22.08.2025

Das Ehegattensplitting schafft falsche Anreize

Die Steuerregel aus den 1950ern passt nicht mehr in unsere Zeit.

Eheringe auf Geldschein Euro
Eheringe auf Geldschein Euro

Kraemers Klartext

Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer

Die Splitting-induzierten Anreize für viele Frauen, weniger oder womöglich gar nicht zu arbeiten, birgt erhebliche Armutsrisiken für diese Bevölkerungsgruppe.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research

Wie letzte Woche an dieser Stelle diskutiert, muss die Lebensarbeitszeit erhöht werden, um das umlagefinanzierte öffentliche Rentensystem zu sichern. Meistens wird ins Feld geführt, dass man länger arbeiten müsse, also später als bisher in Ruhestand geht. Das ist auch richtig, aber nur ein Teil der Lösung. Ein weiterer Baustein zur Korrektur der finanziellen Schieflage besteht darin, dass wir in den Jahren, in denen wir arbeiten, mehr arbeiten müssen. Deutschland hat eine der höchsten Teilzeitquoten aller entwickelten Volkswirtschaften, vor allem bei Frauen.

Ursprung des Ehegattensplittings

Die Regel, dass Eheleute gemeinsam steuerlich veranlagt werden, stammt aus den 1950er Jahren. Sie wird gerne begründet mit dem im Grundgesetz Artikel 6 verankerten besonderen Schutz der Familie. Allerdings war das Familienbild vor 70 Jahren ein komplett anderes als heute. Die klassische Familie bestand aus einem arbeitenden Mann, einer Hausfrau und zwei bis drei Kindern. Vor 1977 war es Frauen in Deutschland noch nicht einmal erlaubt, ohne Genehmigung des Ehemannes eine bezahlte Beschäftigung aufzunehmen. Und früher wurden auch nur sehr wenige Ehen geschieden (siehe Abb. 1), sodass die nicht arbeitende Frau zurecht davon ausgehen konnte, dass für sie auch im Alter gesorgt ist. Die gesellschaftliche Realität heute könnte unterschiedlicher nicht sein.

Abb. 1: Scheidungsrate in Deutschland

in %

Quelle: Destatis, LBBW Research

Die Anreize sind falsch gesetzt

Oft wird versucht, die hohe Teilzeitquote von Frauen durch den Mangel an Betreuungskapazitäten für Kinder zu erklären. Das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Es fehlen in Deutschland schätzungsweise 300,000 Kitaplätze. Aber das kann nicht die einzige Erklärung sein. Denn es passt nicht gut zusammen, dass wir einerseits eine der niedrigsten Geburtenraten (2024 gerade mal 1,35 Kinder pro Frau) und zugleich eine der höchsten Teilzeitquoten weiblicher Beschäftigter (Abb. 2) haben. Obwohl die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen das Arbeitsangebot von Frauen beeinflussen, können sie nicht den hohen Anteil von etwa 45 % kinderloser verheirateter Frauen erklären, die Teilzeit arbeiten.

Abb. 2: Teilzeitquoten Frauen

(G7, 2024), in %

Quelle: OECD, Weltbank (für USA 2023), LBBW Research

Anreize zur Arbeitsaufnahme werden reduziert

Die derzeitige gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren begünstigt Haushalte mit ungleicher Einkommensverteilung zwischen den Ehegatten und führt zu hohen effektiven Steuersätzen für Zweitverdiener mit geringerem Einkommen, bei denen es sich meist um Frauen handelt. Wenn die Ehefrau zusätzlich zum Mann Vollzeit arbeitet, wird ihr Einkommen weit höher besteuert als in anderen OECD Ländern. Diese negativen finanziellen Anreize werden verstärkt durch das System der kostenfreien Mitversicherung in der Krankenkasse von nicht arbeitenden Ehepartnern. Nimmt der Partner, oder meist die Partnerin, eine Arbeit auf, dann muss sie eigene Beiträge zahlen. Die effektive Besteuerung bei Arbeitsaufnahme ist in Deutschland eine der höchsten in der OECD (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Effektive Besteuerung Zweitverdiener in der Ehe bei Arbeitsaufnahme

%, 2024

Quelle: OECD, LBBW Research

Rezept für Altersarmut von Frauen

Die Splitting-induzierten Anreize für viele Frauen, weniger oder womöglich gar nicht zu arbeiten, birgt erhebliche Armutsrisiken für diese Bevölkerungsgruppe. Denn geht die Ehe in die Brüche, dann fehlt den Frauen häufig die kontinuierliche Erwerbsbiographie, um ausreichende Einkommen zu erzielen. Dass die Beiträge zur Rentenversicherung bei einer Scheidung routinemäßig geteilt werden, reduziert diese negative Begleiterscheinung von Trennungen. Dennoch ist es so, dass Frauen überproportional von Altersarmut betroffen sind: In der Altersgruppe 65+ hatten Frauen eine Armutsgefährdungsquote von 21 %, während diese bei den Männern 65+ bei 17 % lag. Bei über 75-jährigen liegen die Quoten noch weiter auseinander: 22 % gegenüber 15 %. Die Alterseinkünfte von Frauen über 65 sind durchschnittlich mehr als ein Viertel niedriger als die von Männern. Ohne Hinterbliebenenrenten beträgt die geschlechtsspezifische Lücke 39 %. Diese große Lücke betrifft eben auch geschiedene Frauen, die aufgrund der Steuerregeln weniger gearbeitet hatten als sie das bei Abwesenheit des Ehegattensplittings getan hätten.

Die Politik lässt eine Win-Win Option liegen

Eigentlich wirkt es wie ein No-Brainer. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings könnte zugleich das Arbeitsangebot erhöhen, die Sozialversicherungssysteme stabilisieren helfen und die Altersarmut von Frauen reduzieren. Bedauerlich, dass man das Wort „Ehegattensplitting“ im Koalitionsvertrag vergeblich sucht. Auch hier gilt wieder: schieben auf die lange Bank. Soll sich doch die nächste Regierung drum kümmern.

Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research

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