10.04.2024

ChatGPT war der Trigger, jetzt geht es richtig los

Warum Künstliche Intelligenz unser Privat- und Arbeitsleben schneller erobert als jemals vorstellbar, erklärt LBBW-Sektorexperte Michael Weiss.

Ein Assistenz Medizin Serviceroboter verarztet den Arm eines Mannes
Ein Assistenz Medizin Serviceroboter verarztet den Arm eines Mannes

Seit ChatGPT ist alles anders. Künstliche Intelligenz ist plötzlich real und konkret. Um sie zu nutzen, braucht es weder Fachstudium noch Programmierkenntnisse, nur einen Computer. Den Rest erledigt ChatGPT. Das Software-Tool bereitet Managerinnen und Managern ihre Präsentationen vor, schreibt Studierenden die Hausarbeiten und schlägt Programmierenden hilfreiche Code-Sequenzen vor. Jeder Mensch mit Internetzugang kann ChatGPT nutzen, und das verblüffend einfach. Ein riesiger Schritt für die Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz, kurz KI genannt. „Und doch nur der bescheidene Anfang, eher ein Trigger“, sagt Michael Weiss, Sektorexperte für Technologien, Medien und Telekommunikation der LBBW. „Seitdem ChatGPT auf dem Markt ist, geht die Entwicklung von KI durch die Decke.“ Sowohl Niveau als auch Tempo der KI-Entwicklung hätten in den vergangenen zwei Jahren so richtig Fahrt aufgenommen.

Künstliche Intelligenz kann viel mehr, als Reisen vorzubereiten oder Vertragsentwürfe auf Compliance-Richtlinien hin zu checken. LBBW-Sektorexperte Weiss erwartet KI demnächst im Einsatz von Call-Centern, etwa bei Versicherern. Wer beispielsweise einen Blechschaden hat, meldet sich bei der Hotline und wird dort von einem Chatbot betreut. Die KI kann sowohl die Schwere des Schadens grob vorbeurteilen und die nächsten Schritte – „Was gilt es jetzt zu tun?“ – einleiten. „Da es um Geld und Haftung geht, wird es keine Vollautomatisierung geben. Es schaut immer noch ein Mensch drauf“, sagt Weiss. Aber die Vorschläge kommen von der KI.

Zwei weitere Vorteile sieht Weiss beim Assistenz-Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Call-Centern: Es gibt keine Warteschleifen mehr, die KI antwortet sofort – zu jeder Tag- und Nachtzeit. Und man bekommt keine grummeligen Mitarbeitenden mehr an die Strippe. „Es wird Usus werden, dass KI dein Problem unemotional, freundlich und schnell löst“, sagt Weiss. Diese gewaltfreie Kommunikation ist wichtig, denn Vorbehalte gegenüber Künstlicher Intelligenz lösen sich nicht einfach auf. Umso wichtiger sei es, dass wir KI als unterstützenden Assistenten sehen, sagt Weiss, deshalb habe KI bewusst ein „freundliches Antlitz“.

Künstliche Intelligenz erfindet die Robotik neu

Das gilt auch für die Robotik, wo Michael Weiss weitere Einsatzbereiche für Künstliche Intelligenz sieht. Der LBBW-Sektorexperte denkt beispielsweise an Haushaltsroboter, die sehen und sprechen können und lernen, sich im Haus zu bewegen und sich zurechtzufinden. In der Industrie werden die heute noch fest installierten Roboter teilweise abgelöst oder ergänzt durch sogenannte Cobots, die Menschen etwa schwere Lasten abnehmen. Anders als die klassischen Industrieroboter sind Cobots beweglich einsetzbar und flexibel anlernbar für diverse Aufgaben. Noch seien die Cobots nicht in der Praxis einsetzbar, sagt Weiss, „das wird aber schnell kommen“.

Michael Weiss

Angesichts des Fachkräftemangels wird Deutschland massiv vom Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren.

