Unternehmensnachfolge - Ein Generationenwechsel steht an

Zeit für den Wechsel: Viele Unternehmer nähern sich dem Ruhestandsalter. Doch sie mögen nicht loslassen – auch weil sie keinen Nachfolger finden.

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch und arbeiten mit einem Tablet

LBBW Standpunkt: Herr da Graça, Sie analysieren seit Jahren den Mittelstand für die LBBW. Ebenso lange ist der Generationenwechsel im Mittelstand immer wieder ein Thema. Was verschärft jetzt die Lage?

Andreas da Graça: Der demografische Wandel wird Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland fundamental verändern. In bisher nicht gekannter Weise verschieben die sinkende Zahl der Menschen im jüngeren Alter und die gleichzeitig steigende Zahl älterer Menschen die demografischen Verhältnisse. Heute ist jede zweite Person in Deutschland älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre.

LBBW Standpunkt: Inwiefern ist das ein Problem für den Mittelstand?

da Graça: Diese Prozesse nehmen jetzt deutlich an Fahrt auf. Zwischen 2025 und 2035 scheidet die Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt aus. Der Wegfall von Millionen Arbeitskräften wird vor allem die Entwicklung von Wachstum und Lebensstandard in Deutschland bremsen. In Bezug auf die demografische Entwicklung spielen auch die Nachfolgeplanungen im Mittelstand eine wichtige Rolle für den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Steigerung der Wertschöpfung.

190000

Unternehmen müssen zwischen 2022 und 2026 einen Nachfolger finden

LBBW Standpunkt: Üblicherweise setzt man sich in der Unternehmensführung rechtzeitig zusammen, um die Nachfolge zu klären …

da Graça: Ja, so würde man denken. Aber die vergangenen Jahre haben viele Unternehmen des Mittelstandes in eine Art Dauerkrisenmodus versetzt. Nicht selten haben die Inhaber ihre eigenen Pläne des „Langsam-Ausscheidens“ über Bord werfen müssen. Die Nachfolge zu organisieren und einen Übergangsprozess zu etablieren, stand jedenfalls nicht mehr oben auf der Agenda. Man nimmt an, dass bis 2026 in etwa 190.000 Unternehmen eine Nachfolgeregelung organisiert sein muss, weil die Eigentümerinnen und Eigentümer aufgrund von Alter, Krankheit oder Tod aus der Geschäftsführung ausscheiden. Aufs Jahr umgerechnet sind das rund 38.000 Übergaben.

LBBW Standpunkt: In welchen Unternehmensgrößen ist das Problem besonders groß, weil ungelöst?

da Graça: Man kann sehen, dass die meisten ungeklärten Fälle zwischen einer Umsatzgröße von 250.000 Euro und 2 Millionen Euro zu beobachten sind.

LBBW Standpunkt: Also die kleinen Handwerksbetriebe, Gewerbetreibende?

da Graça: Es sind die unternehmensnahen Dienstleistungen, der Handel und das produzierende Gewerbe.

Die junge Generation legt deutlich mehr Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance. Das ist mit dem Unternehmertum nicht immer vereinbar.

Andreas da Graça, Analyst bei LBBW Research

LBBW Standpunkt: Wo es eine Nachfolge zu regeln gibt, muss ein Nachfolger parat stehen. Liegt es auch daran? Gibt es nicht mehr genug junge Menschen mit dem Unternehmer-Gen?

da Graça: Durchaus. In der jüngeren Generation ist die potenzielle Zahl der Gründerinnen und Gründer wesentlich kleiner als noch vor ein paar Jahren. Viele sehen für sich bessere Chancen als Angestellte in etablierten Unternehmen und scheuen das Risiko als selbstständige Unternehmer. In etablierten Märkten ist es außerdem wesentlich schwieriger geworden, ein neues Unternehmen aufzubauen. Die in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsene Bürokratie schreckt ebenfalls ab. Und das gilt auch für die Übernahme bestehender Unternehmen.

LBBW Standpunkt: Und 24/7 ist auch nicht jedermanns Sache?

da Graça: Sie sprechen es an: Die junge Generation legt deutlich mehr Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance. Das ist mit dem Unternehmertum aber nicht immer vereinbar.

LBBW Standpunkt: Dann ist da ja auch noch die emotionale Komponente. Hält sich der Patriarch wirklich raus? Aus Kindern werden ernstzunehmende Verhandlungspartner, die dem Unternehmen ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen.

Die Unternehmensübergabe ist eine emotionale Herausforderung

Andreas da Graça, Analyst bei LBBW Research

da Graça: Die Unternehmensnachfolge ist für die Senior-Unternehmerschaft eine sehr emotionale und sensible Herausforderung. Es geht darum, Abschied vom Lebenswerk zu nehmen. Familie und nachfolgende Generationen haben ökonomische und auch familiäre Erwartungen an die Altvorderen. Kinder werden zu Verhandlungspartnern auf Augenhöhe, mitunter mit ganz anderen Vorstellungen vom künftigen Weg des Unternehmens, oder auch von ihrem eigenen Lebensweg.

LBBW Standpunkt: Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?

da Graça: Man sollte sich früh- und rechtzeitig professionellen Rat zur Seite holen. Neben den emotionalen Aspekten geht es immer auch um steuerliche Aspekte und für die Nachfolger darum zu lernen, ein Unternehmen zu führen. Und das in sicher nicht einfachen Zeiten mit einem echt herausfordernden Marktumfeld. Die IHKs bieten das seit langem an. Auch wir als LBBW bieten den Unternehmerinnen und Unternehmern an, sie auf diesem Weg zu begleiten.

Lesen Sie hier die Studie zur Nachfolge im Mittelstand

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Andreas da Graça

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