24.10.2025
Nobelpreisträger mit Tipps für Deutschland
Ohne disruptive Veränderung wird das Wachstum weiter enttäuschen.
Kraemers Klartext
Die Analyse von Philippe Aghion und Peter Howitt passt zu Deutschland, als wären wir das Untersuchungsobjekt gewesen!
Heute möchte ich über den Nobelpreis sprechen. Und zwar nicht über das bereits mehr als hinlänglich ausgewalzte Thema, ob US-Präsident Donald Trump denn nun den Friedensnobelpreis verdient hätte oder nicht, weil er zumindest für den Moment den Krieg in Gaza beendet und keinen neuen in Chicago begonnen hat. Es geht mir um den von Schwedens Zentralbank gestifteten Nobelpreis für Ökonomie. Denn die diesjährigen Preisträger, der Franzose Philippe Aghion und der US-Wissenschaftler Peter W. Howitt haben eine Nachricht für uns in Deutschland.
Schöpferische Zerstörung 2.0
Aghion und Howitt werden ausgezeichnet für ihre Forschungen auf dem Feld der Wachstumstheorie. Sie stehen in der Tradition des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der durch seine Theorie der „schöpferischen Zerstörung“ Berühmtheit erlangte. Demnach ist der Untergang von Unternehmen, deren Geschäftsmodell obsolet ist, eine notwendige Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand. Denn das Verschwinden solcher Firmen schafft Platz und Ressourcen für Neues und Zukunftsträchtiges. Das ist der schöpferische Teil der Zerstörung.
Die längste Zeit ihrer Geschichte verharrte die Menschheit in ökonomischer Stagnation. Seit der industriellen Revolution aber haben sich die Innovationen überschlagen, und der globale Wohlstand nahm zuvor unvorstellbare Ausmaße an. Technologisch überlegenere Produkte ersetzten kontinuierlich alte. In den jüngsten Jahrzehnten beflügelte diese Glücksspirale noch eine immer arbeitsteiligere globalisierte Weltwirtschaft.
Deutschland ist nicht das explizite Untersuchungsobjekt von Aghion und Howitt. Aber ihre Analyse passt auf Deutschland wie die Faust aufs Auge. Autsch! Lange war die deutsche Wirtschaft die Speerspitze der technologischen Entwicklung in der Industrie. „Made in Germany“ war das bewunderte Gütesiegel schlechthin. Und in vielen Bereichen ist das auch heute noch der Fall. Aber gesamtwirtschaftlich betrachtet bleibt festzuhalten, dass Deutschland – wie auch andere Staaten in Europa – der Anschluss an die technologische Weltspitze in immer mehr Branchen entgleitet. „Vorsprung durch Technik“ gilt immer weniger. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Außenhandel seit Jahren das Wachstum nicht mehr beflügelt, sondern bremst, weil unsere Produkte nicht mehr so gefragt sind wie ehedem. Und dass das Produktivitätswachstum seit vielen Jahren rückläufig ist, wie im Klartext vergangene Woche beschrieben.
Nur Mut, Deutschland!
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Deutschland plötzlich dümmer geworden sind. Aber vielleicht bequemer. Und Ökonomen können natürlich leicht auf den „schöpferischen“ und in Zukunft produktivitätssteigernden Teil des Strukturwandels fokussieren. Für Politiker steht aber meist die „Zerstörung“ hier und jetzt im Vordergrund. Nämlich die von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Für die direkt Betroffenen gilt das natürlich allemal. Ebenso für die Medien. Hiobsbotschaften verkaufen sich einfach besser. Monat für Monat melden sie angebliche Rekordinsolvenzen (siehe Abb. 1). Dabei gehören Marktaustritte zu einer dynamischen Marktwirtschaft wie das Amen in die Kirche.
Abb. 1: Insolvenzen in Deutschland
Jahreswerte, in Tausend Unternehmen
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Besonders beeindruckend ließ sich der Prozess der schöpferischen Zerstörung in Deutschland nach der Wiedervereinigung beobachten. Und wer würde – trotz aller Herausforderungen, die bis heute bestehen – behaupten, der Wohlstand in Ostdeutschland sei nicht massiv gestiegen? Diesen Mut zum Wandel müssen wir jetzt in ganz Deutschland aufbringen. Die Industriepolitik darf nicht darauf ausgerichtet sein, Verlierer künstlich am Leben zu halten. Sie muss die Gewinner von morgen fördern. Wie beispielsweise beim Corona-Impfstoff geschehen.
Abb. 2: Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP, G7
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Aber anders als etwa in den USA oder China wird Industriepolitik in Deutschland oft als nostalgische Bewahrungspolitik betrieben. Das ist bei den Wählern beliebt. Aber wie der wirtschaftsliberale Ökonom Friedrich August Hayek feststellte, macht Popularität schlechte Ideen noch gefährlicher. Der Bewahrungsreflex erklärt auch, weshalb das Gewicht des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland bis zuletzt so hoch blieb (siehe Abb. 2). Oder anders gewandt: Die 40 wertvollsten deutschen Unternehmen – im Wesentlichen die Dax-Konzerne – waren 2023 durchschnittlich 146 Jahren alt. Ihre Entsprechungen in den USA brachten es gerade mal auf einen Schnitt von 70 Jahren.
Vor 146 Jahren lebte der deutsche Kaiser Wilhelm II. noch! Ihm wird übrigens (wohl fälschlich) das Bonmot zugeschrieben: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Zum Wiehern! Aber auch zum Nachdenken, bitte.
Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
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1.2 MB | 24.10.2025
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