15.08.2025
Die Rente ist mit Sicherheit nicht sicher
Aussichten auf eine zielführende Reform gibt es nicht.


Kraemers Klartext
Wenn es einen Satz gibt, der für alle Zeiten unauslöschlich mit einem Politiker verbunden ist, so ist es das „die Rente ist sicher!“ des früheren CDU-Bundesarbeitsministers Norbert Blüm aus dem Jahr 1986. In diesen Wochen wird die Rente wieder einmal heftig diskutiert. Zurecht. Aber was für Blüm noch eine plausible Aussage gewesen sein mag, ist es heute sicher nicht mehr. Denn in den vergangenen 40 Jahren hat sich die demografische Struktur der deutschen Wohnbevölkerung massiv verändert.
Die Bevölkerungspyramide von damals steht Kopf, da in Deutschland die Geburtenrate schon Anfang der 1970er-Jahre – früher als andernorts – abgestürzt ist und pro Frau im Schnitt seither nur noch 1,4 Kinder auf die Welt kommen. Die starken Jahrgänge der in den 1960er-Jahren Geborenen gehen nach und nach in den Ruhestand, und es wächst deutlich weniger nach. Immer mehr Rentner (und Kranke und Pflegebedürftige) treffen auf immer weniger Erwerbstätige, die diese Last durch ihre Sozialbeiträge finanzieren müssen. Wir Boomer haben den Generationenvertrag de facto aufgekündigt, indem wir kollektiv zu wenige Kinder in die Welt gesetzt haben. Jahr für Jahr geht die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus demografischen Gründen um etwa ein Prozent zurück!
Das Rentensystem wackelt
Wir haben kein Erkenntnisproblem
Nichts davon kommt überraschend. Es gibt wenige Trends, die leichter vorhersehbar sind als die Bevölkerungsentwicklung. Aber es ist bei uns wie in anderen Ländern auch: Die Politik traut sich an dieses hochsensible Thema nicht heran.
Die Ratingagentur S&P Global hat für Deutschland simuliert, dass die altersbedingten Kosten (Rente, Gesundheit und Pflege) von derzeit unter 20 % bis 2060 auf mehr als 24 % des BIP steigen werden. Am größten wäre der Kostenauftrieb bei den Renten. Zugleich droht die Wirtschaft wegen grassierenden Fachkräftemangels (noch) langsamer zu wachsen und mit ihr auch die Basis für die Sozialbeiträge. Ohne Kurskorrektur fiele Deutschlands Rating von AAA um zwei volle Kategorien auf A.
Was wir jetzt (noch) tun können
Dennoch zeigt sich die schwarz-rote Regierung bei der Rente ambitionslos. Im Koalitionsvertrag steht, dass alles so bleiben kann, wie es ist („Deshalb werden wir das Rentenniveau bei 48 % gesetzlich bis zum Jahr 2031 absichern. Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, gleichen wir mit Steuermitteln aus.“). Na toll. Tatsächlich macht die Politik die Sache sogar noch schlimmer, indem sie die Mütterrente ausweitet: Das wird den jährlichen Fehlbetrag um 5 Milliarden Euro erhöhen. Erklärbar wird die reformpolitische Lähmung, wenn man sich vor Augen führt, dass die Koalition bei den Wahlberechtigten über 60 Jahren 60 % der Stimmen holen konnte, aber nur ein Viertel der unter 25-jährigen, die letztlich die Zeche werden zahlen müssen. Problem aussitzen, ist die Devise.
Klar ist eins: Ohne die Perspektive, das Arbeitsquantum und somit die Sozialbeiträge zu erhöhen, wird das derzeitige System über kurz oder lang nicht mehr finanzierbar sein. Denn es gilt ja nicht nur, dass die Anzahl der Arbeitnehmer aus demografischen Gründen zurückgehen wird. In Deutschland ist insbesondere aufgrund einer hohen und wachsenden Teilzeitquote auch die Anzahl der jährlich gearbeiteten Stunden pro Beschäftigten niedriger als irgendwo anders in der OECD und 23 % geringer als im Durchschnitt. Uns gehen also nicht nur die Arbeitskräfte aus, sondern die, die noch da sind, arbeiten auch immer weniger. Man kann das als Wohlstandserfolg feiern. Das schließt die Finanzlücke im Rentensystem aber nicht.
Es ist deshalb nicht abwegig, für eine längere Lebensarbeitszeit zu plädieren. Wenn immer das Gespräch darauf kommt, führen Kritiker die wenig repräsentativen Bandarbeiter oder Dachdecker ins Feld. Aber für Leute wie mich ginge das sehr wohl. Ein Renteneintrittsalter nach durchschnittlicher Lebenserwartung wie bisher behandelt den Bauarbeiter (harte körperliche Arbeit) genauso wie den Chefvolkswirt der LBBW (äh, der arbeitet natürlich auch hart, aber irgendwie anders). Das ist ungerecht, denn Geringverdiener mit körperlich harten Jobs bekommen pro Beitragsjahr weniger Jahre Ruhestand finanziert.
Die meisten Dienstleistungsjobs kann man auch noch nach dem gesetzlichen Renteneintrittsalter machen, denken wir nur an den Bundeskanzler. Eine Abkehr von einem uniformen Renteneintrittsalter, das Ungleiches gleichbehandelt, wäre ein gangbarer Weg. Wer länger arbeiten kann, sollte dies auch tun oder eben Rentenabschläge hinnehmen. Stattdessen bummelt die Politik mit einem „Weiter so!“ sehenden Auges in die Demografiefalle.
Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
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