26.06.2024

Warum Deutschland und die EU auf Partnersuche sind

Das Verhältnis zwischen den USA und China wird frostiger. Will Europa sich als dritte Wirtschaftsmacht etablieren, braucht es neue Partner: im Globalen Süden.

Ein Fluss mit einer Brücke in einer großen Stadt
Ein Fluss mit einer Brücke in einer großen Stadt

Die westliche Vorherrschaft in Wirtschaft und Politik war lange selbstverständlich. Das ändert sich. China und Russland versuchen, die Welt neu in Einflusssphären aufzuteilen. Damit steigt die wirtschaftliche und politische Relevanz der Länder des sogenannten Globalen Südens. Folgerichtig präsentieren sich die Staaten in diesen Einflusssphären zunehmend fordernd. Die Europäische Union weiß mit diesem Selbstbewusstsein bislang nicht so recht umzugehen – zumal es ihr an angemessenem Selbstbewusstsein und überzeugenden Mitteln zur Machtentfaltung in dieser neuen Welt fehlt. Dass die EU an Einfluss verliert, ist aufgrund ihres unzureichenden außen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums vielleicht nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar unvermeidbar. Das heißt, dass nun die starken Mitgliedstaaten wieder stärker ran müssen, nach innen wie nach außen. Ein Dilemma: Denn durch die Rückverlagerung von Verantwortung riskiert die EU Kohärenz und Schlagkraft und schwächt überdies das internationale regelbasierte Wirtschaftsgefüge, das sie bislang als Normensetzer prägt.

Was also tun, wenn die Großmächte den aufstrebenden Globalen Süden politisch umwerben und dabei mitunter auch robust bedrängen, Russland noch dazu mit enorm destruktiver Kraft? Die europäischen Staaten werden nicht tatenlos zuschauen können, wie sie von den USA und China an den Rand gedrängt werden. Der Auseinandersetzung der Systeme –Staatswirtschaft und Autokratie dort, Marktwirtschaft und Demokratie hier – können sie nur mit neuen „strategischen“ Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens begegnen. In diesen deutlich hemdsärmeliger umkämpften Märkten, in denen auch um die Ressourcen für die Wirtschaft von morgen gerungen wird, einschließlich um ihre „klugen Köpfe“, werden sich auch die deutschen Unternehmen schnell und angemessen positionieren müssen.

Im Globalen Süden wird sich die „strategische Stärke“ der EU zeigen müssen, auch in einer Welt des Protektionismus langfristig tragfähige Partnerschaften zu ermöglichen.

Dr. Ulrich A. Sante, als Vice Chairman der LBBW für die Auslandsaktivitäten der Bank zuständig

Da viele dieser Staaten selbst nicht zwischen die Räder geraten wollen und oftmals dem „Westen“ kritisch gegenüberstehen, ist das keine leichte Aufgabe. Die EU-Staaten werden bei der Suche nach neuen Partnern daher verstärkt auf solche Länder setzen müssen, die einerseits auf den Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung angewiesen sind und andererseits über politischen und wirtschaftlichen Einfluss in ihrer Region verfügen, strategisch relevante Länder also. Das könnten in Asien beispielsweise Indien und Indonesien oder auch Malaysia sein. In Afrika schieben sich neben etablierten Partnern wie Südafrika, Ägypten und Marokko auch Kenia oder Äthiopien in den Fokus. In Lateinamerika gilt es, die Bande vor allem zu Brasilien auszubauen – ebenso wie die Beziehung zu Mexiko, das den US-Markt im Blick hat. Zugleich sollten wir mehr auf Argentinien schauen, eines der potenziell reichsten Länder der Welt, das sich gerade von China abkoppelt und sich unter seiner neuen Regierung stark nach Westen ausrichtet.

De-Risking – ein zweischneidiges Schwert

Aufgrund der Aufgabe, neue Partnerschaften zu schmieden, müssen die deutschen und generell die europäischen Unternehmen jetzt Chancen und Risiken neu abwägen. Um im Globalen Süden überhaupt punkten zu können, müssen sie häufig genug neue Risiken eingehen. Dabei war in den vergangenen Jahren „De-Risking“ ihre Maxime, um sich unabhängiger zu machen von anfälligen Lieferketten. Die Folgen der Corona-Pandemie sowie des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigten überdeutlich, wie schnell sich die globalen Wirtschaftsströme stauen können. Folgerichtig wurden, wenn irgend möglich, die Lieferketten resilienter gestaltet. Das bedeutet beispielsweise, dass Ressourcen nach Möglichkeit eher aus dem europäischen Raum denn aus anderen Kontinenten bezogen werden.

