EU-Klimastrategie für die Industrie: starke Hebel, aber noch einige Baustellen

Der Green Deal Industrial Plan verbindet Klimaschutz und Wirtschaftsförderung. Nun gilt es, den Plan praktisch umzusetzen und dabei einige Leerstellen zu füllen.

Mann steht auf Dach mit Photovoltaikanlage

Die Europäische Union (EU) macht Dampf beim Klimaschutz in der Industrie: Mit dem Green Deal Industrial Plan hat die EU-Kommission im Februar 2023 eine Strategie vorgelegt, die das Erreichen der Fit-for-55-Klimaziele gewährleisten und zugleich die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen sichern soll. So beabsichtigt die EU unter anderem, die Vergabe von Beihilfen durch die Mitgliedsstaaten zu vereinfachen, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Qualifizierungsprogramme zu starten.

Ein Kernelement dieses Plans ist der im März 2023 präsentierte Net Zero Industry Act. Damit will die EU-Kommission den Aufbau von Produktionskapazitäten für klimaschutzrelevante Technologien wie Photovoltaik, Windenergie, Wärmepumpen, Elektrolyseure sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) in Europa fördern – nicht zuletzt, um Europa unabhängiger von Importen zu machen. Darauf zielt auch der Critical Raw Material Act ab, ein weiterer zentraler Bestandteil der EU-Industriestrategie: Der Bezug von Rohstoffen soll breiter diversifiziert, ihre Verarbeitung innerhalb Europas gestärkt und das Recycling ausgebaut werden.

„Mitgliedsstaaten müssen Spielräume nutzen.“

„Mit dem Industrieplan hat die EU-Kommission eine gute Grundlage für mehr Klimaschutz in der Industrie geschaffen“, sagt die LBBW-Nachhaltigkeitsexpertin Sabrina Kremer. Nun komme es darauf an, den Plan in die Praxis zu bringen. „Hier sind auch die Regierungen der Mitgliedsstaaten gefordert. Sie müssen die Handlungsspielräume nutzen, die ihnen die EU gewährt, etwa was die Beihilfen für grüne Investitionen betrifft“.

Sabrina Kremer, Nachhaltigkeitsexpertin der LBBW

Ebenso wichtig wie der Abbau von regulatorischen Hemmnissen ist es, Genehmigungen zu vereinfachen und politische wie administrative Prozesse zu beschleunigen.

Sabrina Kremer, Nachhaltigkeitsexpertin der LBBW

Dabei gilt es auch, die europäische Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb zu stärken. „Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act (IRA) hervorragende Bedingungen für Investitionen im Land geschaffen. Auch China und Indien unterstützen die heimische Wirtschaft mit enorm hohen Summen. Gut, dass die EU erkannt hat, dem etwas entgegensetzen zu müssen“, sagt Kremer. Wobei die finanzielle Förderung allein jedoch nicht genüge: „Mindestens genauso wichtig ist es, regulatorische Hemmnisse abzubauen, Genehmigungen zu vereinfachen und politische wie administrative Prozesse zu beschleunigen.“

Private Klimaschutzinvestitionen mobilisieren

Welche Kraft der US-amerikanische IRA entfaltet, zeigt das Beispiel Solarenergie: Einer Studie von McKinsey zufolge senken die Maßnahmen der US-Regierung die Produktionskosten von einem Watt Photovoltaikleistung um 13 bis 20 Cent. Die bislang in Europa zur Verfügung stehenden Mittel, etwa aus dem EU-Innovationsfonds, reduzieren die Kosten um gerade einmal 0,1 Cent.

Laut EU-Kommission ist das bisherige Fördervolumen für eine grüne Transition bereits umfangreich. Über frisches Geld wurde bisher nicht verhandelt. Die EU-Kommission ist diesem kontroversen Thema bisher aus dem Weg gegangen, will aber bis Sommer 2023 einen Vorschlag für den EU Sovereignty Fund vorlegen. Wirft man einen Blick auf die zahlreichen europäischen Fördertöpfe, offenbaren sich neben der Vielzahl der Programme auch über 450 Mrd. EUR an Zuschüssen, Garantien und Krediten für die grüne Transition (Zeitraum 2021 bis 2027). Doch öffentliche Mittel reichen für die anstehenden Aufgaben längst nicht aus, betont Kremer. „Die EU-Klimaziele verlangen ebenso ein starkes Engagement privater Kapitalgeber.“

450 Mrd. Euro

investiert die EU von 2021 bis 2027 an Zuschüssen, Garantien und Krediten für die grüne Transition.

Öffentliche Mittel reichen für die anstehenden Aufgaben nicht aus. Die EU-Klimaziele verlangen ebenso ein starkes Engagement privater Kapitalgeber.

Sabrina Kremer, Nachhaltigkeitsexpertin der LBBW
Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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Mit der Taxonomie-Verordnung hat die EU dafür eine Grundlage geschaffen. Sie legt fest, welche Investitionsziele als klimafreundlich gelten. Die Taxonomie ist Voraussetzung für die Einführung europäischer grüner Anleihen (EuGB), der Europäischer Rat und EU-Parlament im Februar 2023 zugestimmt haben.

Licht und Schatten bei Genehmigungen und Regulatorik

Bei den Genehmigungen und der Regulatorik zeigt die EU nach Kremers Einschätzung ebenfalls vielversprechende Ansätze. „Die Ende letzten Jahres beschlossene Notfallverordnung zur drastisch beschleunigten Genehmigung von Erneuerbare-Energien-Anlagen und Wärmepumpen ist ein gutes Beispiel dafür, wie die EU mit einer entschlackten Regulierung den Klimaschutz voranbringen und zugleich den jeweiligen Branchen einen Schub geben kann“, sagt Kremer. Auch der Net Zero Industry Act biete mit den festen Zeitlimits für Genehmigungen sowie der Einrichtung von „One Stop Shops“ in den Verwaltungen einige Verbesserungen.

Allerdings enthält der Net Zero Industry Act auch Regelungen, die eher kontraproduktiv wirken könnten. Dazu zählen etwa starre Quoten für Klimaschutztechnologien „Made in Europe“. Sabrina Kremer betont: „Wenn die EU ihr Klimaziel erreichen und zugleich den Wirtschaftsstandort Europa attraktiver machen will, muss sie jede Gelegenheit nutzen, bürokratische Hürden abzubauen. Unternehmen brauchen positive Anreize für Klimaschutzinvestitionen – keine detaillierten Zielvorgaben und ausufernde Meldepflichten!“

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