Michael Weiss, LBBW-Sektorexperte für Technologien, Medien und Telekommunikation

Je realer und konkreter Künstliche Intelligenz ins private und berufliche Leben sickert, desto mehr stellt sich die Frage: Wohin führt uns das? Wer den LBBW-Sektorexperten Michael Weiss fragt, bekommt eine klare Aussage: „Angesichts des Fachkräftemangels wird Deutschland davon massiv profitieren – volkswirtschaftlich ist das absolut der richtige Weg.“

Das sieht Prof. Dr. Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Frankfurt University of Applied Sciences, ähnlich. „KI hat dadurch das Potenzial, den Fachkräftemangel in Deutschland zu lindern“, sagt Urbach. Die Technologie werde das Arbeitsumfeld, wie wir es heute kennen, mittelfristig verändern. „Dabei werden etablierte Berufsgruppen verschwinden, dafür aber auch neue Arbeitsplätze entstehen.“

Die Hälfte unserer Arbeitsaufgaben ist automatisierbar

Bis 2060 könnte rund die Hälfte der heutigen Arbeitsaktivitäten durch Künstliche Intelligenz automatisiert werden, schätzt die Unternehmensberatung McKinsey. Drei Viertel davon entfallen auf die Bereiche Kundenservice, Marketing und Vertrieb, Softwareentwicklung sowie Forschung und Entwicklung. US-Studien haben ergeben, dass bei etwa 80 Prozent der Arbeitskräfte mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitsaufgaben von Künstlicher Intelligenz übernommen wird. Bei 19 Prozent der Beschäftigten sind sogar mindestens 50 Prozent ihrer Tätigkeiten ersetzbar. Das Potenzial von Künstlicher Intelligenz im Arbeitskontext, so der aktuelle Stand der Forschung, hängt von der Aufgabenkomplexität ab. „Mit KI-Tools können vor allem Verbesserungen für unerfahrene und gering qualifizierte Mitarbeitende bei weniger komplexen Aufgaben erreicht werden“, sagt Wirtschaftsinformatiker Urbach, „sie haben jedoch geringere Auswirkungen auf erfahrene und hochqualifizierte Mitarbeitende mit sehr anspruchsvollen Tätigkeiten.“ Wer es gerne konkreter wissen möchte: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat den Job-Futuromat ins Netz gestellt. Für rund 4.000 Berufe lässt sich dort erkunden, welche Tätigkeiten demnächst von Künstlicher Intelligenz übernommen werden können – und welche eben nicht.

Was Beschäftigten durchaus Sorge bereiten kann, sehen Unternehmen eher positiv. Laut einer internationalen Capgemini-Studie geben 96 Prozent der befragten Unternehmen an, dass Künstliche Intelligenz bei ihnen derzeit diskutiert wird. Führungskräfte erwarten sich dadurch schon innerhalb der nächsten drei Jahre Verbesserungen von 7 bis 9 Prozent in Bereichen wie der Kundeninteraktion oder operativen Effizienz.

15 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen Künstliche Intelligenz

Zahlen für Deutschland liefert eine Bitkom-Umfrage aus dem vergangenen Herbst. Ihr Ergebnis: 15 Prozent der Unternehmen nutzen bereits Künstliche Intelligenz, vor einem Jahr waren es erst 9 Prozent. Gut zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten halten KI für die wichtigste Zukunftstechnologie. „Die Technologie ist bereits heute breit verfügbar und zu geringen Kosten einfach auszuprobieren“, sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. „Wirklich kein Unternehmen sollte die Diskussion über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz auf die lange Bank schieben. Wer heute abwartet, muss sich demnächst umso mehr anstrengen, die anderen einzuholen.“ Die Bitkom-Umfrage wartet mit einem interessanten Detail auf: 23 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass niemand aus ihrer Belegschaft ChatGPT oder ähnliche KI-Tools beruflich verwendet. So ganz genau wissen sie es aber nicht. Vielleicht sollten sie mal nachfragen, so wie es das Beratungsunternehmen Ernst & Young bei Studierenden gemacht hat. Das Ergebnis: 86 Prozent nutzen Künstliche Intelligenz. Schon heute. Und ganz selbstverständlich.

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Michael Weiss - Sektorenexperte Technologie, Medien und Telekommunikation

Michael Weiss

Sektorexperte TMT

Michael Weiss bringt über 20 Jahre Expertise in der IT-Industrie in seine Beratungsleistung ein. Nach dem Studium an der Universität Erlangen-Nürnberg begann er seine Laufbahn bei der Boston Consulting Group. Der schnelle Wandel der Branche hat ihn von Beginn an gepackt. Derzeit erreicht die Suche nach tragfähigen Geschäftsmodellen eine neue Dimension. Als besonders relevant sieht Weiss den Ausbau von 5G, die zunehmende Vernetzung und Virtualisierung in der Industrie sowie die Renaissance von Inhalten und innovativen Formaten.

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