HVO 100: mit „Klima-Diesel“ auf die Überholspur?
Zu schade für den Autotank: Interview mit Dr. Andreas Menne vom Fraunhofer Institut zu den Potenzialen des neuen Kraftstoffs HVO 100.
- Der neue Kraftstoff HVO 100 wird aus pflanzlichen Ölen – auch gebrauchten Ölen – hergestellt. Erste Tankstellen in Deutschland bieten ihn an.
- Weil er chemisch Diesel-Kraftstoff ähnelt, wird er als „Klima-Diesel“ vermarktet.
- Sein wirkliches Potenzial kann HVO 100 als flüssiger Energieträger mit einer hohen Energiedichte allerdings bei Schiffen und Flugzeugen entfalten.
Dr. Andreas Menne leitet seit 2019 den Bereich Low Carbon Technologies am Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht). Er beschäftigt sich mit alternativen Kraftstoffen – der neueste auf dem Markt heißt HVO 100.
LBBW: An einigen deutschen Tankstellen gibt es jetzt einen neuen Kraftstoff. Herr Dr. Menne, was ist das Besondere an HVO 100?
Andreas Menne: HVO 100 ist ein nahezu vollständig biobasierter Kraftstoff, der aus Pflanzenölen hergestellt werden kann. Das können gebrauchte Öle sein, die Öle können aber auch direkt aus den Pflanzen gewonnen werden. Mit ein wenig Wasserstoff, Druck und Hitze kann man dann einen chemischen Stoff herstellen, der dem fossilen Diesel sehr nahekommt.
LBBW: Stoßen Dieselmotoren dann mit HVO 100 viel weniger Kohlendioxid, also CO₂, aus?
Andreas Menne: Das in jedem Fall. Wenn HVO 100 im Motor verbrannt wird, entsteht kein neues CO₂ aus der Verbrennung der fossilen Energieträger. Man spart CO₂ gegenüber der Nutzung des fossilen Diesels ein.
LBBW: Ist HVO 100 also tatsächlich, wie es in den Medien heißt, „Klima-Diesel“?
Andreas Menne: „Klima-Diesel“ ist nicht ganz falsch. Jeder eingesparte Tropfen Öl ist gut. Doch es ist nicht so, dass dieser neue Kraftstoff das Klima retten wird. Das Potenzial von gebrauchten Pflanzenölen ist viel zu gering. Weltweit reden wir hier von ein paar Millionen Tonnen. Demgegenüber verbrauchen wir global mehr als eine Milliarde Tonnen Diesel. Es ist sicherlich ein Beitrag, aber nur ein sehr kleiner.
LBBW: Im Volksmund ist die Rede vom „Frittenfett im Tank“ – ein Mythos?
Andreas Menne: Ja, wir tanken jetzt schon mindestens sieben Prozent Pflanzenöle im normalen Bio-Diesel. Doch der neue Kraftstoff HVO hat mit Frittenfett so gar nichts mehr zu tun. Ja, es gibt unterschiedliche Sammler von Altfetten. Das wird dann von den Salzen gereinigt und aufgearbeitet. Dann kann man diesen Stoff einsetzen, um daraus HVO zu machen. Wir werden jetzt nicht alle Diesel in Deutschland mit auf der Basis von Frittenfett hergestelltem HVO betanken können. So viele Pommes können wir gar nicht essen.
Dieser neue Kraftstoff wird nicht das Klima retten. Das Potenzial von gebrauchten Pflanzenölen ist viel zu gering.
LBBW: Wo kommen die Rohstoffe dafür her? Palmöl aus Asien? Monokulturen für deutsche Dieselfahrer?
Andreas Menne: Das ist zu plakativ gesagt. Die riesigen Palmölplantagen in Asien entstehen nicht, weil wir hier Biokraftstoffe tanken. Im Wesentlichen entstehen sie für die Lebensmittelproduktion. Sie werden in einem Supermarkt kaum ein Produkt finden, das nicht Palmöl enthält. Es wird nicht so sein, dass dafür Regenwald gerodet wird, um dann HVO 100 herzustellen. Es ist in Europa gesetzlich vorgeschrieben, das frisches Palmöl für die Herstellung von Brennstoffen nicht verwendet werden darf. Allerdings ist auch das Angebot an gebrauchten Fetten in Europa gering. Für die Hersteller von HVO 100 ist es schwer zu prüfen, ob die Rohstoffe, die aus Asien kommen, auch wirklich gebrauchte Fette und Öle sind. Aber die Standards sind schon sehr hoch und auf Seiten der Industrie ist man durchaus sehr sensibel.
LBBW: In Österreich wird HVO 100 schon länger angeboten, der Liter kostet rund 20 Cent mehr als herkömmlicher Diesel. Wird sich HVO 100 in Deutschland durchsetzen?
Andreas Menne: Beim Preis wird HVO 100 ähnlich teuer sein wie in Österreich. Wir haben das Produkt jetzt am Markt. Langfristig gesehen ist es zu schade, das nur im Pkw zu verwenden. Aus Kosten- und Klimasicht gibt es für mich keine Alternative zur E-Mobilität. Klar fehlt es noch an Ladeinfrastruktur, und klar fehlt da auch noch der grüne Strom. Das ist aber alles zu lösen. Es müssten in der Mobilität Prioritäten eingeführt werden. Nicht alle Fahrzeuge lassen sich mit Strom effektiv betreiben, wie zum Beispiel Schiffe und Flugzeuge oder Landmaschinen, beispielsweise Baumaschinen. Hier werden in Zukunft weiterhin flüssige Energieträger mit einer hohen Energiedichte benötigt. Und genau da sollte man HVO 100 als Kraftstoff einsetzen.
LBBW: Wird HVO 100 damit zur Technologie der Zukunft oder bleibt es ein Marketing-Gag?
Andreas Menne: HVO 100 ist derzeit etwas für Leute, die nicht den Cent in der Tasche umdrehen müssen und die sich ein grünes Gewissen damit erkaufen wollen und können. Die Hersteller haben kräftig investiert und wollen damit jetzt Geld verdienen. Doch eigentlich müssen wir dahin kommen, dass HVO 100 da eingesetzt wird, wo wir mit der E-Mobilität nicht recht weiterkommen – bei Schiffen und Flugzeugen.
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 04.06.2024