30.05.2025
Sind wir Deutschen zu faul, Herr Merz?
Tatsächlich trägt der geringe Arbeitseinsatz zur Stagnation bei.


Kürzlich hat Bundeskanzler Friedrich Merz gefordert, die Deutschen müssten wieder mehr arbeiten . Und diesmal meinte er nicht nur die Bürgergeldempfänger, äh, Entschuldigung, das heißt ja jetzt Grundsicherung (erinnern Sie sich auch an den Slogan: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix“?). Nein, wir alle waren gemeint! Natürlich brach sofort eine nationale Debatte los, ob der implizite Vorwurf der Faulenzerei gerecht sei.
Zutreffend ist: In Deutschland arbeitete 2023 jede(r) Beschäftigte im Durchschnitt nur 1343 Stunden . Das ist der niedrigste Wert aller 38 OECD Mitgliedsländer (Durchschnitt 1746 Stunden, siehe Abb. 1), und er sinkt seit Jahren. Grund ist vor allem die hohe Teilzeitquote in Deutschland (2023: 21 %, gegenüber 15 % in der OECD insgesamt). Nur in den Niederlanden und der Schweiz liegt der Anteil noch höher.
Abb. 1: Gearbeitete Stunden pro Beschäftigten (2023)
Betrachtet man, wie hoch der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter ist, die einer Beschäftigung (egal ob Voll- oder Teilzeit) nachgehen, sieht es schon deutlich besser aus: Im internationalen Vergleich steht Deutschland sehr gut da (siehe Abb. 2). Und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen.
Abb. 2: Beschäftigungsquote 2023
% der 25- 64-Jährigen
In Summe sind die geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen in Deutschland seit 2000 um 6 % gestiegen. Im Rest der EU um 11 % und in den USA um 16 %. Das geringere Wachstum des Arbeitsquantums hilft zu erklären, warum die deutsche Wirtschaft stagniert.
Kürzere Arbeitszeiten als Zeichen des Fortschritts
Natürlich hat das Ganze auch eine positive Seite. Immerhin dokumentiert die Tatsache, dass wir weniger arbeiten (müssen), ein Wohlstandsniveau, auf dem viele Menschen eine besondere Freiheit genießen: Sie können auf Einkommen verzichten und sich stattdessen außerhalb des Arbeitsplatzes verwirklichen. John Maynard Keynes, einer der Überväter der modernen Volkswirtschaftslehre, hat in den 1930er-Jahren prophezeit, dass wir im 21. Jahrhundert nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten. Dank des technischen Fortschritts sei mehr nicht notwendig, um unsere materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, meinte er. Da hat Keynes wohl die schier grenzenlosen materiellen Wünsche unterschätzt. Ob uns deren Erfüllung wirklich glücklicher macht, steht auf einem anderen Blatt.
Andererseits lässt sich die Schattenseite nicht ignorieren: Dass Deutschland relativ wenig arbeitet, zwingt sein ohnehin knirschendes Sozialversicherungssystem endgültig in die Knie.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Aber hüten wir uns davor, die vielgescholtene junge Generation für die geringen Arbeitsstunden verantwortlich zu machen. Das Phänomen des gebremsten Enthusiasmus zu arbeiten zieht sich durch alle Generationen. Ich kann frisch von meinem 40. Abiturtreffen berichten (jetzt rechnen Sie mal schön!). Gesprächsthema Nr. 1 war, wer noch wie lange arbeiten will. Der einhellige Tenor: Je früher man in den Ruhestand geht, desto besser.
Lustlosigkeit und Mangel an Engagement spiegelt sich auch in Umfragen wieder. Bei den Beschäftigten in Deutschland herrscht zunehmende Gleichgültigkeit im Job : Mit 78 % (2023: 67 %) erreichte 2024 die Zahl derer, die emotional gering an ihre Arbeitsstelle gebunden waren, einen historischen Höchststand. Sie machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Gerade einmal ein gutes Drittel plant in drei Jahren noch beim gleichen Arbeitgeber zu sein (2018: 65 %). Zynismus statt Loyalität – wir haben ein Mindset-Problem besorgniserregenden Ausmaßes.

Zynismus statt Loyalität – wir haben ein Mindset-Problem besorgniserregenden Ausmaßes.
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