„Was ist eine Pensionsrückstellung wert?“
Zerreißprobe betriebliche Altersvorsorge bei Betriebsübernahmen: Berater Norbert Pachl und sein Kunde Michael Oberdorfer (DATAGROUP SE) kennen die Stolperfallen.
Zukäufe sind ein wesentlicher Faktor für Stabilität und Wachstum des IT-Konzerns DATAGROUP SE. Das Unternehmen hat sein Umsatzvolumen durch strategische Akquisitionen seit dem Jahr 2006 mehr als verzwölffacht – auf heute über 300 Millionen Euro. Bei allem Übernahmeappetit wird aber jedes Mal scharf gerechnet. Denn beim Betriebserwerb kaufen Unternehmen oft ein hohes Risiko mit: Versorgungslasten. Diese bestehen immer dann, wenn die Mitarbeiter des anderen Unternehmens Ansprüche auf betriebliche Altersvorsorge haben. Im Interview erläutern Michael Oberdorfer, Leiter Finanzen & Controlling bei DATAGROUP SE, und Norbert Pachl, Geschäftsführer der LBBW Pensionsmanagement GmbH (LBBW PM), wie sich Pensionsverpflichtungen rechnerisch bewerten lassen, welche Rolle das bei Vertragsverhandlungen spielt und wie Kunde und Bank beim Thema Betriebsübernahmen erfolgreich zusammenarbeiten:
Welchen Stellenwert hat das Thema betriebliche Altersvorsorge (bAV), wenn es um Akquisitionen geht?
Norbert Pachl (LBBW PM): Die betriebliche Altersvorsorge ist für ein Unternehmen der Punkt mit den längsten und vor allem unwägbarsten Auswirkungen. Wenn Sie heute einen 20-jährigen Mitarbeiter im Unternehmen haben, dann haben Sie – wenn es für den Mitarbeiter gut läuft – noch 80 Jahre lang für ihn zu tun, in Sachen Regulatorik, Dokumentation, Buchungstechnik und vieles mehr. Wenn ein Übernahme-Deal platzt, dann liegt das meist an den Pensionsrückstellungen – weil sich Unternehmen nicht einig werden über deren Bewertung. Entscheidend ist dabei das Thema Datenkenntnis. Dazu braucht es einen tiefen Blick in die Versorgungswerke des anderen Unternehmens.
Michael Oberdorfer (DATAGROUP): Für viele Unternehmen ist es ein K.o.-Kriterium, wenn sie umfangreiche Pensionsverpflichtungen in den Büchern einer Gesellschaft entdecken, an deren Zukauf sie interessiert sind. Für DATAGROUP war das allerdings noch nie ein Grund, Abstand von einer Akquisition zu nehmen. Gemeinsam mit der LBBW und der LBBW PM sorgen wir in den Vertragsverhandlungen dafür, dass die Pensionsrückstellungen nach Möglichkeit zu 100 Prozent in Cash gedeckt sind. Auch ein Modell, bei dem die Deckung über einen gewissen Zeitraum sozusagen atmet – in Abhängigkeit von einer Veränderung der Rechnungszinsen –, haben wir schon mal vereinbart. Wenn wir die Absicht haben, ein Unternehmen zu erwerben, ist das Thema betriebliche Altersvorsorge immer ein wesentlicher Bestandteil der Betrachtung.
Mit den Übernahmen haben wir immer ein dickes Polster an Pensionsverpflichtungen übernommen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit von DATAGROUP, LBBW und LBBW PM?
Oberdorfer: Wenn wir ein Target, also ein interessantes Akquisitionsziel, auf den Tisch bekommen, machen wir im ersten Step eine interne Due Diligence. Da treffen vor allem Kollegen aus dem Legal-Bereich der DATAGROUP eine Vorentscheidung auf Basis der Daten und Gutachten des anderen Unternehmens. Wenn wir in einem zweiten Schritt tiefer reingehen, dann ziehen wir unsere externen Berater dazu, parallel zu den Vertragsverhandlungen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist auch die LBBW PM mit an Bord. Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit ist das ein sehr disziplinierter Prozess. Wir nehmen nicht selten die Fachexperten der LBBW PM direkt mit an den Verhandlungstisch.
Pachl: Das Team zur Analyse und Bewertung der Altersvorsorge-Rückstellungen besteht aus Finance-Experten sowohl auf Kundenseite als auch auf Verkäuferseite und von uns als der beratenden Bank. Mit dieser geballten Fachkenntnis analysieren wir die bestehenden Pensionszusagen und Gutachten und leiten daraus dann weiterführende Fragen an das übergebende Unternehmen ab. Es gilt festzustellen: Welche Verpflichtungen hat ein Unternehmen heute, das als potenzielles Target dasteht und wie ist die Zukunftsprognose für die Belastung beim übernehmenden Unternehmen? Einmal bilanziell und – noch viel wichtiger – aus Liquiditätssicht.
Wenn ein Unternehmen keine Rente mehr bezahlen kann, muss es Insolvenz anmelden.
Oberdorfer: Was wir bei DATAGROUP nicht tun, ist, im Nachhinein Versorgungswerke grundsätzlich neu zu justieren oder im DATAGROUP-Konzern zu harmonisieren, sondern wir führen sie in der Regel fort. Nur da, wo es dringend notwendig ist aufgrund von Fehlern in der Versorgung, legen wir Hand an. Die übernommenen Firmen werden also als rechtlich selbstständige Einheiten im Konzern geführt und die bAV-Verpflichtungen muss jede Einheit aus eigenem Kapital erfüllen können. Im theoretischen Best Case ist zu dem Zeitpunkt, zu dem die Betriebsrente ausgezahlt wird, der Cash noch da und kann dazu verwendet werden. In der Praxis lässt man natürlich nicht viele Millionen dauerhaft einfach so auf einem Konto liegen, sondern lässt dieses Geld arbeiten. Das Prinzip dahinter bleibt aber gleich: Das übernommene Unternehmen muss zum Auszahlungszeitpunkt so gestellt sein, dass es seinen Verpflichtungen nachkommen kann.
