Hat Offshoring ausgedient?

Jahrzehntelang war die Globalisierung unumstritten. Jetzt holen viele Unternehmen ihre Produktion aus Billiglohnländern zurück – aber zu welchem Preis?

Mitarbeiterin prüft Strickmaschine

Es kam einer unendlichen Karawane gleich: In den 1970er-Jahren gerieten zahlreiche Unternehmen zunehmend unter Kostendruck – und verlegten ihre Produktion in Billiglohnländer, zum Beispiel nach Asien. Auslöser waren die beiden Ölkrisen, die Sättigung der Binnenmärkte, die beginnende Liberalisierung der Weltmärkte sowie die damit einhergehende stärkere Konkurrenz aus den Niedriglohnländern. In den 1990er-Jahren erlebte das sogenannte Offshoring dank des weiteren Abbaus von Zollschranken und aufgrund der vergleichsweise hohen Löhne in der Industrie einen erneuten Boom. Erstmals wurden globale Wertschöpfungsketten (Global Value Chain, GVC) Mode, bei denen die Grenzen mehrmals überschritten werden. Ein Beispiel hierfür wäre ein in Finnland montiertes Fahrrad mit Teilen aus Italien, Japan und Malaysia, das in Ägypten verkauft wird.

Zwar lassen sich durch GVC massiv Kosten sparen, aber das Offshoring mit schlanken Produktionslinien und geringen Lagerbeständen hat die deutsche Wirtschaft auch anfällig für Versorgungsengpässe und Produktionsausfälle gemacht. Das zeigte sich mit dem Start der Coronapandemie und zuletzt mit dem Ukraine-Krieg und den damit verbundenen Rohstoffknappheiten. In Unternehmen aus allen Branchen gelten die daraus resultierenden Lieferengpässe inzwischen als eines der größten Unternehmensrisiken.

Lieferengpässe als Inflationstreiber

Die Störungen bei den Lieferketten und der damit verbundene Materialmangel bei (Vor-)Produkten sorgen zugleich für hohe Preissteigerungen. So kommt die KfW zu dem Ergebnis, dass im Schnitt jeder vierte Mittelständler deshalb die Preise anheben musste. Natürlich geht mit den Lieferengpässen auch ein Rückgang der Produktion einher. Dies führt aktuell zu einem Überhang der Aufträge gegenüber der Produktion. Optisch sieht ein hoher Auftragsbestand gut aus, aber er bedeutet tatsächlich Wachstumseinbußen.

In Folge mangelnder Qualität und Flexibilität verlagerten zahlreiche Unternehmen schon in den Jahren nach der Jahrtausendwende ihre Produktionsstätten in die Industriestaaten zurück. Und auch heute reagieren immer mehr Unternehmen auf die aktuellen Lieferkettenstörungen mit einem Reshoring. Das gilt insbesondere für systemrelevante Branchen – nicht zuletzt aufgrund des politischen Drucks.

Eine Fertigung im Heimatland oder zumindest in benachbarten Ländern – dann sprechen die Experten von Nearshoring – bedeutet nicht nur, dass Risiken wegen größerer Transparenz und Kontrolle über die Lieferkette geringer werden, auch steigt die Flexibilität durch kürzere Wege und Lieferzeiten. So können beispielsweise hohe Frachtkosten und Staus bei der Container- oder Binnenschifffahrt gut umgangen werden. Zugleich wirkt sich die Rückverlagerung oft positiv auf die Umwelt aus, da in den meisten Industriestaaten strengere Regulierungen gelten und durch kürzere Transportwege CO2 eingespart wird. Dies kann Unternehmen auch zu einem positiveren Image verhelfen.

Die Kosten von Reshoring und Nearshoring

Eine solche Wende hin zur De-Globalisierung hat jedoch auch negative Auswirkungen. Die erhöhte Resilienz wird mit einer geringeren Effizienz bezahlt. Lohnkosten, Steuern und Abgaben treiben die Kosten. Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure. Weitere Preissteigerungen sind somit zu erwarten, auch wenn die Löhne in den Schwellenländern längst deutlich über jenen der Siebzigerjahre liegen.

Zu drastischen Ergebnissen kommt das ifo-Institut in einer 2022 publizierten Studie zur Abkehr von internationaler Produktion und globalen Lieferketten, deren Ergebnisse auf Berechnungen des ifo-Handelsmodells basieren. Demnach würde die deutsche Wirtschaftsleistung bei einer kompletten Rückverlagerung internationaler Produktion wegen des Produktivitätsrückgangs um etwa 10 Prozent einbrechen. Die Frage ist somit nicht, ob Offshoring ausgedient hat, sondern ob die deutsche Wirtschaft einen Verzicht auf das Offshoring verkraften könnte.

Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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