Der Boom der Silver Ager

Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Für den Wohnungsmarkt wird das zur Herausforderung, Investoren bieten Seniorenimmobilien jedoch Chancen.

Ältere Dame steht auf Dachterrasse

Die zurückliegende Weihnachtszeit war für Charlotte Kretschmann gleich in doppelter Weise ein Grund zum Feiern. Die rüstige Dame feierte ihren Geburtstag: Mit 113 Jahren ist sie die älteste Frau in Deutschland.

Über 100 Jahre alt zu werden, das schaffen verhältnismäßig wenige Menschen. Rund 25.500 Menschen hatten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2021 diese magische Altersgrenze erreicht oder überschritten. Diese Zahl steigt allerdings. Die Lebenserwartung von Frauen liegt in Deutschland aktuell im Durchschnitt bei 83,4 Jahren, bei Männern sind es 78,7 Jahre. Die Statistiker gehen davon aus, dass dieser Wert bis zum Jahr 2060 für Frauen um drei bis sechs Jahre und bei den Männern um vier bis acht Jahre steigen wird. Grund für diese Annahme: stetig bessere medizinische Versorgung und ein ausgeprägtes Bewusstsein für einen gesunden Lebenswandel.

Seniorenimmobilien: Lebensstile der Älteren wandeln sich

Parallel dazu nimmt die Zahl der über 80-Jährigen in den kommenden Jahren rapide zu. Ab 2025 wird die Kohorte der geburtenstarken Jahrgänge schrittweise in den Ruhestand gehen. Der Studie des Bundesamtes zufolge wird dadurch bis Mitte der 2030er-Jahre die Zahl der Menschen im Alter von 67 Jahren um etwa 4 Millionen auf 20 Millionen steigen. Das macht sich zeitverzögert auch bei der Zahl der über 80-Jährigen bemerkbar. Sie wird sich in den kommenden zehn Jahren zunächst relativ stabil entwickeln, dann aber sprunghaft ansteigen, so die Prognose. Der Anteil der Hochbetagten könnte bis zum Jahr 2060 von derzeit knapp 3 Prozent auf 9 Prozent steigen. Ob es tatsächlich so kommt, hängt davon ab, wie sich Zuwanderung und Geburtenrate bis dahin entwickeln.

„Bei solchen langfristigen Prognosen sind naturgemäß Unsicherheiten zu berücksichtigen“, sagt Teresa Dreo-Tempsch, Vorständin der Berlin Hyp. „Aber feststeht: Die Babyboomer sorgen für einen Boom der Silver Ager. Das wird sowohl die Nachfrage als auch die Anforderungen an ein altersgerechtes Wohnen und die entsprechende Infrastruktur dafür gravierend verändern.“

Schon heute zeigt sich: Die Generation 65+ ist aktiver, gesünder, mobiler und digitaler als je zuvor. Lebensstile sind immer individueller und damit diverser. Die weit überwiegende Zahl der 61- bis 66-Jährigen nutzt das Internet, besitzt Smartphone und Tablet. Charlotte Kretschmann zum Beispiel teilt auf Instagram Schnappschüsse aus ihrem Alltag mit ihren über 1.000 Followern. Ihr Enkel Peter Bauer macht die Fotos und hilft beim Hochladen.

Einer Studie des Immobiliendienstleisters Terranus und der Berlin Hyp, einer Tochter der LBBW, zufolge wünschen sich fast zwei Drittel (63 Prozent) der Menschen aus der Altersgruppe 60+ Wohnangebote, mit denen sie möglichst lange gesundheitliche Einschränkungen kompensieren können – zum Beispiel durch Barrierefreiheit, leistungsfähige Netzanschlüsse und moderne Assistenzsysteme. Letztere sollen Unterhaltung, aber auch Sicherheit im Alltag bieten. Dazu kommen möglichst passende Mobilitätsangebote, Alterstrainings, Gesundheitsberatung und Telemedizin.

63 %

der Menschen aus der Altersgruppe 60+ wünschen sich Wohnangebote, mit denen sie möglichst lange gesundheitliche Einschränkungen kompensieren können.

