05.12.2025
Die Regierung steckt den Kopf in den Sand
Bei der Rentenpolitik zeigt Schwarz-Rot eklatante Schwächen.
Kraemers Klartext
Die Flitterwochen der Regierung Merz waren noch schneller beendet als bei der zankhaften Ampel.
Das Bohren dicker Bretter erfordert auch in der Politik einen unbeirrbaren Fokus und starke, entschlossene Führung. Und in der deutschen Politik gibt es in Anbetracht der ungünstigen Bevölkerungsentwicklung kein dickeres Brett als die Rente. Denn es ist absehbar, dass künftig immer weniger Erwerbstätige und Beitragszahler immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren müssen (siehe Abb. 1). Und wie man auch zum Thema stehen mag, eins ist sicher: Nein, nicht die Rente. Sondern, dass sich die Koalition in dieser Frage nicht mit Ruhm bekleckert hat.
Angesichts der zeitweilig drohenden Rebellion junger Abgeordneter aus der Unionsfraktion kursierten schon die ersten Gerüchte über einen Bruch der Koalition. Das war nie wahrscheinlich. Zu schlecht sind die Umfragewerte der Regierungsparteien, und beide haben ja keine realistische Alternative zum Weiter-wursteln in der Vernunftehe. Aber der Eindruck drängt sich auf, dass die Flitterwochen der Regierung Merz noch schneller beendet waren als bei der zankhaften Ampel.
Abb. 1: Beitragszahler pro Rentner
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Demografie als Schicksal
Wir wissen seit Jahrzehnten, dass unsere Gesellschaft altert. Und zwar schneller als in den meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften. In Deutschland ist die Geburtenrate schon Anfang der 1970er-Jahre auf etwa 1,5 Kinder pro Frau gefallen. Damit schrumpft jede Generation gegenüber der jeweiligen Elterngeneration rechnerisch um ein Viertel. Allein die Nettoimmigration hat diesen brutalen Schrumpfungsprozess bislang verhindert. Trotz des negativen demografischen Trends blieb der Beitragssatz zur Rentenversicherung über die Jahre konstant. Mit 18,6 % liegt er heute auf dem gleichen Niveau wie 1995 ! Denn der zunehmenden Zahl von Ruheständlern stand lange ein Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und der Reallöhne gegenüber. Das spülte wachsende Beiträge in die Rentenkassen. Trotzdem stieg auch der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt kontinuierlich – mittlerweile ist er mit gut 90 Mrd. EUR (2024) der größte Haushaltsposten. Damit wurden Altersgelder für diejenigen bezahlt, die nicht oder zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt hatten (zum Beispiel die Bürger der Ex-DDR), aber auch sonstige Löcher gestopft.
Aber der Druck wird steigen. Nicht genug damit, dass die seit Jahren schwache wirtschaftliche Dynamik – gepaart mit der Demografie – auch die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse stagnieren lassen dürfte. Viel schwerer wiegt, dass nun die wirklich großen Jahrgänge der in den 1960er-Jahren Geborenen sich sukzessive in die Rente verabschieden werden. Den Kopf in den Sand zu stecken, hilft nicht dagegen.
Abb. 2: Kumulierte Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt
Mrd. Euro
Abwarten und Tee trinken ist keine Lösung
Schon in der Koalitionsvereinbarung zeigten sich die Regierungsparteien seltsam ambitionslos: „Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb werden wir das Rentenniveau bei 48 % [des Durchschnittslohns] gesetzlich bis zum Jahr 2031 absichern. Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, gleichen wir mit Steuermitteln aus.“ Eigentlich müsste danach wieder der „Nachhaltigkeitsfaktor“ gelten: Wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern ändert, wirkt sich das zu einem Viertel auf die Höhe der Rente aus. Das würde nach 2031 zu einem einmalig starken Rückgang der derzeit gültigen „Haltelinie“ von 48 % auf unter 46 % im Jahre 2033 führen. Doch genau diese einmalige Anpassung soll das Rentenpaket 2025 verhindern. Die gesamten Mehrkosten würden sich nach Modellrechnungen bis 2050 auf 380 Mrd. Euro belaufen. Zu allem Überfluss steigen die Kosten des Systems zusätzlich durch die geplante Erweiterung der Mütterrente, die bis 2050 noch einmal fast 100 Mrd. Euro kosten könnte (Abb. 2). Diese Kosten fallen vor allem bei künftigen Re-gierungen an. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die Rentenkommission stünde vor vollendeten Tatsachen
Bereits im Koalitionsvertrag versprachen die Koalitionäre, bis „zur Mitte der Legislatur“ solle eine Kommission mit Empfehlungen aufwarten, wie sich das Rentensystem nachhaltig gestalten ließe. Dass die Regierung deren Empfehlungen nicht abwartet, sondern schon jetzt Fakten schafft, ist hochproblematisch. Es wäre für das Vertrauen in die Politik in solch zentralen Fragen wie der Rente verheerend, wenn jetzt vorschnell Entscheidungen getroffen würden, die im Widerspruch zu den Forderungen von Experten stehen und eine erneute Kehrtwende erfordern könnten. Das schwarz-rote Rentenpaket wird den Bundeshaushalt auf Jahrzehnte belasten und das Budget weiter versteinern. Der Koalitionsvertrag war überschrieben mit „Verantwortung für Deutschland“. Darunter verstehe ich etwas anderes.
Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
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