12.09.2025
Wird Frankreich unregierbar?
Wieder ist in Paris ein Premier am Haushalt gescheitert.


Kraemers Klartext

Lecornu steht vor der gleichen Aufgabe wie Bayrou: der Quadratur des Kreises.
„Rien ne va plus.“ Schon wieder. Erwartungsgemäß hat der französische Premierminister François Bayrou die Abstimmung über das Budget am Montag verloren. Er hatte sie mit einer Vertrauensfrage verbunden. Am Dienstag reichte er seinen Rücktritt ein. Bayrou stand einer Minderheitsregierung vor, denn der französische Nationalkongress besteht aus drei verfeindeten Lagern, von denen keines über eine Mehrheit verfügt. Bayrou präsentierte einen Haushaltsentwurf für 2026, der Sparmaßnahmen von gut 45 Milliarden Euro sowie die Streichung von zwei Feiertagen umfasste.
Das gesamtstaatliche Defizit beläuft sich auf knapp 6 % des Bruttoinlandsprodukts – doppelt so hoch wie nach den europäischen Regeln erlaubt. Die Schulden sind weit über die 100 %-Marke emporgeschnellt, Tendenz rasch steigend. Dieser Weg in die fiskalpolitische Grenzenlosigkeit kann auf Dauer keinen Bestand haben. Zurecht rügte Bayrou die Opposition: „Sie können die Regierung abwählen, aber sie können nicht die Realität ausradieren“. Ein schöner und wahrer Satz.
„Gallien ist in drei Teile geteilt“ (Julius Cäsar)
Den (Spar-)Haushalt für 2025 hatte Bayrou im Februar noch mit Hängen und Würgen durchgesetzt – sein Vorgänger Michel Barnier war zuvor bei dem Versuch nach nur 99 Tagen im Amt gescheitert. Der am Dienstag bestellte Premier Sébastien Lecornu ist bereits der fünfte Regierungschef innerhalb von zwei Jahren. Und die Halbwertszeit der Regierungen nimmt ab (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Macrons Premierminister seit 2017
Tage im Amt
Frankreich droht unregierbar zu werden. Denn Lecornu steht vor der gleichen Aufgabe wie Bayrou: der Quadratur des Kreises. Die extreme Rechte um Marine Le Pens Rassemblement National liegt in den Umfragen vorn (siehe Abb. 2) und spürt Oberwasser: Sie will Neuwahlen. Im heterogenen Linksbündnis gibt es durchaus Sollbruchstellen, die der Regierung helfen könnten. Aber um die Zustimmung von Sozialisten und/oder Grünen zu erhalten, müsste der neue Premier die Sparambitionen deutlich reduzieren. Das könnte auch die 2023 mit hohen politischen Kosten durchgesetzte Rentenreform zunichtemachen, mit der das Renteneintrittsalter (von damals 62) schrittweise auf 64 Jahre steigen soll. Das kann die zentristische Regierung kaum mittragen. Wahrscheinlich ist deshalb, dass das 2025er Budget auch 2026 weiter gilt, so ähnlich wie das auch in Deutschland bisher mit dem Haushalt 2025 geschah. Die Einsparungen wären dann minimal, die Schulden stiegen weiter unkontrolliert.
Abb. 2: Frankreich, Sonntagsfrage nach politischen Lagern
in %
Das bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass wir uns in der Vorhölle zu einer neuen Euroschuldenkrise befinden. Frankreich ist nicht Griechenland. Aber die Investoren haben Paris klar die gelbe Karte gezeigt. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe hat sich an das Niveau Italiens herangerobbt, dessen Kreditrating zwei Kategorien tiefer liegt.
Deutschland ist nicht Frankreich. Noch nicht.
Diesseits des Rheins haben wir es immerhin noch geschafft, eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit zu bilden. Aber die Handlungsfähigkeit schwindet auch hierzulande. Die politische Mitte wird von beiden Flanken aus bedroht. Die Folge: eine immer schwächere Reformdynamik. Die Regierung spricht zwar vollmundig vom Herbst der Reformen, aber ob die von uns Wählern zwangsverheirateten Parteien tatsächlich zu mehr als nur Symbolpolitik in der Lage sind, darf in Anbetracht ihres bisherigen Wirkens ernstlich bezweifelt werden.
Was die schwarz-rote Koalition allerdings zustande gebracht hat, ist ein haushaltspolitischer Dammbruch. Dank der besseren Ausgangslage einer deutlich niedrigeren Verschuldung besteht kurzfristig zwar kein Grund zur Panik (siehe Abb. 3). Aber die Parallelen zur französischen Herangehensweise werden immer deutlicher sichtbar. Da die politische Blockade resoluten Reformen im Wege steht, schüttet Schwarz-Rot das Füllhorn geliehenen Geldes über den Bürgerinnen und Bürgern aus und hofft, dass die sich an der Wahlurne dankbar zeigen werden. Frankreich dokumentiert eindrücklich, dass das Gegenteil passieren dürfte: Die Polarisierung nimmt zu. Das gleiche Muster zeigt sich auch in Italien, Großbritannien und Österreich, ja selbst in Japan. Die Schulden steigen, und trotzdem nehmen die politischen Zentrifugalkräfte zu.
Abb. 3: Staatsschuldenquote
% des BIP
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Die Regierungen müssen aufhören, ihre Wählerinnen und Wähler wie Kleinkinder kurzfristig mit Süßigkeiten ruhig stellen zu wollen. Wer Kinder großgezogen hat, weiß genau, dass das kein nachhaltiges Erfolgsrezept ist. Wenn Deutschland aus dem französischen Budgetdebakel nicht die richtigen Schlüsse zieht, dann laufen die fiskalischen Indikatoren in beiden Ländern wie in den späten 1990er Jahren wieder parallel. Nur eben leider nicht mehr auf dem damaligen Niveau um die 60 % des BIP.
Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
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