Viele Ruheständler sind finanziell nicht ausreichend abgesichert

Solche Serviceangebote sind nicht billig. Aber eine steigende Zahl von Senioren wird sie sich leisten können, um ihr Leben aktiv zu gestalten. Nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verfügt die heutige Generation der über 60-Jährigen im Schnitt über ein größeres Geldvermögen als alle Generationen zuvor. Der Blick darauf, wie sich dieses Vermögen aufteilt, zeigt allerdings: Finanziell wirklich gut abgesichert ist nur jeder Zehnte aus dieser Generation. Der weitaus größte Teil besitzt überschaubare Reserven. Gleichzeitig liegt das Nettoeinkommen laut Datenportal Statista bei der Hälfte der Befragten zwischen 1.000 und 2.000 Euro.

Was dabei zu berücksichtigen ist: Viele Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung stagniert oder sogar zurückgeht. Demgegenüber wächst die Menge der Leistungsempfänger. Das Versorgungsniveau der staatlichen Rente steht damit in den kommenden Jahren real gesehen zunehmend unter Druck.

Palette altersgerechter Wohnprojekte muss breiter werden

Für die Investoren, Entwickler und Betreiber von bedarfsgerechtem Seniorenwohnen heißt das: Sie sind gefordert, die Bedürfnisse und Möglichkeiten kommender Mieterinnen und Mieter differenziert zu betrachten. Wenn Lebensstile, Einkommen und der Bedarf an Betreuung und Pflege immer diverser werden, muss auch die Palette entsprechender Angebote breit genug sein. Das Bedarfsspektrum reicht von betreutem Wohnen und Servicewohnen über Tages- und stationäre Pflegeeinrichtungen bis hin zum Hospiz.

Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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Vorständin der Berlin Hyp Teresa Dreo-Tempsch

Wenn die Zahl von Senioren wächst, müssen sich auch das urbane Umfeld, die Infrastruktur und die Quartiere auf die Belange einer insgesamt alternden Gesellschaft einstellen.

Teresa Dreo-Tempsch, Vorständin der Berlin Hyp

„Wenn die Zahl von Senioren wächst, ist ganz klar, dass sich auch das urbane Umfeld, die Infrastruktur und die Quartiere auf die Belange einer insgesamt alternden Gesellschaft einstellen müssen“, prognostiziert Berlin-Hyp-Vorständin Dreo-Tempsch. „Die Herausforderungen durch die aktuellen Krisen und den Klimawandel sind enorm. Aber wir müssen auch sehen, dass der Anteil der Senioren mit sehr knappem Budget ebenso wächst und auf einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft, der sich derzeit immer mehr verschärft.“

Die Nachfrage nach Pflegeplätzen steigt

Parallel dazu steigt auch der Bedarf an Pflegeplätzen immens. Der Pflegereport 2021 der Barmer Krankenkasse kommt zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um über 50 Prozent auf rund 7 Millionen zulegen wird. Regional betrachtet ist diese Nachfrage jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Besonders stark wächst der Bedarf in Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Gleichzeitig weicht auch das Angebot an betreutem Wohnen lokal voneinander ab.

Seniorenimmobilien bieten Investoren interessante Chancen. Sie haben sich von einem Nischenmarkt zu einer eigenen Assetklasse entwickelt.

Anja Sakwe Nakonji, Geschäftsführerin des Immobiliendienstleisters Terranus

Der Bedarf an Seniorenimmobilien sei schon heute nicht gedeckt und werde weiter steigen, „das bietet Investoren interessante Chancen“, beobachtet Anja Sakwe Nakonji, Geschäftsführerin von Terranus. „Seniorenimmobilien haben sich bereits in den vergangenen Jahren von einem Nischenmarkt zu einer eigenen Assetklasse entwickelt.“

„Aus meiner Sicht bietet die EU-Taxonomie für Seniorenimmobilien weitaus mehr Chancen als Risiken“, ergänzt Geschäftsführer-Kollege Markus Bienentreu. „Zwar lässt die Taxonomie-Verordnung für soziale Aspekte noch auf sich warten. Eines aber wissen wir bereits: Vorsorge für den demografischen Wandel zu betreiben, Versorgungsstrukturen aufzubauen und so das Gemeinwohl zu unterstützen, werden Teile des S-Kriteriums bei ESG sein. Dieses Kriterium beschreibt quasi die DNA jeden Investments in Seniorenimmobilien.“

Charlotte Kretschmann kann dieser Diskussion gelassen folgen. Die 113-Jährige hat schon vor Jahren für sich die passende Entscheidung getroffen: Sie wohnt in einem Seniorenheim.