20.12.2018

Blockchain nimmt auch in Deutschland Fahrt auf

Virtuell verkettete Datensätze ermöglichen es Unternehmen, Geschäfte schnell und sicher abzuwickeln und Produktionsprozesse effizienter zu steuern.

Blick von oben auf labyrinthartiges Straßengewirr
Blick von oben auf labyrinthartiges Straßengewirr

Sein Wahlkreuz online setzen? In einer halben Stunde vom PC aus eine eigene Firma gründen? Was für uns nach Zukunftsmusik klingt, ist woanders schon Alltag. In Estland haben 94 Prozent der Bürger einen elektronischen Ausweis mit digitaler Signatur, die rechtlich so verbindlich ist wie eine Unterschrift auf Papier. Ihre Gesundheitsdaten liegen elektronisch auf einem Patientenportal und landesweit gibt es kein Grundbuchamt mehr. Möglich macht all das die Blockchain-Technologie. Oder vereinfacht gesagt, ein Verfahren, mit dessen Hilfe sich Daten manipulationssicher auf einer im Netz verteilten Datenbank speichern und übertragen lassen.

Auch bei uns nimmt die Blockchain-Technologie Fahrt auf. Fast die Hälfte der deutschen Führungskräfte prüft, sie im eigenen Unternehmen zu nutzen – so das Ergebnis einer Studie von Sopra Steria Consulting. Im Mittelstand ist Blockchain für viele Firmenlenker zwar noch ein Fremdwort, aber sogar kleine und mittlere Unternehmen „entdecken diese Technologie für sich und wollen sie als Plattform für digitale Innovationen nutzen“, sagt Stephan Zimprich von eco, dem Verband der Internetwirtschaft. Denn über die Blockchain können sich potenzielle Vertragspartner vernetzen und miteinander ins Geschäft kommen, ohne dass es einer zentralen regulatorischen Instanz bedarf, die das Vertrauen zwischen ihnen sicherstellt. Das beschleunigt und verschlankt viele Prozesse. So könnten künftig etwa internationale Zahlungen, die derzeit noch mehrere Tage dauern, viel schneller abgewickelt werden. Auch Wertpapiere oder Dokumente lassen sich einfacher transferieren. Besonders aufgeschlossen zeigen sich deshalb Banken und Fintechs.

Blockchain: teils private, teils öffentliche Netzwerke

Gängige Protokolle sind derzeit Ethereum, Hyperledger Fabric und die auf die Finanzbranche spezialisierte Plattform R3 Corda. Je nach Anwendungsgebiet, sind Blockchain-Plattformen teils öffentlich und damit für jeden frei zugänglich, teils rein privat für einen vordefinierten Nutzerkreis. In beiden Fällen werden alle Daten bei allen Teilnehmern gleichzeitig abgelegt. Das macht sie fälschungssicher. In der Informationstechnologie spricht man vom „Single Point of Truth“, d.h. eine parallele Existenz von sich widersprechenden Daten ist nahezu ausgeschlossen. Bei großen Teilnehmerzahlen wird die Blockchain dadurch allerdings schwerfälliger: Es braucht momentan noch viel Speicher, viel Energie und viel Zeit, bis eine Transaktion in einer großen öffentlichen Blockchain abgewickelt werden kann, da sie von jedem Teilnehmer validiert werden muss. Man kann aber davon ausgehen, dass diese Probleme in Zukunft behoben werden.

Von der Lieferkette bis zum Autotacho

Blockchain lässt sich auch für die Industrie 4.0 nutzen – zum Beispiel, um Lieferketten besser zu steuern. Das spart Zeit und Kosten. Die Telekom testet mit dem Rotterdamer Hafen, wie Informationen aus Produktionsprozessen hinterlegt werden können – zum Beispiel bei der Transportüberwachung. Trifft ein Schiff eine halbe Stunde zu früh im Hafen ein, kann der LKW-Fahrer, der die Ladung entgegennimmt, bislang kaum auf die Verschiebung reagieren. Zeitverlust und finanzielle Einbußen sind die Folgen. Mit der Blockchain-Technologie ließen sich Frachtinhalte entlang der ganzen Lieferkette in Echtzeit verfolgen. Zwar existieren Transportwegüberwachungen bereits seit Längerem, allerdings oft mit vielen Lücken. Die Ursache: Nicht alle am Logistikprozess beteiligten Parteien haben Zugriff auf die Daten. Diese Lücke könnte mittels Blockchain geschlossen werden. Ein weiterer Vorteil: Das aufwändige Handling von Frachtpapieren könnte auf Dauer entfallen.

Ein anderes Beispiel zur Anwendung von Blockchain im Supply Chain Management finden Sie im nachfolgenden Video:

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„Vorteile können theoretisch überall dort entstehen, wo ein Austausch von Werten und Daten zwischen Parteien stattfindet, bei dem Vertrauen sichergestellt werden muss – also auch in der Arbeit mit Dienstleistern, im Handel, bei Streitfällen sowie bei der Revision und bei Überprüfungen durch Aufsichtsbehörden“, sagt Mustafa Cavus, IT-Architekt bei Sopra Steria.

