Der Mittelstand ist eine zentrale Säule der deutschen Wirtschaft – und steht vor großen Veränderungen. Etwa 190.000 Unternehmen benötigen zwischen 2022 und 2026 altersbedingt eine neue Firmenleitung. Die Nachfolgeregelung ist ein komplexer Prozess, bei dem es auch um Arbeitsplätze geht. Das LBBW Research hat die aktuelle Situation in der neuen Studie „Mittelstand steht vor gewaltiger Nachfolgeherausforderung“ analysiert. Firmenleiterinnen und -leiter gehören in Deutschland nicht mehr zu den jüngsten. 29 Prozent der mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer sind bereits älter als 60 Jahre. Bis 2035 wird die Hälfte von ihnen das Rentenalter erreichen. Die Bedeutung der Nachfolgeregelung steigt massiv. Sie entscheidet mit über den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen, über die Wertschöpfung und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes. Das liegt nicht allein an den Unternehmen selbst, sondern ist ein Spiegel des demografischen Wandels. Heute ist jede zweite Person in Deutschland älter als 45 Jahre – und das macht sich immer stärker im Wirtschaftsleben bemerkbar. Unternehmen müssen frühzeitig handeln.
Die allgemeine Nachfolgeproblematik lässt sich statistisch erfassen: Seit 2013 berät die Industrie- und Handelskammer (IHK) mehr Senior-Unternehmer als potenzielle Nachfolger. Im Jahr 2019 baten 7.227 Senior-Inhaberinnen und -Inhaber ihre IHK um Hilfe bei der Unternehmensnachfolge. Dem gegenüber waren jedoch nur 4.302 Personen an einer Firmenübernahme interessiert. Das sind rund halb so viele wie noch im Jahr 2009. Für mögliche Jung-Unternehmer ohne eigene Gründungspläne gibt es ein großes Angebot an etablierten Firmen, die zum Verkauf stehen: Auf einschlägigen Plattformen wie nexxtchange steht ein Kaufgesuch drei Verkaufsangeboten gegenüber.
Bei Ärzten entsteht ein massives Ungleichgewicht
"Das gleiche Bild zeichnet sich bei niedergelassen Ärzten ab: Derzeit gibt es deutlich mehr Ärzte, die ihre Praxis zum Verkauf anbieten, als Mediziner, welche eine Praxis suchen. „Für ihre Nachfolgeregelung sollten Medizinerinnen und Mediziner fünf Jahre einplanen und systematisch vorgehen“, sagt Analyst Andreas da Graça von LBBW Research. Eine Checkliste, wie sie beispielsweise die Studie von LBBW Research vorstellt, kann helfen. Denn die Situation verschärft sich noch: Laut Bundesärztekammer scheiden rund 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in den kommenden Jahren altersbedingt aus dem Berufsleben aus. Verläuft die Entwicklung so weiter, sind im Jahr 2035 voraussichtlich 11.000 Hausarztstellen unbesetzt. Das Ergebnis: Rund 40 Prozent der deutschen Landkreise wären dann medizinisch unterversorgt. Weil gleichzeitig aber die Zahl älterer Menschen wächst, steigt auch der medizinische Betreuungsbedarf – hier entsteht ein massives Ungleichgewicht. Eine erfolgreiche Nachfolgesuche sichert den Fortbestand von Arztpraxen und ist deshalb wichtig für die medizinische Versorgung.
„Das deutliche Sinken des Übernahmeinteresses bei Unternehmen dürfte der demografischen Entwicklung geschuldet sein. Das Wichtigste für Unternehmerinnen und Unternehmer ist deshalb, den Nachfolgeprozess frühzeitig, systematisch und mit Fingerspitzengefühl einzuleiten und alle relevanten Interessengruppen einzubeziehen. Denn es geht um Arbeitsplätze und um das eigene Lebenswerk“, so Analyst da Graça. Hinzu kommen noch komplexe steuerliche und rechtliche Fragen. „Als Faustregel gilt: Spätestens zwei Jahre vor der Übergabe sollten Unternehmerinnen und Unternehmer mit der Suche beginnen. Und spätestens ab einem Jahr vor der Übernahme sollten externe Expertinnen und Experten den Nachfolgeprozess begleiten“.
Es gibt viele Lösungsmodelle
Eine Unternehmensübergabe ist komplex und emotional. Die große Zahl an möglichen Nachfolgevarianten erlaubt es aber, passende Lösung zu finden. Fast nie gewünscht ist die Stilllegung beziehungsweise Auflösung des Unternehmens. Doch selbst diese Lösung stellt hohe juristische Herausforderungen und bedarf einer systematischen Vorbereitung. Soll das Unternehmen weitergeführt werden, sind beispielsweise Familienmitglieder, Miteigentümer, Mitarbeitende oder externe Käufer potenzielle Nachfolgekandidaten. Auch die Gründung einer Stiftung ist eine Möglichkeit – das Unternehmen bleibt dabei als solches erhalten und zerfällt nicht in Erbteile.