Euro-Erholung – Entlastung für die deutsche Wirtschaft?

Der Euro hat sich nach dem Tiefstand des Jahres 2022 zuletzt gegenüber dem US-Dollar spürbar erholt. Was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet.

Nahaufnahme eines 100-Euro-Scheins

Aus europäischer Sicht war es ein echter Tiefpunkt: Ende August 2022 fiel der Euro nach monatelangem Sinkflug wochenlang unter die Parität zum US-Dollar. Damit war die europäische Gemeinschaftswährung gegenüber dem Greenback so wenig wert wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Ein Jahr zuvor hatte der Euro/US-Dollar-Kurs noch bei 1,17 gelegen. Im kommenden Jahr könnte der Euro dieses Niveau wieder erreichen, sagt das LBBW Research voraus. Die Erholung des Euro gegenüber dem US-Dollar hat vor allem einen Grund: Seit Ende November schrumpft tendenziell der Renditevorteil kurzlaufender US-Staatsanleihen (Treasuries) gegenüber ihren deutschen Pendants. „Der von uns erwartete Rückgang des US-Zinsvorteils spricht für eine Fortsetzung der Euro-Erholung“, sagt Devisenanalyst Dirk Chlench voraus.

Der Markt reagiert damit auf die unterschiedliche Geldpolitik der Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks. Zwar hoben sowohl die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), als auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihre jeweiligen Leitzinsen Anfang Mai erneut an. Während jedoch EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor dem Hintergrund anhaltend hoher Inflationsraten weitere Leitzinsanhebungen in Aussicht stellte, könnte die Fed am Ende ihres aktuellen Zinszyklus angelangt sein.

Gemischte Aussichten für den Euro

Weiteren Auftrieb könnte die europäische Gemeinschaftswährung dadurch erfahren, dass die Wirtschaft im Euroraum nach Prognosen von LBBW Research im Jahr 2024 stärker wachsen dürfte als die der USA. Darüber hinaus scheint auch der erbittert geführte Streit zwischen Republikanern und Demokraten über die Erhöhung der US-Staatsschuldenobergrenze nicht dazu angetan, das Vertrauen in den Greenback zu fördern.

Der von uns erwartete Rückgang des US-Zinsvorteils spricht für eine Fortsetzung der Euro-Erholung.

Dirk Chlench, Devisenanalyst

Euro-Erholung – ein Nachteil für die deutsche Exportwirtschaft?

Gemeinhin gilt ein stark tendierender Euro als Nachteil für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, weil er in Deutschland produzierte Waren für Abnehmer außerhalb der Eurozone teurer macht. Doch ganz so direkt ist dieser Zusammenhang nicht immer. Zwar liegt der Wert der deutschen Warenausfuhren seit Jahrzehnten über dem der Einfuhren – 2022 stieg die Exportquote auf den Rekordwert von 50,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Insofern sind Exporte ein wichtiger Faktor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

Selten war der Euro schwächer

Entwicklung des Wechselkurses zwischen Dollar und Euro

Quelle: https://fred.stlouisfed.org/series/DEXUSEU

Allerdings gehen einer Analyse der LBBW zufolge mehr als ein Drittel der deutschen Ausfuhren in Länder der Eurozone, sind also im positiven wie im negativen Sinne wechselkursunabhängig. Ein Beispiel: Im deutschen Maschinenbau spielen den Berechnungen zufolge Währungsschwankungen für rund 70 bis 80 Prozent der Gesamtproduktion kaum eine Rolle. Zwar lassen sich in der Vergangenheit grundsätzlich Auswirkungen der Devisenkurse auf die Exporttätigkeit feststellen, allerdings haben sich die beiden Größen über längere Zeiträume auch in vielen Phasen vollständig voneinander entkoppelt. „Wichtiger als die Entwicklung eines Währungspaars sind für die Exporterwartungen des verarbeitenden Gewerbes deshalb die Konjunkturerwartungen in den Zielmärkten“, sagt Martin Amann, der für die Beratung im Financial & Rating Advisory verantwortlich ist.

Wichtiger als die Entwicklung eines Währungspaars sind für die Exporterwartungen des verarbeitenden Gewerbes die Konjunkturprognosen in den Zielmärkten.

Martin Amann, Leiter Financial & Rating Advisory

Währungsrisiken nicht unterschätzen

Dennoch gilt es für Unternehmen, die einen Teil ihres Umsatzes in Fremdwährungen wie dem US-Dollar, dem britischen Pfund oder dem chinesischen Renminbi erwirtschaften, Währungsrisiken genau im Blick zu behalten. Gefahr droht zum Beispiel dann, wenn die Währung eines Ziellandes bei Abschluss eines Auslandsgeschäfts relativ stark ist, danach aber an Wert verliert. Denn in der Regel ist der vereinbarte Kaufpreis erst bei Lieferung fällig – bis dahin vergehen aber oft viele Monate. „Ohne Absicherung können schon kleinere Devisenkursausschläge den erwarteten Gewinn eines Geschäfts zunichtemachen“, warnt LBBW-Experte Martin Amann.

Und ein im Trend stärker werdender Euro bringt noch eine weitere Chance mit sich: Deutschland ist als rohstoffarmes Land vor allem bei Energie, aber auch bei anderen Rohstoffen und Vorprodukten auf Importe angewiesen. Und die kommen zumeist von außerhalb der Eurozone und müssen in Fremdwährungen bezahlt werden. Kommt daher ein starker Euro mit einem knappen und deshalb teuren Rohstoffangebot zusammen, setzt das hierzulande die Margen der rohstoffintensiven Unternehmen weniger stark unter Druck, wie dies bei einem schwachen Euro der Fall wäre.

Schon kleinere Devisenkursausschläge können den Gewinn eines Geschäfts zunichtemachen.

Martin Amann, Leiter Financial & Rating Advisory bei der LBBW

Verluste vermeiden – mit individuellen Absicherungsinstrumenten

Wie stark Wechselkurse im Allgemeinen die Umsatz- und Gewinnerwartungen beeinflussen können, zeigt ein Extrembeispiel: Im Frühsommer 2022 korrigierte der Technologiekonzern Microsoft seine Umsatzerwartung für das vierte Quartal 2022 um fast eine halbe Milliarde US-Dollar nach unten und nahm auch seine Gewinnerwartungen deutlich zurück. Als Begründung nannte das US-Unternehmen negative Auswirkungen des starken US-Dollars in Höhe von 460 Millionen US-Dollar. Microsoft erwirtschaftet einen großen Teil seiner Einnahmen durch Geschäfte außerhalb der Vereinigten Staaten.

Risiken aktiv managen

„Unternehmen, die ihre Exportumsätze zu einem wesentlichen Teil in Fremdwährungen erwirtschaften und/oder in Fremdwährung einkaufen, tun gut daran, Risiken aktiv zu managen und sich gegen Währungsschwankungen abzusichern“, sagt Martin Amann. „Wenn sich ein Währungspaar über längere Zeit nur seitwärts bewegt, gibt es für Unternehmen zwar kaum eine Motivation, Instrumente zur Währungssicherung einzusetzen. Das ändert sich jedoch abrupt, wenn zum Beispiel durch Leitzinsänderungen mehr Volatilität in die Devisenmärkte kommt“, weiß der LBBW-Experte. Dann wird ein passendes Absicherungsinstrumentarium schnell zum Gewinnretter.