternehmen, welches durch geringe Investitionen seinen CO2-Ausstoß verringern kann, zum Beispiel aufgrund einer technologischen Innovation, wird diese Investition durchführen und die teureren Zertifikate, die es nun nicht mehr benötigt, an ein Unternehmen mit höheren Emissionsvermeidungskosten verkaufen. So werden die Emissionsreduzierungen europaweit wirtschaftsschonend und verbindlich umgesetzt.

8 Prozent

der weltweiten CO2-Emissionen entfallen auf die 27 EU-Staaten

Herausforderung und Evolution des Emissionshandels

Der marktwirtschaftskonforme Preisanreiz des EU-ETS konnte nicht verhindern, dass anfangs einige Kinderkrankheiten belasteten. Diese werden nun sukzessive korrigiert.

  • Das EU-ETS wird nur auf Energiewirtschaft und Industrie angewandt und somit nur auf weniger als 50 Prozent aller CO2-Emissionen in der EU. Die Mitgliedstaaten haben Reduktionsziele auch für Sektoren außerhalb des EU-ETS vereinbart. Diese betreffen insbesondere die Bereiche Verkehr, den Gebäudesektor und die Landwirtschaft. Emissionsminderungen sollen hier durch eher kleinteilige, diskretionäre und nationale Maßnahmen erreicht werden. Eine Inklusion aller emittierenden Sektoren in den ETS wären zu präferieren, um auch hier die geringstmöglichen Vermeidungskosten zu gewährleisten. Dem steht aber nicht nur entgegen, dass hierzu ein Konsens aller 27 Mitgliedsstaaten notwendig ist. Auch die Kleinteiligkeit aller Emissionsquellen erschwert eine Umsetzung.
  • Andere Treibhausgase als CO2 sind zum Teil noch nicht in das EU-ETS integriert. Allerdings dominieren die CO₂-Emissionen mit einem Anteil von über 80 Prozent die Treibhausgas-Emissionen der EU-27. Die Emissionen von Methan (CH4) und Lachgas (N₂O) liegen mit einem Anteil von um die 11 Prozent bzw. 7 Prozent deutlich niedriger. Allerdings ist zu beachten, dass deren Treibhauswirkung teilweise ein Vielfaches ist. Das bedeutet aber auch, dass selbst bei einer angenommenen Erreichung von net-zero bei CO2 die EU immer noch nicht klimaneutral wirtschaften würde, solange der Ausstoß anderer THG ungebremst weitergeht. Aber es gibt Fortschritte: Seit 2013 umfasst die EU-ETS auch Lachgas und Fluorkohlenwasserstoff.
  • Das EU-ETS gilt nur für die 27 Mitgliedsstaaten. Auf diese entfallen aber „nur“ etwa 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. (Kumulativ seit 1751 sind diese 27 heutigen Staaten allerdings für über 17 Prozent aller Emissionen verantwortlich, mehr als China. Die 5 Prozent Großbritanniens sind hier schon herausgerechnet). Die Gefahr besteht deshalb, dass die Verteuerung energie- und emissionsintensiver Aktivitäten dazu führt, dass sich solche Aktivitäten ins Ausland verlagern („carbon leakage“). Damit würden die erwünschten klimapolitischen Effekte wieder zunichtegemacht und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der EU geschwächt. Zunächst hat die EU versucht, diesem Risiko zu begegnen, indem „kostenlose“ Emissionszertifikate an Industrien vergeben wurden, die von dieser Gefahr besonders bedroht schienen. Damit wurde natürlich unmittelbar der Anreiz zur Emissionsreduzierung geschwächt. Der Europäische Rat beschloss deshalb im März 2022 im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets der EU ein CO2-Grenzausgleichssystems. Mit diesen „Klimazöllen“, die 2026 eingeführt werden, soll verhindert werden, dass Einfuhren aus Drittländern mit weniger ambitionierten Emissionszielen die in Europa gemachten Bemühungen zugunsten von Klimaneutralität konterkarieren. Im Zuge der Einführung dieser Klimazölle werden die kostenlosen Zertifikate entfallen.

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