Aus europäischer Sicht war es ein neuer Tiefpunkt: Am 23. August 2022 fiel der Euro nach monatelangem Sinkflug unter die Parität zum US-Dollar. Damit war die europäische Gemeinschaftswährung gegenüber dem Greenback so wenig wert wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr; ein Jahr zuvor hatte der Euro/US-Dollar-Kurs noch bei 1,17 US-Dollar gelegen.
Ab Ende September erholte sich der Euro entgegen vielen Erwartungen jedoch spürbar und wurde Mitte Dezember wieder bei 1,05 US-Dollar notiert. Die Achterbahnfahrt hat gleich mehrere Gründe, urteilt das LBBW Research. Vor allem blicken vieler Kapitalmarktteilnehmer wieder etwas optimistischer in die Zukunft, was die Bedeutung des US-Dollars als „sicherer Hafen“ sinken lässt. Für diese Annahme spricht zum einen, dass die Euroaufwertung Hand in Hand mit einer Erholung der Aktienmärkte ging. Zum anderen gewann nicht nur der Euro gegenüber dem US-Dollar an Wert, sondern alle wichtigen Währungen legten zu. Der Gemeinschaftswährung dürfte zudem geholfen haben, dass die befürchtete Konfrontation zwischen der neuen italienischen Regierung und der EU-Kommission zunächst ebenso ausgeblieben ist wie die für den Euroraum und insbesondere Deutschland erwartete Rezession. Darüber hinaus sind die Sorgen vor einer Gasrationierung vorerst vom Tisch.
Nachhaltige Trendumkehr noch nicht in Sicht
Eine nachhaltige Trendumkehr dürfte das jüngste Erstarken des Euros jedoch nicht markieren: Die Analysten von LBBW Research gehen vielmehr davon aus, dass die Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar im ersten Halbjahr 2023 wieder nachgeben könnte. Maßgeblich ist die Erwartung, dass die Wirtschaft des Euroraums im ersten Halbjahr 2023 in eine Rezession rutscht und die Gewinnsteigerungen der Unternehmen entsprechend geringer ausfallen dürften. Entpuppt sich die jüngste Aufwärtsentwicklung der Aktienkurse als Bärenmarktrallye, könnte der US-Dollar plötzlich als „sicherer Hafen“ wieder gefragt sein und der Euro/US-Dollar-Kurs wieder unter die Parität fallen. LBBW Research erwartet, dass der Euro im ersten Halbjahr 2023 auf 0,97 US-Dollar abwertet. Erst im Verlauf des zweiten Halbjahres 2023 solle sich der Euro wieder erholen, sollte die US-Notenbank Fed eine geldpolitische Wende hinlegen.
Euroschwäche ist eher Dollarstärke
Die mit Unterbrechungen anhaltende relative Schwäche des Euros ist nach Ansicht der Devisen-Analysten der LBBW also vor allem eine außergewöhnliche absolute Stärke des US-Dollars. Das wird auch darin deutlich, dass andere als „sichere Häfen“ geltende Währungen wie der Schweizer Franken oder der japanische Yen nicht im gleichen Maße vom Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs „profitieren“ konnten wie der Greenback. Gründe für die US-Dollar-Stärke im Vergleich zum Euro gibt es einige:
- Die Vereinigten Staaten sind wirtschaftlich deutlich besser und schneller durch die Coronavirus-Pandemie gekommen als Europa. Die US-Wirtschaftsleistung erreichte bereits im zweiten Quartal 2021 ihr Vorkrisenniveau – und damit deutlich früher als jene der Eurozone.
- Die US-Notenbank Fed hat deutlich früher als die Europäische Zentralbank (EZB) auf die hohe Inflation reagiert und bereits im Spätherbst 2021 zunächst rhetorisch die geldpolitische Wende eingeläutet. Dem folgte im März 2022 die erste Leitzinserhöhung seit 2018. Die EZB agierte zurückhaltender. Der Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen können, liegt nun bei 2,5 Prozent. Diese divergente Geldpolitik hat zu einer Ausweitung des Renditevorsprungs für US-Staatsanleihen geführt und dem Greenback den Rücken gestärkt.
- Die US-Wirtschaft wurde bislang weniger vom Russland-Ukraine-Krieg in Mitleidenschaft gezogen als der Euroraum. Zum einen ist der Außenhandel mit Russland für die Vereinigten Staaten von geringerer Bedeutung; zum anderen sind die Vereinigten Staaten dank des Einsatzes der Fracking-Technologie mittlerweile zum weltgrößten Erdölförderer aufgestiegen. Die US-Handelsbilanz mit Rohöl und Rohölprodukten ist infolgedessen ausgeglichen. Europa ist hingegen auf teure Ölimporte angewiesen. Ähnliches gilt für Erdgas. „Energieintensiv produzierende US-Unternehmen besitzen infolge der niedrigen Gaspreise in den Vereinigten Staaten einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus dem Euroraum“, sagt Dirk Chlench, Senior Economist bei der LBBW.
Energieintensive US-Unternehmen besitzen infolge der niedrigen Gaspreise einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus dem Euroraum.