Das allerdings ist nur bedingt möglich, denn viele Rohstoffe und andere Ressourcen gibt es nur jenseits von Europa. Zum Beispiel im Globalen Süden. Das bedeutet für Deutschland und alle EU-Staaten zuallererst, sich mit verstärktem wirtschaftlichen Einsatz – begleitet von politischer Unterstützung – auf den Zugang zu und die Sicherung von strategisch wichtigen Ressourcen zu konzentrieren.

Dr. Ulrich Sante, Vice Chairman der LBBW

Dr. Ulrich A. Sante ist seit August 2023 Vice Chairman der LBBW. Er ist für die Auslandsaktivitäten der Bank zuständig und vertritt die Bank bei wichtigen internationalen Institutionen. Der promovierte Jurist war lange Jahre im diplomatischen Dienst unterwegs, unter anderem an den Botschaften in Vilnius, Washington und Madrid sowie bei den Ständigen Vertretungen Deutschlands bei der EU und später der NATO in Brüssel. 2017 wurde Dr. Sante zum deutschen Botschafter in Singapur bestellt. Von 2020 bis 2023 leitete er die deutsche Botschaft in Buenos Aires.

Das ist kein Selbstläufer, denn China und die USA – wie auch alle anderen fortgeschrittenen und aufstrebenden Volkswirtschaften – sind ebenso an diesen Ressourcen interessiert. In diesem Buhlen auf engem Raum hat die Europäische Union umso bessere Karten, je eher sie als Einheit auftritt. Hier wird sich ihre „strategische Stärke“ zeigen müssen, auch in einer Welt des Protektionismus und der gegenseitigen Abschottung langfristig tragfähige Partnerschaften zu ermöglichen und mit Leben zu füllen. Sonst scheitert sie im neuen Kräftevergleich, noch bevor der Kampf so richtig begonnen hat.

Die LBBW ist schon vor Ort

Mit dem Zwang zur Diversifizierung ihrer Versorgungs- und Absatzketten und der Eroberung neuer Märkte erhöht sich für die Unternehmen zeitgleich der Bedarf an Informationen. Sie müssen wissen, wo im vielseitigen Globalen Süden sich neue Chancen ergeben, wo strategische Risiken liegen, wie sie gelagert sind – und wer von den Wettbewerbern dort schon längst unterwegs ist.

Als LBBW, global vertreten mit 16 Standorten in 15 Staaten, sind wir bereits heute rund um den Globus breit aufgestellt, um unseren Unternehmen in der Erkundung und Bewertung der neuen geopolitischen und geoökonomischen Rahmenbedingungen als verlässlicher Partner zur Seite zu stehen. Der Wettbewerb wird in Zukunft von uns verlangen, vermehrt auch schon vor ihm vor Ort zu sein. Erste schnelle Risikoeinschätzungen sind gefragt, ebenso der verlässliche Vergleich von Vor- und Nachteilen verschiedener Standortoptionen. Damit verbunden ist womöglich der Hinweis auf interessante Handlungsalternativen. Was uns beide nachhaltig interessiert, Unternehmen wie Bank: Unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit auch im Angesicht der kälteren Winde der „polaren Welt“ wetterfest zu machen.

Unternehmen müssen wissen, wo im vielseitigen Globalen Süden sich neue Chancen ergeben, wo strategische Risiken liegen und wie sie gelagert sind.

Dr. Ulrich A. Sante, als Vice Chairman der LBBW für die Auslandsaktivitäten der Bank zuständig

Die Zugkraft der deutschen Wirtschaft

Sich angesichts der sich verändernden Weltlage auf den „Schutzraum“ Europäische Union zurückzuziehen, auf unseren Binnenmarkt, ist für die wenigsten deutschen Unternehmen eine attraktive Option, jedenfalls nicht derzeit. Unisono beschweren sich deutsche Unternehmen über die ständig zunehmende Last durch Bürokratie, Regularien, Steuern und Energiepreise. Es hat seinen Grund, dass das LBBW Research für das aktuelle Jahr ein Wachstum von bescheidenen 0,3 Prozent erwartet: „Deutschland befindet sich 2024 in einer Stagnationsphase, die sich bei einer mangelhaften Standortpolitik in eine Dauerstagnation wandeln könnte.“ Nicht wenige schreiben diese Prognose für die nächsten Jahre fort. Eine mögliche Folge: Unternehmen sehen sich zunehmend gezwungen, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten deutlich stärker als bisher ins Ausland zu verlagern. Dorthin, wo die Rahmenbedingungen besser sind.

Wenn das deutsche und weiter gefasst das europäische Wirtschaftsmodell zusehends an Zugkraft verliert, sinkt auch seine Attraktivität – sprich: Relevanz – für mögliche Partner im Globalen Süden. Und das wäre fatal. Die Zeit läuft.

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