Ein Beispiel: gefälschte Produkte im internationalen Handel. Unechte Medikamente etwa gefährden Gewinn und Ansehen des Herstellers und die Gesundheit der Patienten. Über die Blockchain ist es möglich, Produkte oder Produkteigenschaften fälschungssicher abzuspeichern. Ein verborgener Code, der direkt auf die Tabletten gedruckt wird, mache die Lieferkette nachvollziehbar und komme Anomalitäten auf die Spur – so das Softwareunternehmen Xain. Und der Bosch-Konzern hat ein Projekt gegen manipulierte Autotachometer gestartet. Meldet das Auto regelmäßig seinen Tachostand an die Datenbank, kann die Zahl der gefahrenen Kilometer bei einem Verkauf des Autos nicht zurückgesetzt werden.

Blockchain in der Finanzwelt

Die LBBW hat im vergangenen Jahr mit dem Autobauer Daimler ein Pilotprojekt durchgeführt, um Finanztransaktionen über die Blockchain darzustellen. Der Autoproduzent Daimler hat über die LBBW ein Schuldscheindarlehen platziert. Von der Initiierung über die Platzierung, Zuteilung und den Vertragsabschluss bis hin zu den Zins- und Rückzahlungen wurden alle Vorgänge auf einer Blockchain digital abgebildet. Das Pilotprojekt zeigte, dass dadurch viel Zeit und Aufwand gespart werden kann. Denn viele bisher manuelle Arbeitsschritte lassen sich mit der neuen Technik automatisieren. Zum Beispiel gehen im Schuldscheingeschäft derzeit noch Unterschriften und Dokumente per Fax hin- und her. Hier schaffen in der Blockchain hinterlegte Smart Contracts – das sind Computerprotokolle, die Verträge in Code abbilden und automatisch ausführen – Abhilfe. Allerdings sind hier noch rechtliche Fragen offen. Deswegen müssen derzeit noch alle Vorgänge parallel auf dem traditionellen Weg ausgeführt werden. Das war auch bei der zweiten Blockchain-Schuldscheintransaktion der Fall, welche die LBBW kürzlich gemeinsam mit der Telefónica Deutschland AG durchgeführt hat.

Rechtsgültig oder nicht?

Zum Beispiel ist das Problem, sich virtuell rechtssicher zu identifizieren, bei uns noch nicht gelöst. Bislang dokumentieren Vertragsparteien ihre Erklärungen durch ihre Unterschrift oder digital verfasste Willenserklärungen. Häufig sind es auch Kombinationen, etwa der Austausch unterzeichneter und gescannter Dokumente per E-Mail. Um Blockchain im Vertragsmanagement sinnvoll einsetzen zu können, braucht es eine sichere Verbindung wie die elektronische Signatur zwischen Partnern. Das ist im Moment noch sehr aufwendig und hat sich daher in der Praxis kaum durchgesetzt.

Die Softwarefirma SAP ist Vorreiter bei einer möglichen Lösung: Sie soll Behördengänge vereinfachen, indem Dokumente in einer virtuellen Datenbank abgelegt werden. Das Projekt läuft in Italien, denn dort ist – rechtlich gesehen – ein Dokument auch nach der Digitalisierung (Scan) ein Original. Der Vorteil: Wenn die Verifizierung eines digitalen Dokuments über die Blockchain erfolgt, muss die Echtheit nicht mehr von mehreren Personen kontrolliert und bestätigt werden.

Blockchain: „Wir brauchen verbindliche Standards“

Wenn Blockchain sich auf breiter Front durchsetzen soll, braucht es also einen soliden rechtlichen Rahmen. Die Aussichten stehen gut, dass sich hier auch in Deutschland bald etwas tut. „Die Einstellung der Regulierungsbehörden ist dieser neuen Technologie gegenüber erstaunlich offen und freundlich gesinnt“, erklärt LBBW-Analyst Dr. Guido Zimmermann. Auch die LBBW pflegt bei ihren Blockchain-Aktivitäten einen regen und positiven Austausch mit der Aufsicht. Sogar im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist verankert, dass eine umfassende Blockchain-Strategie entwickelt und ein Rechtsrahmen geschaffen werden sollen.

Dass das Thema sogar bei den Regierungsverhandlungen eine Rolle gespielt hat, zeigt: Blockchain ist auch bei uns mittlerweile mehr als Zukunftsmusik. Spätestens wenn Geschäftspartner und Kunden die neue Technik nutzen, sollte man einsteigen können. Der Bedarf wird gesehen: Laut Research-Abteilung des Branchenverbands Bitkom stuften bei einer Umfrage zu digitalen Themen mehr als die Hälfte der Unternehmen Blockchain als besonders relevant ein.

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