18.07.2025
Postkarte von der Insel Rhodos
Griechenlands Metamorphose vom Pleitestaat zum Wachstumsprimus.


Kraemers Klartext

Kalimera, liebe Leser, es ist so langsam Sommerurlaubszeit, und heute schreibe ich Ihnen aus Griechenland.
Viele von Ihnen werden sich noch lebhaft an die europäische Staatsschuldenkrise erinnern, als Griechenland die größte Staatspleite der Finanzgeschichte hinlegte. Und das, obwohl Wolfgang Schäuble damals als deutscher Finanzminister zunächst voller Zuversicht in seinem unnachahmlichen Badisch-Englisch prognostiziert hatte: „It will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece.“ Die Tiefe der damaligen sozialen und wirtschaftlichen Krise kann kaum überschätzt werden. Nachdem das Kind in den Brunnen war, änderte auch Schäuble die Tonart und drohte für den Fall, dass Athen sich nicht zu einem strengen Anpassungsprogramm verpflichte: „Isch over!“
Die Einkommen sanken in der Krise um 27 %!
Hochmut kommt vor dem Fall
Viele in Deutschland – damals noch nicht der kranke Mann Europas – gefielen sich in der Rolle des Reiters, der vom hohen Ross herab den Griechen wohlfeile Ratschläge erteilt. Natürlich tat dies niemand mit mehr Verve als – Sie ahnen es schon – die „ Bild “ Zeitung. „Verkauft doch Eure Inseln, Ihr Pleite-Griechen; und die Akropolis gleich mit“, musste man dort lesen. Oder: „Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen“. Das war nicht nur geschmacklos, sondern auch grundfalsch. Ich sage es gerne wieder und wieder: Der deutsche Steuerzahler hat keinen Cent an Griechenland verloren. Alle Auszahlungen waren Kredite, die Athen bis heute ordnungsgemäß bedient. Wer bluten musste, waren die Gläubiger. Vor allem aber die griechische Bevölkerung: Das reale Pro-Kopf-Einkommen sank zwischen 2007 und 2013 um mehr als ein Viertel! Dieser Kollaps ist bis heute noch nicht wieder aufgeholt. Nach Schätzungen des IWF erreicht Griechenland das Vorkrisenniveau erst 2030 wieder.
Die Wiederauferstehung von Hellas
Die Wunden der Krise sind bis heute noch nicht verheilt. Dennoch hat sich Griechenland wie Phönix aus der Asche wieder berappelt. Während die Wachstumsrate Deutschlands in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt bei Null lag, verbuchte Griechenland immerhin 2 % pro Jahr. Und auch bei den öffentlichen Haushalten könnten wir uns eine Scheibe abschneiden. Der IWF prognostiziert für Deutschland ein gesamtstaatliches Defizit von 4 % des BIP für die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts. Tendenz steigend. Der Wert für Griechenland liegt bei gerade mal 0,7 %. Entsprechend steigt hierzulande die Schuldenquote, während sie in Griechenland zurückgeht (siehe Grafik). Und während wir in Deutschland Weltspitze bei der Teilzeitquote sind, hat Griechenland für einige Sektoren die Sechstagewoche eingeführt. Seine legendäre byzantinische, Verzeihung, hellenistische Bürokratie hat das Land zurechtgestutzt und Privatisierungen vorangetrieben. Der griechische Staat hat von allen relevanten Rating-Agenturen wieder ein Investment Grade Rating.
Staatsschulden
% des BIP, 2007-2030
⬤ {series.name}: {point.y}
Die Griechen machen Mut
Natürlich gibt es weiter große Herausforderungen rund um die Ägäis. Die Abhängigkeit vom Tourismus ist ein Risiko, gerade in Zeiten des Klimawandels, genauso wie die geringe Teilnahme am Arbeitsmarkt, insbesondere von Frauen. Und die Rechtswege sind vielfach immer noch zu langwierig. Dennoch macht Griechenland Mut. Wenn es einer Gesellschaft gelingt, sich derart zu erneuern, dann sollte uns das in Deutschland doch auch möglich sein. Ich hoffe, wir brauchen keine tiefere Krise, um uns vor Augen zu führen, dass auch wir uns ändern müssen. Darauf einen eisgekühlten Ouzo. Jamas!
Von: Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter Research
Download Klartext
-
388.6 KB | 18.07.2025
Diese Publikation richtet sich ausschließlich an Empfänger in der EU, Schweiz und in Liechtenstein. Diese Publikation wird von der LBBW nicht an Personen in den USA vertrieben und die LBBW beab- sichtigt nicht, Personen in den USA anzusprechen. Aufsichtsbehörden der LBBW: Europäische Zentralbank (EZB), Sonnemannstraße 22, 60314 Frankfurt am Main und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Graurheindorfer Str. 108, 53117 Bonn / Marie-Curie-Str. 24-28, 60439 Frankfurt. Diese Publikation beruht auf von uns nicht überprüfbaren, allgemein zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit wir jedoch keine Gewähr übernehmen kön- nen. Sie gibt unsere unverbindliche Auffassung über den Markt und die Produkte zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses wieder, ungeachtet etwaiger Eigenbestände in diesen Produkten. Diese Publika- tion ersetzt nicht die persönliche Beratung. Sie dient nur Informationszwecken und gilt nicht als Angebot oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf. Für weitere zeitnähere Informationen über konkrete Anlage- möglichkeiten und zum Zwecke einer individuellen Anlageberatung wenden Sie sich bitte an Ihren An- lageberater. Wir behalten uns vor, unsere hier geäußerte Meinung jederzeit und ohne Vorankündigung zu ändern. Wir behalten uns des Weiteren vor, ohne weitere Vorankündigung Aktualisierungen die- ser Information nicht vorzunehmen oder völlig einzustellen. Die in dieser Ausarbeitung abgebildeten oder beschriebenen früheren Wertentwicklungen, Simulatio- nen oder Prognosen stellen keinen verlässlichen Indikator für die künftige Wertentwicklung dar. Die Entgegennahme von Research Dienstleistungen durch ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann aufsichtsrechtlich als Zuwendung qualifiziert werden. In diesen Fällen geht die LBBW davon aus, dass die Zuwendung dazu bestimmt ist, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für den Kunden des Zuwendungsempfängers zu verbessern.