13.09.2024

Draghis Weckruf für Europa

Die Wettbewerbsstrategie enthält viel Gutes. Und Gefährliches.

Diese Woche hat Mario Draghi endlich den lange erwarteten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas vorgelegt. Ihm wird ja zugutegehalten, dass er in der Finanzkrise mit dem legendären Ausspruch: „Whatever it takes to preserve the Euro“ schon ein?mal Europa gerettet habe. Diesmal geht es um nicht weniger als die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Dynamik Europas. Kann Draghi ein zweites Mal das Ruder herumreißen?

Dr. Draghis Diagnose: Wir müssen klotzen, nicht kleckern

Der Bericht dokumentiert eindrücklich, wie Europa bei Innovationen und Produktivitätswachstum immer schneller hinter Konkurrenten wie den USA oder China zurückfällt. Gerade in Schlüsselsektoren der Zukunft wie Künstliche Intelligenz, Pharma und Biotechnologie lassen uns die USA im Staub zurück. Europa reüssiert hingegen in alten Branchen, in denen die Nachfrage langsamer wächst und technologische Durchbrüche seltener sind. Entsprechend niedriger ist die Produktivitätsentwicklung auf dem alten Kontinent. Vor 30 Jahren lag die Produktivität Europas bei 95 % des amerikanischen Niveaus. Heute liegen wir bei unter 80 %. Tendenz fallend. Autsch!

Um hier aufzuholen, fordert Team Draghi eine veritable Investitionsoffensive: Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, Forschung– einfach überall. Europa müsse jährlich etwa 800 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen, um mithalten zu können. Das würde die Investitionsquote von 22 % des BIP auf 27 % er?höhen – ein Niveau, wie wir es seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gesehen haben. Wenn wir die Wachstumsrate nicht anzuheben verstehen, sieht Draghi die Fundamente unserer sozialen Errungenschaften akut in Gefahr. Er hat recht: Die Zeit, in der sich Europa selbst eingeredet hat, dass alles wieder gutwerde, wenn erst einmal alle schwarzen Schwäne (Pandemie, Energiepreise, Krieg) weggeflogen sind, ist endgültig vorüber.

Und täglich grüßt der Eurobond . . .

Zur Finanzierung schlägt er eine Ausweitung der gemeinschaftlichen EU-weiten Verschuldung vor, quasi ein Corona-Wiederaufbauprogramm auf Steroiden. Ein Plan, der weder politisch noch verfassungsrechtlich Chance auf Verwirklichung hat. Das ist gut so und auch nicht notwendig. Der Großteil der Investitionen muss ohnehin vom privaten Sektor kommen. Den Rest müssen nationale Budgets schultern. Eine neu aufflammende Diskussion um die Vergemeinschaftung von Schulden würde die ohnehin angeschlagene Kohärenz europäischer Politik weiter untergraben. Und Populisten und Euroskeptiker stärken, was wiederum Reformen und die Rückkehr unternehmerischen Vertrauens noch unwahrscheinlicher macht. Deshalb: Finger weg!

Wie Investitionen auf den Weg gebracht werden sollten

Aber der Privatsektor hält sich mit Investitionen zurück. Um hier den notwendigen Schwung anzuregen, bedarf es eines Umdenkens im großen Stil, eines radikalen Abbaus von Investitionshemmnissen. Verschärft Bürokratie abbauen, Kapitalmarktunionvollenden, Anreize für Arbeit und Investitionen stärken, Venture Capital für junge Unternehmen fördern und so weiter und so fort. Kleinteilig, mühsam, und nicht so plakativ wie Eurobonds. Aber entscheidend, um Europa in Schwung zu bringen.

Dann braucht es auch keine protektionistische Industriepolitik wie sie Draghi vorzuschweben scheint. Die neue Kommission sollte sich als Reform- und Liberalisierungkommission positionieren. Der Draghi-Plan darf nur in Auszügen zum Regierungsprogramm werden. Zur Förderung des Problembewusstseins hat er aber bereits große Dienste geleistet.

Grazie, Dottore!

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