Im übergebenden Unternehmen gibt es ja unter Umständen seit Jahrzehnten eine bAV. In welchem Umfang müssen Sie hier jedes Mal die Vergangenheit aufarbeiten?
Pachl: Man muss wirklich tief in den Zahlendschungel einsteigen. Wir hatten schon Übernahmen, da gab es zum Teil sehr alte Zusagen aus den 80er und 90er Jahren. Da haben wir uns bei der DATAGROUP mit einigen Hundert Mitarbeitern befasst. Teilweise waren Pensionszusagen ausfinanziert über CTAs (Contractual Trust Arrangements) – der Arbeitgeber hat also Vermögensgegenstände auf einen Treuhänder übertragen, um seine Versorgungsverpflichtungen zu sichern. Diese Treuhandvermögen muss man dann als Übernehmender weiter fortführen, weil Mitarbeiter durch eine Übernahme nicht schlechter gestellt werden dürfen. Die Komplexität kann sehr groß werden.
Oberdorfer: Ein konkretes Beispiel: Wir haben von einem großen US-amerikanischen Hersteller, der hier in Deutschland Personal abgebaut hat, 300 Mitarbeitende übernommen. Im Rahmen dieser Übernahme gab es etwa 25 verschiedene Versorgungswerke, die alle betrachtet und bewertet werden mussten. Jeder Einzelfall ist eine Herausforderung und mit Aufwand verbunden.
Welche Risiken stecken in den verschiedenen Pensionszusagen?
Pachl: Zuallererst stellt sich die Frage: Was ist eine Pensionsrückstellung wert? Sagen wir, der Wert einer bAV nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS beträgt 1 Million Euro in der Bilanz. Wenn Sie diesen Wert einem Dritten, einer Versicherung inklusive Verwaltung weitergeben wollen, kann es durchaus sein, dass sie schon 1,5 bis 2 Millionen dafür bezahlen müssen. Das ist ein ganz harter Markt im Moment. In der Steuerbilanz steht der Posten aber vielleicht nur mit 500.000 drin. Was in letzter Zeit erschwerend hinzukommt, sind Haftungsthemen bei der klassischen Entgeltumwandlung. Hier gab es bei Pensionskassen schon Leistungskürzungen und in der Folge neue Belastungen bei den Arbeitgebern.
Oberdorfer: Bei der letzten Übernahme hatten wir so einen Fall – also ein Versorgungswerk, das von Verkäuferseite bei einer Pensionskasse angelegt war, die in Schieflage geraten ist. Typischerweise fällt dann die Verpflichtung wieder zurück an die Gesellschaft, die damals die Zusage gemacht hat. Diesen Sachverhalt haben wir dank der Unterstützung der LBBW PM bereits im Rahmen der Due Diligence erkannt und haben das im Wege der Kaufpreisfindung mit berücksichtigt. Wenn Sie solche Dinge erkennen, können Sie sie eben auch mitverhandeln. Denn wenn Sie die Verpflichtung erst einmal übernehmen, kommen Sie da nicht mehr raus.
Pachl: Im Extremfall kann das bedeuten: Ein Rentner, der schon fünf Jahre weg ist vom Unternehmen XY, bekommt eine Rentenkürzung, da die eingesetzte Pensionskasse in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Die Forderung über den Differenzbetrag taucht dann plötzlich wieder beim Unternehmen XY auf als Passivposten in der Bilanz. Solche Risiken muss man im Auge behalten.
Wodurch entstehen die finanziellen Schwierigkeiten bei den Pensionskassen?
Pachl: Diese haben in der Vergangenheit relativ hohe Pensionszusagen gegeben, mit Steigerungsraten und Garantiezinsen von teilweise vier Prozent. Diese Zinsen können sie beim heute sehr niedrigen Zinsniveau nicht mehr erwirtschaften. Es gibt Leistungskürzungen auch aufgrund von Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die da massiv einschreitet. Diese Leistungskürzungen kommen beim Rentner an – dürfen aber laut Betriebsrentengesetz nicht ankommen. Also haftet das Unternehmen. Das war in der Vergangenheit nie ein Thema und ist daher auch nicht ausreichend betrachtet worden. Jetzt ist es ein Thema.
Nach dem Deal ist vor dem Deal – wie geht es weiter mit DATAGROUP?
Oberdorfer: Wir wollen und werden auch weiterhin wachsen – organisch und anorganisch. Herr Pachl und sein Team sind bei uns dabei sehr gern gesehene Sparringspartner. Auch wenn es um Themen außerhalb von Akquisitionen geht. Wir haben zum Beispiel im Bereich Treuhandvermögen regelmäßig sogenannte Anlage-Ausschusssitzungen, in denen wir gemeinsam mit dem Treuhänder und dem Verwalter diskutieren, wie die Gelder angelegt werden. Dazu laden wir Herrn Pachl immer noch ein, auch wenn der eigentliche Deal schon drei Jahre hinter uns liegt. Wir legen auf den Erfahrungsschatz und die Kenntnisse einfach sehr großen Wert. Nicht umsonst betreut die LBBW mit ihrer Filialbank BW-Bank unsere Akquisitionsstrategie und deren Finanzierung schon seit Mitte der 80er Jahre, kurz nach Gründung der DATAGROUP.
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