20.06.2024

Neue Ära für die Rechenschaftspflicht

Pressemitteilung | Studie

Die Einführung umfangreicher Nachhaltigkeitsberichts-Pflichten und einer europaweiten Lieferkettenrichtlinie zeigen deutlich, wie groß noch immer die Spannungen zwischen Unternehmen und dem europäischen Regulator sind. Für das LBBW Research wäre es aber zu kurz gedacht, wenn man Regulierung und Bürokratie allein den Schwarzen Peter zuschieben würde. Viele Unternehmen hätten sich auch zu lange nicht um die ökologische und soziale Nachhaltigkeit gekümmert, urteilt Nachhaltigkeitsanalystin Sabrina Kremer.

Ende Mai verabschiedete die EU eine neue EU-Richtlinie, die Großunternehmen zur Einhaltung der Umwelt- und Menschenrechte in ihren gesamten Lieferketten verpflichtet. Sie gilt ebenso für die Tätigkeiten von deren Geschäftspartnern, sofern diese an Produktion, Vertrieb, Transport oder Lagerung beteiligt sind. „Die Nachhaltigkeitsrichtlinie Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) markiert sicher den Beginn einer neuen Ära für die Rechenschafts¬pflicht von Unternehmen, erklärt Expertin Kremer.

Bereits 2020 hatte die Bundesregierung festgestellt, dass freiwillig nicht einmal jedes fünfte Unternehmen entsprechende Anstrengungen unternahm. Bundes¬kanzlerin Angela Merkel legte 2021 deshalb den ersten Entwurf für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) vor. Kurze Zeit später folgte die EU-Kommission mit dem ersten Entwurf zur CSDDD. Denn auch innerhalb der EU wurden die Menschenrechte in Lieferketten von nicht einmal jedem fünften Unternehmen berücksichtigt.

Zuviel Bürokratie schafft konkurrierende Regelwerke

In der Folge gibt es nun gleich zwei Regelwerke, die zu befolgen seien. „Während sich das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz insbesondere der Menschenrechte annimmt, geht die EU -Richtlinie deutlich weiter und fordert neben der Einhaltung der Menschenrechte konkrete Maßnahmen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels“, erklärt die Analystin. Die europäische Richtlinie legt die Haftung von Unternehmen allerdings dabei in die Hände der Mitgliedsländer. Das LkSG sieht hingegen keine Haftung vor.

Während die CSDDD damit konkrete Handlungen von den Unternehmen fordert, steht die Berichtspflicht-Direktive Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) für die Offenlegung der Produktionsverhältnisse. Sie standardisiert die Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb der EU und ist der Bilanzbericht¬erstattung gleichgestellt. Dabei müssen die Firmen die finanziellen Auswirkungen von Faktoren des Umweltschutzes, Sozialrechts und guter Unternehmens¬führung (ESG) auf das Unternehmen beziffern und angeben, wie es auf Umwelt und Gesellschaft wirkt.

Dazu müssen betroffene Unternehmen mehr als 1100 Fragen zu sich und ihren Dienstleistern und Lieferanten beantworten. Zukünftig wird dies auch kapital¬marktorientierte Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitern und 0,9 Millionen Euro Umsatz betreffen. Kein Wunder, dass sich die Kritik hartnäckig hält, Regulierung sei intransparent, unübersichtlich und schwäche die Wirtschaft, urteilt die Nachhaltigkeitsanalystin: „Die Unternehmen können meist nicht erkennen, wo für sie der wirtschaftliche Vorteil liegt. Sie müssen sich für die Themen rund um die Nachhaltigkeit aus der Komfortzone bewegen und Investitionen ins Ungewisse tätigen.“

„Abgehängt durch die Regulierung? – Das greift zu kurz.“

Hinzu kommt in einer ohnehin bereits wirtschaftlich angespannten Situation der regulatorische Druck, der die Unternehmen bedrängt. Zinswende und der anhaltende Fachkräftemangel sorgen für zusätzliche Sorgenfalten bei den Unter¬nehmern. „Abgehängt durch die Regulierung? – diese Schlussfolgerung greift zu kurz“, so Kremers Fazit. „Viele Unternehmen haben sich vielmehr zu wenig mit dem Thema beschäftig und freiwillige Prozesse und Maßnahmen im Bereich ökologischer und auch sozialer Nachhaltigkeit aufgegleist, vor allem in den Lieferketten.“

Dabei sei ein Teil der Kritik durchaus berechtigt, sagt die Expertin und vermisst scheinbar Selbstverständliches: „Politik, Standardsetzer, Unternehmen, Banken und Investoren müssen in einen noch engeren Dialog treten. Der für Deutschland wichtige Mittelstand darf dabei nicht in Vergessenheit geraten. Und die Theorie muss die Praxis verstehen, die Investoren die Unternehmen, aber auch anders herum.“

Zugleich mahnt sie mehr Verhältnismäßigkeit an. So sollten die Berichtspflichten für ein kleines oder mittleres Unternehmen geringer als für einen Großkonzern mit deutlich stärkeren globalen Verflechtungen ausfallen. Regulierung sei das Abmessen zwischen dem Schutz des einen und den Freiheiten des anderen. „Doch wir zweifeln an, dass diese beiden Seiten mit der aktuellen Regulierung gut ausbalanciert sind“, so Kremers Fazit.

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Rüdiger Schoß, Pressereferent der LBBW

Rüdiger Schoß

Pressereferent Research, Immobilien

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