Gasspeicher sind gut gefüllt – aber ein Risiko bleibt

Bis zum Beginn der Heizperiode werden die deutschen Gasspeicher wohl voll sein – aber das garantiert nicht, dass das Gas im kommenden Winter tatsächlich reicht.

Gasspeicher
Gasspeicher

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine findet sich im Wirtschaftsteil mancher Zeitung neben den DAX- und Dow-Jones-Daten eine neue Zahl: der Füllstand der deutschen Gasspeicher. So wie die Börsenkurse die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung abbilden, so soll die Auslastung der Speicher als Indikator für die Sicherheit der heimischen Energieversorgung in den Folgemonaten dienen.

Die Gasspeicher sind seit Jahrzehnten zentraler Bestandteil des deutschen Energiesystem: Sie sollen gewährleisten, dass Haushalten und Industrie auch im Winter ausreichend Erdgas zu möglichst günstigen Preisen zur Verfügung steht. Wegen des großen Bedarfs an Heizwärme liegt der Bedarf in der kalten Jahreszeit fast drei Mal so hoch wie im Sommer.

Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges dienten die Speicher vor allem als Preispuffer. Wenn im Sommer die Großhandelspreise für Erdgas fallen, kaufen die Versorger den Brennstoff günstig ein und lagern ihn dort für den Winter. Mit dem Ende der Gaslieferungen aus Russland ist eine weitere Funktion der Speicher jedoch noch viel wichtiger geworden: die Absicherung der Gasversorgung. Denn ohne Importe aus Russland reichen die Gasmengen, die Deutschland im Winter aus Norwegen und über Flüssiggasterminals etwa in den Niederlanden und Belgien bezieht, nicht aus, um den Bedarf zu decken. Diese Lücken sollen die Gasspeicher schließen. Das setzt jedoch voraus, dass sie zu Beginn der Heizperiode im Herbst vollständig gefüllt sind.

Gasspeicher auf dem Weg zu 100 Prozent

Wie ist die Situation heute, zu Sommerbeginn? Am 22. Mai 2023 lag der Füllstand bei 73 Prozent, rund 22 Prozentpunkte höher als im Mittel der Jahre 2017 bis 2021 zu diesem Termin. Das macht es sehr wahrscheinlich, dass die Speicher bis zum November zu 100 Prozent gefüllt sein werden. Die Speicher sind unter anderem deshalb bereits so gut gefüllt, weil Bundesregierung und Energiewirtschaft neue Bezugsquellen erschlossen haben. So importiert die Bundesrepublik jetzt mehr Flüssiggas, auch über neue Terminals in der deutschen Nord- und Ostsee.

Noch viel stärker fällt allerdings ins Gewicht, dass im vergangenen Winter weit weniger Erdgas aus den Speichern abgeflossen ist als in den Vorjahren. Haushalte und Industrie haben nämlich kräftig Gas gespart – um fast 14 Prozent ist der Verbrauch 2022 gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Diese Entwicklung hat sich in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres fortgesetzt.

14 %

Gas haben Haushalte und Industrie im vergangenen Winter eingespart.

Noch viel stärker fällt allerdings ins Gewicht, dass im vergangenen Winter weit weniger Erdgas aus den Speichern abgeflossen ist als in den Vorjahren. Haushalte und Industrie haben nämlich kräftig Gas gespart – um fast 14 Prozent ist der Verbrauch 2022 gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Diese Entwicklung hat sich in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres fortgesetzt.

CO₂-Emissionshandel gibt Anreiz zum Gassparen

Neben der Sorge um die Energiesicherheit (und das Klima) haben vor allem die hohen Gaspreise die Verbraucher bewogen, Erdgas einzusparen. Das in Folge des russischen Lieferstopps verknappte Angebot hat die Großhandelspreise zeitweilig explodieren lassen. Das vergleichsweise warme Wetter hat es zudem recht einfach gemacht, den Gasverbrauch zu drosseln.

Daneben schlägt sich im Rückgang des Gasverbrauchs aber auch die jüngste Preisrallye im europäischen CO₂-Emissionshandel (EU ETS) nieder. Denn Energieversorger und Industriebetriebe müssen für ihren CO₂-Ausstoß Emissionszertifikate erwerben. Das gibt ihnen einen Anreiz, den Verbrauch von Erdgas und anderen fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Die EU hat zuletzt im Rahmen ihrer Fit-for-55-Strategie die Bedingungen für den Emissionshandel deutlich verschärft, so dass die Zertifikatspreise mittel- und langfristig weiter steigen werden.

Trotz voller Speicher sind Engpässe möglich

Die bereits recht gut gefüllten Speicher sind allerdings kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Denn selbst wenn die Speicher randvoll sind, besteht das Risiko, dass im nächsten Winter Versorgungsengpässe auftreten könnten. So kommt die „Initiative Energien Speichern INES“ – ein Zusammenschluss fast aller deutschen Gasspeicherbetreiber – in einer Modellierung zu dem Ergebnis (PDF, 1,9 MB), dass die Speicher bereits im Januar 2024 vollständig entleert sein werden, falls der Winter kälter als gewöhnlich ausfällt. Reduzieren Haushalte und Industriebetriebe ihren Verbrauch nicht noch stärker als sie es bislang schon tun, könne der Bedarf vermutlich nicht mehr komplett gedeckt werden.

„Durch den letzten Winter haben uns vollständig befüllte Gasspeicher, milde Temperaturen und starke Verbrauchseinsparungen gebracht“, erklärt INES-Geschäftsführer Sebastian Bleschke. „Der Blick auf den kommenden Winter zeigt allerdings, dass die Gasversorgungssicherheit in Deutschland noch nicht wiederhergestellt ist.“