27.06.2022

Wir sind nur noch einen Wimpernschlag von einer Rezession entfernt

Pressemitteilung

  • Analysten passen zum Halbjahr zahlreiche Prognosen an
  • Deutsche BIP-Prognose 2022 nur noch bei plus 1,5 Prozent, für den Euroraum bei plus 2,3 (2023: jeweils 1 Prozent)
  • EZB-Einlagesatz bereits Ende 2022 bei 1 Prozent erwartet
  • DAX schließt Ende 2022 bei 13.500 Punkten
  • Rohölpreis im kommenden Jahr unter Druck in Richtung 100 US-Dollar

Corona, der Ukrainekrieg und anhaltende Lieferengpässe haben das konjunkturelle Bild im ersten Halbjahr deutlich eingetrübt und lassen auch für die zweite Jahreshälfte nur wenig Gutes erwarten. In der Folge hat das LBBW Research einen Großteil seiner bisherigen Prognosen weiter angepasst.

Allein ein russischer Lieferstopp beim Erdgas reiche aus, die Erholung der Wirtschaft von den schweren Corona Belastungen zum Erliegen zu bringen. „Wir sind nur noch einen Wimpernschlag von der Rezession entfernt“, urteilt Chefvolkswirt Moritz Kraemer zum Ende des ersten Halbjahrs. In den warmen Sommermonaten füllen sich die Speicher langsam, reichten aktuell aber nur bis Februar. Russland deckte bisher mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Erdgasbedarfs. Das Gas ist der wichtigste Brennstoff, aber auch ein wichtiger Grundstoff für die Industrie, deren Produktion teils völlig zum Erliegen käme.

Nicht nur der drohende Verlust von Erdgas, -öl und -produkten sorgt für schwere Gewitterwolken am Konjunkturhimmel. Sondern im Zuge der stark steigenden Energiepreise vor allem die kräftig anziehende Inflation. „Da braut sich der perfekte Sturm zusammen. Die Erzeugerpreise steigen inzwischen stärker als in der Nachkriegszeit und der Ölpreiskrise. Da kommt auf die Verbraucher noch Einiges zu“, urteilt Kraemer. Die Analysten des LBBW Research erwarten, dass die Teuerung in Deutschland 2022 im Durchschnitt 7,2 Prozent beträgt, in der Eurozone gar 7,5 Prozent.

LBBW Research erwartet EZB-Leitzins Ende 2022 bei 1 Prozent

Obwohl die Preise damit weit aus dem Zielband der Inflationshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgebrochen sind, erwartet das LBBW Research, dass die europäische Notenbank die Leitzinsen deutlich zurückhaltender anhebt, als andere führende Notenbanken. Die EZB erwarte inzwischen selbst, dass die Inflation auch 2024 noch über der 2-Prozentmarke liegen werde. Trotzdem sei sie noch immer zu optimistisch. Reichten die zögerlichen geldpolitischen Maßnahmen der Bank am Ende nicht aus, sei zudem nicht auszuschließen, dass die Notenbank schließlich zu radikalen Maßnahmen greife, um ihre Ziele zu erreichen - und damit zulasten der Wirtschaft erneut übers Ziel hinausschieße, befürchten die Volkswirte. Ende des Jahres sollte der EZB-Einlagesatz erstmals nach zehn Jahren wieder 1 Prozent betragen. Für das erste Halbjahr 2023 rechnen die Analysten dann mit vier weiteren Zinsschritten um je 25 Basispunkte.

Die Ankündigung der EZB, die Leitzinswende einzuleiten, ließ die Renditen der Staatsanleihen der Euroländer wieder ihre traditionell weiten Abstände einnehmen. „Der Euro-Rentenmarkt ist nach der Zinswendeankündigung der EZB erneut im Ausverkaufsmodus. Ihre Schmerzgrenze dürfte bei der ‚Fragmentierung‘ der Risikoaufschläge damit wohl nahegerückt sein“, urteilt Moritz Kraemer. Es bestehe die Gefahr, dass Notenbankpräsidentin Christine Lagarde nun ein spezielles Aufkaufprogramm für Staatsanleihen der Peripherieländer entwickele. Ein solches Spreadinstrument droht aber genau jene Staatsschuldenkrise zu provozieren, die es eigentlich zu verhindern sucht, warnt der Chefvolkswirt. Verschuldete Länder hätten es damit endgültig nicht mehr nötig, mit unpopulären Maßnahmen ihren Haushalt zu konsolidieren.

Zinsangst an den Märkten

Angesichts der schlechten Vorgaben von der Konjunkturseite werden inzwischen auch die Finanzmärkte auf breiter Front von Zinsangst gepeinigt. „Die Kombination aus hoher Inflation und Zinsängsten lässt bei den Investoren die Rezessionswarnlampen aufleuchten“, sagt Kraemer. Zu sehr befürchteten sie, dass nach der Geldflut der vergangenen Jahre nun eine drohende Ebbe sprichwörtlich alle Boote auf Grund laufen lässt. Bei den vielbeachteten US-Staatsanleihen und an der Wall Street summieren sich die Wertverluste seit Jahresbeginn auf zweistellige Prozentzahlen, während sich Gold gerade noch halten kann. Geradezu katastrophal entwickelte sich der Wert der Kryptowährung Bitcoin. Von manchen Beobachtern als „digitales Gold“ gepriesen, hat sich der Kurs inzwischen glatt halbiert.

Ende 2022 sieht das LBBW Research den DAX bei 13.500 Punkten und damit bereits wieder deutlich über den Ende September erwarteten 12.500 Punkten. Den S&P 500 erwartet es zum Jahresende bei 3.750 Punkten und den EuroStoxx 50 bei 3.500 Zählern. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen wird auf 1,95 Prozent taxiert. Zugleich soll der Euro auf 1,08 Dollar nachgeben. Der Preis für ein Fass Rohöl der Nordseesorte Brent soll zu Jahresende 100 US-Dollar betragen.