Das effiziente Management des Working Capitals (WCM) wurde in der Hochkonjunktur der vergangenen Jahre häufig vernachlässigt. Nun jedoch kann die Liquiditätsplanung darüber entscheiden, wie erfolgreich viele Unternehmen nach der Corona-Zwangspause von Wirtschaft und Gesellschaft wieder durchstarten.
In seiner Vergleichsstudie „Working Capital Management in rauen Zeiten“ kommt Analyst Andreas Heinemann zu dem Schluss, dass das Working Capital – also das Umlaufvermögen eines Unternehmens minus der kurzfristigen Verbindlichkeiten – in den vergangenen Jahren vor der Krise auf Rekordniveau gestiegen ist. „Die Geldumschlagsdauer ist seit 2010 fast kontinuierlich gestiegen und erreicht bei den zuletzt veröffentlichten Zahlen für 2018 inzwischen fast 40 Tage“, erklärt Heinemann. Je geringer dieser Wert, desto besser für die Unternehmen.
Dabei blieben die sogenannte Debitorenlaufzeit sowie die Kreditorenlaufzeit relativ konstant, während sich die Lagerdauer bis 2018 um fast vier Tage verlängerte. Bei steigender Nachfrage bauten die Unternehmen Lagerbestände auf, um in der Hochkonjunktur lieferfähig zu bleiben.
Zu dem entspannten Umgang mit dem Working Capital führte dabei nicht nur die mehr als zehn Jahre lang stetig wachsende Konjunktur mit stabilen Auftragseingängen. Auch die anhaltende Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank trug dazu bei, weil sie die Ertragsbelastung für die Unternehmen gering hielt.
Lagerbestände werden nach Corona-Krise steigen
Zur Optimierung des Working Capitals schauen Unternehmer auf die drei Kennzahlen Lagerdauer sowie Debitoren- und Kreditorenlaufzeit. Diese Kennzahlen geben darüber Aufschluss, wie lange liquide Mittel im Umlaufvermögen des Unternehmens gebunden sind. Ein konsequentes Working Capital Management setzt gebundene Liquidität frei und verbessert damit wichtige Kennzahlen wie die Eigenkapitalquote oder den Verschuldungsgrad, aber auch die Bonität. Auch deshalb gilt es als wirkungsvolles Instrument zur Steigerung des Unternehmenswerts.
Während der Corona-Krise zerrissen bei vielen Firmen die Liefer- und Produktionsketten, was zu Produktionsausfällen führte. Deshalb dürften trotz des enormen Nachfragerückgangs die Lagerbestände zukünftig wieder deutlich steigen, sagt Analyst Heinemann voraus: „Das bindet Kapital und drückt das Working Capital der Unternehmen bei geringerem Umsatz. Steigen die Einnahmen wieder, steigt wegen der Vorfinanzierungen und womöglich nötiger Investitionen auch der Finanzbedarf rasch deutlich. Nach der Krise entscheidet das Working Capital Management deshalb, wie die Unternehmen vom Start wegkommen.“
Um eine möglichst große Datenbasis zu erhalten, nutzte der Analyst die Daten von jährlich rund 130.000 Unternehmen aus der Unternehmensabschlussstatistik (auf Basis von Einzelabschlüssen) der Bundesbank aus den Jahren 1997 bis 2017, sowie den ersten Schätzungen der Bundesbank für 2018. Eine voran gegangene LBBW Studie hatte im vergangenen Jahr nur die Zahlenwerke von rund 400 Konzernen im DAX, MDAX oder SDAX verglichen. „Der genaue Blick auf Unternehmen und Branchen zeigt deutliche Unterschiede. Für jeden Unternehmer empfiehlt sich deshalb eine Analyse des eigenen Unternehmens, der Branche sowie der unmittelbaren Wettbewerber“, rät Heinemann.
Großunternehmen handeln lange Zahlungsziele aus
Von entscheidender Bedeutung ist erwartungsgemäß die Unternehmensgröße. Kleine und mittelgroße Unternehmen mit Umsätzen unter 50 Millionen Euro haben im vergangenen Jahrzehnt beispielsweise eine durchschnittliche Lagerdauer von 52 Tagen. Im Gegensatz dazu beträgt die Lagerdauer bei Großunternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro im Mittel 36 Tage. Während Großunternehmen seit 2010 tendenziell ihre Kreditorenlaufzeit zu ihrem Vorteil ausweiten, deuten die Zahlen für kleine und mittelgroße Unternehmen unverändert auf eine unvorteilhafte Einengung hin. Dies lässt Rückschlüsse auf die Marktmacht bei Großunternehmen zu, die mit ihren Zulieferern lange Zahlungsziele vereinbaren können.
Für die Beurteilung der Liquidität wird gern auf die Zeit bis zum Erhalt offener Rechnungsbeträge verwiesen. Bei praktisch allen Unternehmen hat sich das Forderungsmanagement seit 2010 verbessert. Die erfreuliche Entwicklung dürfte mit günstigeren, kürzeren Zahlungszielen, einem verbesserten Mahnwesen sowie den geringeren Zahlungsschwierigkeiten von Kunden in den Boomjahren und schließlich der Nutzung von Factoring-Angeboten zu tun haben.
Maschinenbauer warten am längsten auf ihr Geld
Aber auch im Branchenvergleich sind große Unterschiede sichtbar. Heinemann verweist zum einen auf den Maschinenbau, dessen extrem lange Geldumschlagsdauer rund drei Monate beträgt. Die teils monatelangen Wertschöpfungsketten in der Branche führen zu hohen Lagerbeständen. Zugleich müssen die Maschinenbauer ihre Lieferanten bereits nach durchschnittlich 37 Tagen bezahlen. Das andere Extrem fand der Analyst in der Informations- und Kommunikationsbranche. Hier ist die Lagerdauer mit 13,4 Tagen ungewöhnlich niedrig. Heinemann vermutet dahinter ungewöhnlich gut abgestimmte Produktionsprozesse. Besonders bemerkenswert ist jedoch die lange Zeit, die sich die Unternehmen mit dem Bezahlen ihrer Rechnungen lassen. Im Durchschnitt sind es 52,8 Tage. „Folglich finanzieren die Lieferanten den Geschäftsbetrieb dieser Unternehmen sozusagen zinslos“, urteilt Heinemann.