Chips dringend gesucht

Elektronische Bauteile sind plötzlich heiß begehrt und in den Regalen der Weltmärkte nahezu ausverkauft. Den Grund dafür kennt LBBW Sector Head TMT Michael Weiss.

Makroaufnahme eines Halbleiters, der von einer Pinzette umgriffen wird

Und was nicht alles fehlt. Ganz plötzlich. Verpackungsmaterial ist knapp. Stahl, Zink, Aluminium auch knapp. Holz, die Preise sind explodiert. Kunststoffe. In vielen Branchen macht mittlerweile das Wort Mangelwirtschaft die Runde. Und das Münchener Ifo-Institut kommt nach einer Umfrage in verschiedenen Branchen zu dem erstaunlichen Ergebnis: So schlimm wie jetzt war die Lage zuletzt 1991 – also vor 30 Jahren.

Michael Weiss - Sektorenexperte Technologie, Medien und Telekommunikation

Die fehlenden elektronischen Vorprodukte sind ein hausgemachtes Problem vieler Industrien.

Michael Weiss, LBBW Sector Head TMT

Der größte Mangel herrscht bei elektronischen Bauteilen: Mikroprozessoren, Speicherchips, Steuerungselementen, Halbleiter. Diese Bauteile fehlen an allen Ecken und Enden. Aber während für die Misere bei Pappe, Zink und Aluminium noch das querstehende Schiff „Evergiven“ im Suezkanal als Begründung herhalten musste oder die globalen Lieferketten insgesamt, sind die fehlenden elektronischen Vorprodukte eher ein hausgemachtes Problem vieler Industrien.

Missglückte Kalkulationen für die Nachfrage

Der Grund ist der zuweilen von vielen Industrieunternehmen völlig falsch kalkulierte Nachfrageboom. Und: Sind die jetzt laut klagenden Autohersteller beim Einkauf üblicherweise die Platzhirsche gegenüber ihrer Lieferkette und konnten nachordern, wann immer sie wollten, sieht das auf dem Chipmarkt ganz anders aus. Vor allem die Smartphone- und IT-Gerätehersteller und nicht zuletzt die Unterhaltungsindustrie fegen mit ihren Orders den Markt leer. NVIDIA, Intel, TSMC, die führenden Chiphersteller der Welt, liefern an Apple, LG, Samsung, Sony Panasonic und Huawei. Die Autobauer haben das Nachsehen.

Eine neue Recheneinheit ist vorgesehen – Yottabytes.

Michael Weiss, LBBW Sector Head TMT

Ein paar Zahlen? Ein paar Zahlen dazu! Das globale Datenvolumen stieg zuletzt schneller als die Maßeinheiten dafür. Reichten bis vor wenigen Jahren noch Giga- und Terabyte, um den Informationsfluss zu quantifizieren, sind es jetzt Zettabytes und Exabytes. Eine neue Recheneinheit ist bereits vorgesehen – Yottabytes.

Smart Home. Smart Living. Smart Mobility

Corona und das Homeoffice mit Arbeiten in der Cloud und Videokonferenzen machten neue Hardware notwendig. Abends dann streamen statt essen gehen. Smarte Fernseher mussten her. Smart Home. Smart Living. Smart Mobility. Pkws der neuesten Generation fahren elektrisch und sind eine mobile Internetadresse. Und die Next Generation der e-mobilen Autos erleben gerade weltweit eine erstaunliche Nachfrage. Selbst der Toaster ist heute ein intelligenter Küchenhelfer, der nach Chips und Halbleitern schreit.

175 Zettabytes

wird das globale Datenvolumen im Jahr 2025 betragen.

Zwischen heute und 2030 wird es eine Verdopplung des weltweiten Halbleitermarktes geben.

Michael Weiss, LBBW Sector Head TMT

„Es ist der Nachfrageboom“, sagt Michael Weiss, Sector Head der LBBW für Technologie, Medien und Telekommunikation. „Das globale Datenvolumen steigt von 40 Zettabyte – das sind 1021 Bytes – im vorvergangenen Jahr auf 175 Zettabytes 2025“, zitiert er internationale Studien. Das sei ein erstaunlicher Faktor von vier in nur fünf Jahren. Ähnlich steil ist die Kurve, wenn es um den Halbleitermarkt geht. „Zwischen heute und 2030 wird es eine Verdopplung des weltweiten Halbleitermarktes auf rund 1.000 Milliarden Dollar geben.“ Das prognostizieren globale Analysen.

Der TMT-Experte gibt aber auch Entwarnung. „In den kommenden sechs bis zwölf Monaten wird sich der Markt wieder einpendeln.“ Zum einen sei ein gewisser pandemiebedingter Nachfrageüberhang zu spüren, zum anderen würden weltweit neue Produktionskapazitäten entstehen.

Europa liegt mit 10 Prozent an der gesamten Wertschöpfung weit hinten.

Die Zahlen sind beeindruckend: Der derzeitige Gesamtumsatz des weltweiten Halbleitermarktes von rund 500 Milliarden Euro wird fast zur Hälfte in den USA erwirtschaftet, während die Produktion vorwiegend in Asien – Korea, Japan, Taiwan und China – stattfindet. Europa liegt mit 10 Prozent an der gesamten Wertschöpfung weit hinten. Weiss kennt den Grund für die scheinbare Übermacht der USA: „Das liegt daran, dass die Hauptwertschöpfung in Design und Lizenzen liegt und nicht so stark in der Produktion und Assemblierung - ausserdem haben viele der Chiphersteller ihren Firmensitz in den USA", so der LBBW-Fachmann. Und: „Wenn aktuell über die Reduktion der Abhängigkeit Europas von Chips aus China und USA diskutiert wird, sollte man statt über die Subvention einzelner Chipfabriken (die sog. „Fabs“) lieber über Förderung und Ausbau des gesamten Chip-Ökosystems, also inklusive Forschung, Entwicklung und Design, reden. Und schließlich benötigen Automobile und Maschinen ganz andere Chips als Smartphones.“

Die fortschreitende Digitalisierung, das Internet der Dinge, maschinelle Kommunikation – dies alles sind enorme Treiber für das Wachstum in den kommenden Jahren, ist sich Michael Weiss sicher. So werde sich allein der Markt für Software/elektronische Komponenten in Automobilen in den kommenden zehn Jahren auf 470 Milliarden Dollar verdoppeln. Und auch in diesem Segment sendet die Zukunft der Mobilität bereits ihre Signale: Künftig würden die Kosten der elektronischen Komponenten in einem batterieelektrischen Auto mehr als doppelt so hoch ausfallen wie bei einem Verbrenner-Pkw. Mit rund 7.000 Dollar pro Auto wird das E-Mobil der Zukunft einen deutlich teureren Elektronikbaukasten haben als heutige PS-Boliden mit durchschnittlich 3.100 Dollar.