Eine „Zeitenwende“ – auch auf dem Acker

Der Ukraine-Krieg und seine Folgen könnten ein Vorgeschmack auf das sein, was der Klimawandel anrichten wird: leere Regale, Panikkäufe und Rationierungen.

Windräder auf einem Acker

Der Krieg in der Ukraine hat viele schreckliche Folgen. Für die ukrainischen Menschen. Für das Sicherheitsgefüge in Europa und der Welt. Und für das Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland. Die täglichen Hiobsbotschaften aus Mariupol, Butcha oder Lviv führen hierzulande zu panikartigen Reaktionen. Sonnenblumenöl ist in vielen Supermärkten ausverkauft. Mehl und Backmischungen werden vielerorts nur noch in haushaltsüblichen Mengen abgegeben oder schlicht rationiert.

Es gibt weitere direkt spürbare Folgen des Krieges: Der Diesel-Preis hat sich binnen Wochen verdoppelt. Der Erdgaspreis schnellte zuletzt rasant nach oben. Dünger ist so teuer wie nie. Futtermittel für die Mast sind preisexplodiert. Die gesamte Produktions- und Lieferkette ist betroffen: vom Saatgut über den Dünger bis hin zum Transport und zur Weiterverarbeitung. Angesichts der dramatisch gestiegenen Produktionskosten müsste ein Ei derzeit 50 Cent anstatt 25 Cent kosten.

Die deutschen Bauern warnten bereits, dass im Frühjahr nicht genug Düngemittel zur Verfügung stehen könnten. Das sei aber eine wichtige Voraussetzung, damit sich die EU-Staaten ausreichend selbst versorgen können. „Schon jetzt ist Stickstoffdünger exorbitant teuer und knapp verfügbar, diese Situation kann sich noch deutlich verschärfen“, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Die Gefahr sei groß, dass deshalb Erntemengen zurückgehen.

Deutsche Bauern als Verlierer des Ukraine-Kriegs

Für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft ist der Ukraine-Krieg ein geradezu – hoffentlich vorübergehendes – existenzielles Problem. Denn anders, als man glauben könnte, sind deutsche Bauern angesichts der enormen Preissteigerungen im Handel nicht die Gewinner. Üblicherweise verkaufen sie ihre Ernten schon als Terminkontrakt auf Jahre hinaus. Jetzt stehen sie vor immens gestiegenen Kosten für Sprit, Mindestlohn, Heizkosten und Dünger bei fixen Erlösen.

Endverbraucher sind in Alarmstimmung und greifen zu Hamsterkäufen. „Überzogene Reaktionen“, nennen viele Experten die Panik der Verbraucher. Die Ukraine sei mitnichten ein existenziell wichtiger Getreidelieferant für die EU und schon gar nicht für Deutschland. Nach Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums liegt die Importquote zum Beispiel von Weizen aus der Ukraine bei weniger als einem Prozent. Höher, wenngleich auch nicht lebensbedrohlich, ist die Situation bei Raps, Mais oder anderen Getreidearten als Futter.

Jeden Tag verschwinden 70 Hektar Agrarland

Die jetzige Situation könnte für die deutschen Farmer und Verbraucher ein bitterer Vorgeschmack sein auf das, was droht, wenn der Klimawandel auch in Deutschland zu Wasserknappheit und Erosion der Böden führt. Bislang gehörte die deutsche Landwirtschaft zu den Bösen, wenn es um Abgase und Klimafeindlichkeit geht: Immerhin knapp neun Prozent der deutschen Emissionen oder rund 60 Millionen Tonnen CO2-Abgase gingen 2020 direkt auf das Konto der Bauern. Weitere 40 Millionen Tonnen kommen indirekt durch die landwirtschaftliche Nutzung von Böden hinzu – macht in Summe fast 14 Prozent –, so die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

14 %

der Emissionen in Deutschland gehen direkt oder indirekt auf das Konto der Landwirtschaft.

Das deutsche Klimaschutzprogramm 2030, vom Bundeskabinett 2019 beschlossen, beinhaltet auch ein Klimaschutz-Sofortprogramm 2022. Die Schwerpunkte der Klimaschutzanstrengungen in der Land- und Forstwirtschaft liegen darin, Emissionen zu mindern – und Ressourcen effizienter einzusetzen und damit insgesamt noch nachhaltiger zu produzieren. Außerdem sollen die Kohlenstoffspeicherpotenziale der Land- und Forstwirtschaft gefördert werden.

Die Bundesregierung muss der Versorgungssicherheit der Bevölkerung einen höheren Stellenwert einräumen.

Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Ergo: Flächen stilllegen! Biodiversität fordern! Tierwohl! Weniger düngen! Weniger essen! Höhere Preise! Unter den Titeln „Farming 4.0“, „GermanZero“ oder „Generation Forest“ gibt es opulente Forderungskonvolute, die die Land- und Ernährungswirtschaft weiterentwickeln sollen. Weitere Forderungen: Äcker nutzen für Solaranlagen. Mit Biomasse erneuerbare Energien vorantreiben. Und im Zuge von Homeoffice und dem neuen Schick-Trend „Leben auf dem Land“ Äcker umwidmen in lukratives Bauland, inklusive Infrastruktur.

Die Frage ist: Wie sinnvoll ist das alles? Seit Jahren verschwinden jeden Tag in Deutschland rund 70 Hektar Ackerland durch Zersiedlung. Eine politisch unterstützte Verknappung von Ressourcen nennen das Kritiker, die jahrelang ungehört blieben – jetzt aber, auch wachgerüttelt durch die Folgen des Ukraine-Kriegs, plötzlich das nötige Gehör finden. Eine Zeitenwende auch auf dem Acker – also für die Land- und Ernährungswirtschaft – sei das Gebot der Stunde, mutmaßen erste Experten. Der EU-Plan, ab 2023 jährlich vier Prozent der verfügbaren Ackerflächen in Europa stillzulegen, sowie das Anreizsystem für Solarparks und verstärkten Raps-Anbau gehören auf den Prüfstand. Ihr Credo: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Landwirtschaft.

Ernährungssicherheit als oberste Priorität?

Wie beim Thema Energiewirtschaft gehe es auch für die Land- und Ernährungswirtschaft künftig um Versorgungssicherheit. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Energieversorgung in seinem aktuell vorgelegten Papier zur „obersten Priorität von nationaler Bedeutung“ gemacht. Kann gut sein, dass dem alsbald ein Papier folgen wird, das die Ernährungssicherheit mit eben dem gleichen Label versieht. Zumal der Klimawandel eine ungleich größere Herausforderung darstellt. „Die Bundesregierung muss daher der Versorgungssicherheit einen höheren Stellenwert einräumen“, sagt Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Dazu gehört, dass wir die begrenzte Agrarfläche in Europa intensivieren müssen.“

Seit 2017 gilt bundesweit das Gesetz über die Sicherstellung der Grundversorgung mit Lebensmitteln in einer Versorgungskrise und Maßnahmen zur Vorsorge für eine Versorgungskrise, kurz Ernährungssicherungsstellungs- und -vorsorgegesetz (ESVG). Dieses Gesetz sichert die kurzfristige Versorgung. Ein langfristiger Plan fehlt noch.