Schwacher Euro – ein Vorteil für die deutsche Exportwirtschaft?
Gemeinhin gilt ein schwach tendierender Euro als Vorteil für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, weil er in Deutschland produzierte Waren für Abnehmer außerhalb der Eurozone günstiger macht. Doch ganz so direkt ist dieser Zusammenhang nicht immer. Zwar liegt der Wert der deutschen Warenausfuhren seit Jahrzehnten über dem der Einfuhren – 2021 betrug der Exportüberschuss in Deutschland rund 172,9 Milliarden Euro, die Exportquote stieg mit 47,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf ein neues Rekordhoch. Insofern sind Exporte ein wichtiger Faktor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Allerdings gehen einer Analyse der LBBW zufolge mehr als ein Drittel der deutschen Ausfuhren in Länder der Eurozone, sind also im positiven wie im negativen Sinne wechselkursunabhängig. Ein Beispiel: Im deutschen Maschinenbau sind die USA mit einem Anteil von 11 Prozent zwar der bedeutendste Exportpartner deutscher Unternehmen, mehr als die Hälfte der Maschinenbauexporte bleiben jedoch im Euroraum. Inklusive des Inlandsanteils spielen LBBW-Berechnungen zufolge Währungsschwankungen für rund 70 bis 80 Prozent der Gesamtproduktion in diesem Sektor kaum eine Rolle. Zwar lassen sich in der Vergangenheit grundsätzlich Auswirkungen der Devisenkurse auf die Exporttätigkeit feststellen, allerdings haben sich die beiden Größen über längere Zeiträume auch in vielen Phasen vollständig voneinander entkoppelt. „Wichtiger als die Entwicklung eines Währungspaars sind für die Exporterwartungen des verarbeitenden Gewerbes deshalb die Konjunkturerwartungen in den Zielmärkten“, sagt Martin Amann, der für die Beratung im Financial & Rating Advisory verantwortlich ist.
Wichtiger als die Entwicklung eines Währungspaars sind für die Exporterwartungen des verarbeitenden Gewerbes die Konjunkturprognosen in den Zielmärkten.
Währungsrisiken nicht unterschätzen
Dennoch gilt es für Unternehmen, die einen Teil ihres Umsatzes in Fremdwährungen wie dem US-Dollar, dem britischen Pfund oder dem chinesischen Renminbi erwirtschaften, Währungsrisiken genau im Blick zu behalten. Gefahr droht zum Beispiel dann, wenn die Währung eines Ziellandes bei Abschluss eines Auslandsgeschäfts stark ist, dann aber an Wert verliert. Denn in der Regel ist der vereinbarte Kaufpreis erst bei Lieferung fällig – bis dahin vergehen aber oft viele Monate. „Ohne Absicherung können schon kleinere Devisenkursausschläge den erwarteten Gewinn eines Geschäfts zunichtemachen“, warnt LBBW-Experte Martin Amann.
Schon kleinere Devisenkursausschläge können den Gewinn eines Geschäfts zunichtemachen.
Und ein schwacher Euro bringt insbesondere aktuell noch eine weitere Herausforderung mit sich: Deutschland ist als rohstoffarmes Land vor allem bei Energie, aber auch bei anderen Rohstoffen und Vorprodukten auf Importe angewiesen. Und die kommen zumeist von außerhalb der Eurozone und müssen in Fremdwährungen bezahlt werden. Fallen wie zuletzt ein schwacher Euro und ein knappes und deshalb teures Rohstoffangebot zusammen, setzt das hierzulande die Margen der rohstoffintensiven Unternehmen erheblich unter Druck.
Verluste vermeiden – mit individuellen Absicherungsinstrumenten
Wie stark Wechselkurse im Allgemeinen die Umsatz- und Gewinnerwartungen beeinflussen können, zeigt ein Beispiel: Im Frühsommer 2022 korrigierte der Technologiekonzern Microsoft seine Umsatzerwartung für das vierte Quartal 2022 um fast eine halbe Milliarde US-Dollar nach unten und nahm auch seine Gewinnerwartungen deutlich zurück. Als Begründung nannte das US-Unternehmen negative Auswirkungen des starken US-Dollars in Höhe von 460 Millionen US-Dollar. Microsoft erwirtschaftet einen großen Teil seiner Einnahmen durch Geschäfte außerhalb der Vereinigten Staaten.
Risiken aktiv managen
„Unternehmen, die ihre Exportumsätze zu einem wesentlichen Teil in Fremdwährungen erwirtschaften und/oder in Fremdwährung einkaufen, tun gut daran, Risiken aktiv zu managen und sich gegen Währungsschwankungen abzusichern“, sagt Martin Amann. „Wenn sich ein Währungspaar über längere Zeit nur seitwärts bewegt, gibt es für Unternehmen zwar kaum eine Motivation, Instrumente zur Währungssicherung einzusetzen. Das ändert sich jedoch abrupt, wenn zum Beispiel durch Leitzinsänderungen mehr Volatilität in die Devisenmärkte kommt“, weiß der LBBW-Experte. Dann wird ein passendes Absicherungsinstrumentarium schnell zum Gewinnretter.
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 04.01.2023