10.03.2023
Wann ist Wasserstoff grün? EU-Kommission legt Kriterien fest
Die Industrie erhält klare Vorgaben für Anlagen, die grünen Wasserstoff produzieren. Damit nimmt der Aufbau einer europäischen Wasserstoffindustrie an Fahrt auf.
Grünem Wasserstoff kommt eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz zu: Als CO₂-neutraler Alleskönner soll er – pur oder zu anderen Energieträgern wie E-Fuels oder synthetischem Methan verarbeitet – künftig fossile Brenn-, Treib- und Grundstoffe in der Industrie, im Verkehr, in der Strom- und der Wärmeversorgung ersetzen. Doch was heißt grün? Welche Kriterien muss Wasserstoff dafür erfüllen? Nach intensiver Debatte hat die EU-Kommission jetzt im Rahmen ihrer Fit-for-55-Strategie eine Definition vorgelegt.
Dieser Entwurf war von der Industrie bereits heiß ersehnt worden. Schließlich können Unternehmen erst dann in die nötigen Erzeugungskapazitäten investieren, wenn klar ist, unter welchen Bedingungen Wasserstoff als grün gilt. Die Abnehmer wiederum benötigen die Definition, um mit dem Einsatz von Wasserstoff ihre Klimaschutzvorgaben erfüllen zu können. „Klare Vorschriften und ein zuverlässiges Zertifizierungssystem sind von entscheidender Bedeutung“, damit sich eine Wasserstoffindustrie in Europa entwickeln und etablieren könne, sagt daher EU-Energiekommissarin Kadri Simson.
Klare Vorschriften für Wasserstoff sind von entscheidender Bedeutung dafür, dass sich dieser aufstrebende Markt in Europa entwickeln und etablieren kann.
Bevor die Definition für grünen Wasserstoff rechtswirksam wird, müssen ihr allerdings noch das EU-Parlament sowie der Europäische Rat als Vertretung der Mitgliedsstaaten zustimmen. Sie haben zwei Monate Zeit, um den Entwurf entweder anzunehmen oder abzulehnen – ändern können sie ihn nicht.
Grün nur mit Strom aus neuen Wind- und Solarparks
Grüner Wasserstoff wird per Elektrolyse erzeugt: Wasser (H₂O) wird unter Strom gesetzt, sodass sich Wasserstoff (H₂) und Sauerstoff (O) voneinander trennen. Stammt der eingesetzte Strom aus erneuerbaren Quellen, ist der Wasserstoff klimaneutral.
Da ist die Definition doch ein Kinderspiel, sollte man meinen. Ganz so einfach ist das mit Blick auf die europäische Energiewende leider nicht. Der Energiewende ist nur gedient, wenn der Ökostrom aus Anlagen kommt, die eigens für die Elektrolyse gebaut werden. Würden die Wasserstofferzeuger dafür beispielsweise Energie aus jahrzehntealten Wasserkraftwerken beziehen, wäre für den Klimaschutz nichts gewonnen, weil der grüne Strom dann an anderer Stelle fehlt.
Der Kommissionsentwurf sieht nun vor, dass der für die Elektrolyse eingesetzte Ökostrom ab 2028 aus Anlagen kommen muss, die nicht älter als drei Jahre sind. Zudem müssen die Wind- und Solarparks oder Wasserkraftwerke in der Nähe der Wasserstofferzeugung angesiedelt sein, um das Stromnetz so wenig wie möglich zu belasten. Wobei „Nähe“ sehr großzügig als „einer Strompreiszone zugeordnet“ definiert ist. Da es in Deutschland nur eine solche Zone gibt, könnte also ein Elektrolyseur in Freiburg mit Windstrom aus Nordfriesland betrieben werden.
Darüber hinaus verlangt die EU-Kommission, dass die Erzeugung und der Einsatz des Stroms ab 2030 in die gleiche Stunde fallen. Das soll sicherstellen, dass die Elektrolyseure nur dann laufen, wenn tatsächlich Wind- und Solarstrom erzeugt werden.
„Lex Frankreich“: Ausnahmen für Atomstrom im Netz
Allerdings sieht der Entwurf einige Ausnahmen vor, die politisch brisant sind: Sind die CO₂-Emissionen aus der Stromversorgung eines Landes schon heute sehr gering, sollen die Wasserstoffproduzenten ihre Energie künftig auch aus alten Erneuerbare-Energien-Anlagen beziehen dürfen. Zudem können die Unternehmen dort ihre Elektrolyseure unter bestimmten Bedingungen auch bei Flauten und Dunkelheit betreiben – sie kaufen dann einfach Strom auf dem Markt ein.
Diese Regelungen haben es auf Druck Frankreichs in den Entwurf der Kommission geschafft. Dessen Strommix ist wegen der vielen Atomkraftwerke bereits heute sehr emissionsarm. Frankreich verschafft sich damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mitgliedsstaaten. Kein Wunder also, dass einige EU-Abgeordnete und auch das deutsche Bundeswirtschaftsministerium bereits ihre Unzufriedenheit mit diesen Ausnahmen geäußert haben.
Dass EU-Parlament und Europäischer Rat die Definition von grünem Wasserstoff an dieser Frage scheitern lassen, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Denn der globale Wettbewerb setzt die EU stark unter Druck, schnell die Weichen für den Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft zu stellen. Angesichts des Tempos, das etwa die USA an den Tag legt, kann sich Europa kein Zögern leisten.