In den kommenden Jahren wird die europäische Wirtschaft ihren Finanzbedarf zunehmend durch nachhaltige Unternehmensanleihen decken. Allein im laufenden Jahr wird deshalb das Emissionsvolumen nachhaltiger Unternehmensanleihen (ESG) um 60 Prozent nach oben schießen, sagt Alexandra Schadow, Abteilungsleiterin im LBBW Research unter Hinweis auf das unerwartet lebhafte Emissionsgeschäft im ersten Quartal voraus. Die Unternehmen decken auf diesem Weg einen Teil ihres erhöhten Kapitalbedarfs, verursacht durch die Entwicklung neuer Geschäftsfelder und durch gesetzliche Auflagen.
In einer Studie heben die Analysten des LBBW Research deshalb ihre Prognose für die Neuemissionen von Corporate ESG (Environmental, Social, Governance) Bonds im Jahr 2021 deutlich von bislang 130 Milliarden Euro auf 150 Milliarden Euro. Die neue Markteinschätzung basiert auf der starken Entwicklung zum Jahresauftakt. „2020 ist der ESG-Markt um fast ein Viertel gewachsen. Diese Dynamik hat sich Anfang 2021 noch beschleunigt“, sagt Schadow. Das Neuemissionsvolumen übertraf im Februar 2021 den Vorjahresmonat um das Dreifache und erreichte knapp 14 Milliarden Euro. Bereits der Januar war deutlich stärker als der Vorjahreszeitraum: Hier stehen 8,6 Milliarden Euro in diesem Jahr 5,8 Milliarden Euro 2020 gegenüber. „Im Januar ist das emittierte Emissionsvolumen um fast 50 Prozent gestiegen, im Februar um nahezu 300 Prozent. Ein derart kräftiges Wachstum gab es noch nie. Wir erwarten, dass sich der Trend fortsetzt“, sagt Schadow.
Sustainable Bonds übertreffen Grüne Anleihen
Zwar überwiegt der Anteil grüner Anleihen immer noch deutlich, aber der Anteil der Sustainable Bonds am Gesamtvolumen steigt stetig. Das sind Anleihen, deren Emissionserlöse ausschließlich zur (Re-)Finanzierung von Umwelt- und Sozialprojekten dienen. Sie entsprechen sowohl den Kriterien von Green als auch von Social Bonds. Hatten Sustainable Bonds im Jahr 2018 noch einen Anteil von zwei Prozent an allen nachhaltigen Anleihen, so waren es 2020 bereits 14 Prozent. Sustainable Bonds sind damit ein Motor dieses Wachstumsmarktes. Im gesamten Marktsegment der nachhaltigen Corporate Bonds dominierten 2020 allerdings weiterhin die Green Bonds mit 80 Prozent.
Social Bonds haben mit einem überschaubaren Anteil von 6 Prozent einen Seltenheitswert im Corporates-Segment. Die bisher noch wenig genutzten Sustainability Linked Bonds (SLBs) erweitern den Markt für nachhaltige Bond-Formate zudem um eine neue Investmentmöglichkeit. Der besondere Unterschied liegt in den Strukturierungsmerkmalen. Zum einen legt der Emittent messbare Kennzahlen in Kombination mit einem Nachhaltigkeitsziel fest. Zum anderen ist dem Unternehmen die Verwendung des Bonderlöses auch für allgemeine Betriebszwecke möglich.
Unternehmen müssen in Nachhaltigkeit investieren
„Der Druck der EU-Vorgaben auf einige Branchen wie Energie und Transport ist groß. Unternehmen müssen sehr schnell ihre tradierten Wertschöpfungsketten aufbrechen und neue Wege einschlagen“, sagt Alexandra Schadow. Das führe bei vielen Unternehmen zu einem steigenden Kapitalbedarf. Diesen Bedarf würden die Firmen unter anderem auf dem ESG-Markt decken, so die LBBW-Spezialistin. „Das heizt den Markt mit nachhaltigen Finanzprodukten weiter an. Gleichzeitig sorgen die Gesetzes-Initiativen der EU für höhere Kosten bei den Unternehmen, was mittelfristig den Preisdruck erhöhen könnte.“
Der Weg zum grünen Kontinent
Mit zahlreichen Gesetzesinitiativen im Kontext des 2019 vorgestellten European Green Deal Konzeptes treibt die EU den Trend zu nachhaltigen Finanzprodukten bewusst voran und greift zugleich spürbar in den Geschäftsalltag der Wirtschaft ein. 50 Maßnahmen wie beispielsweise den gezielten Ausbau erneuerbarer Energien hat die EU-Kommission bisher definiert. Unternehmen müssen konkrete Schritte umsetzen, damit der European Green Deal ein Erfolg wird. Der Fahrplan sieht vor, die Netto-Treibhausgasemissionen der EU bis Mitte des Jahrhunderts auf null zu senken und Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.
Zudem gibt es anspruchsvolle Zwischenziele: Bereits 2030 soll Europa 55 Prozent weniger Treibhausgase emittieren als noch 1990. Das Finanzsystem spielt bei der Umsetzung dieser Maßnahmen eine Schlüsselrolle. Ziele der Europäischen Kommission sind, Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken, finanzielle Risiken durch Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung und soziale Probleme zu bewältigen sowie Transparenz und langfristige Planung in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern. Dafür hat die EU ein eigenes Instrumentarium entwickelt: Die Mitte 2020 vorgestellte EU-Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das Investoren bei der Anlage in nachhaltige Produkte klare Bewertungskriterien vorgibt. Zudem bietet es Unternehmen eine wertvolle Orientierungshilfe.
Die vollständige Studie finden Sie hier:
www.lbbw.de/2021-studie-esg-bonds