KI - die neue wahre Tech-Revolution

Künstliche Intelligenz à la ChatGPT eröffnet Unternehmen ungeahnte Möglichkeiten – und könnte ganz anderen Tech-Themen wie dem Metaversum neuen Schub verleihen.

Frau am Laptop

Es war ein Tag, der das Leben der Menschheit im Nachhinein betrachtet elementar verändern sollte: Am 30. April 1993 gaben Forscher des Genfer Kernforschungszentrums CERN den Zugang zu HTML-Dokumenten über Datenleitungen zur öffentlichen Nutzung frei. Die Geburtsstunde des World Wide Web vor rund 30 Jahren gilt vielen als Beginn einer wahren Tech-Revolution, die bis heute anhält.

Dem 30. November 2022 könnte dereinst eine ähnliche Bedeutung zugeschrieben werden. Denn an diesem Tag machte das US-Start-up OpenAI seine Anwendung ChatGPT öffentlich – der erste Chatbot auf Basis generativer künstlicher Intelligenz (Generative Artificial Intelligence, kurz GenAI). Hauptanteilseigener von OpenAI ist Microsoft. ChatGPT erstellt anhand nur weniger Anweisungen sekundenschnell vollständige Texte und Programmiercodes, die sich oft bereits so lesen, als ob sie von geschulten menschlichen Autorinnen oder Autoren geschrieben wurden. Unterdessen hat auch Google eine eigene GenAI vorgestellt: „Bard“ soll kurzfristig in mehr als 180 Ländern verfügbar sein.

Vorbild menschliches Gehirn

GPT steht für „Generative Pre-Trained Transformer“ und beschreibt ein Computermodell, das Texte verstehen und erzeugen kann. Dazu bildet es dem menschlichen Gehirn nachempfundene neuronale Netze nach. Solche mit gewaltigen Datenmengen trainierten Sprachmodelle arbeiten nach dem Prinzip des bestärkenden Lernens, bei dem die Programme selbstständig eine mehrstufige Lernstrategie erarbeiten, die über positive und negative Feedbacks gesteuert wird. In den ersten Stufen kommt das Feedback in der Regel von Menschen. Auf der höchsten Stufe optimiert sich das Programm dann selbst.

Produktivitäts-Booster für die Wirtschaft

Ein Beispiel für die außergewöhnlichen Fähigkeiten von ChatGPT lieferte bereits kurz nach dessen Veröffentlichung der aus Deutschland stammende Management-Professor Christian Terwiesch von der US-Eliteuniversität Wharton. Er ließ das Programm im Januar 2023 eine Examensarbeit für einen typischen MBA-Kurs (Master of Business Administration) schreiben. Die GenAI bestand das Examen mit einer Note, die im deutschen Notensystem einer 2 bis 2 minus entsprechen würde.

Neue KI-Methoden wie ChatGPT dürften zu großen Produktivitätssteigerungen insbesondere bei Tätigkeiten kognitiver Berufe führen.

Dr. Guido Zimmermann, Digital-Analyst des LBBW Research

Der Wirtschaft verspricht generative KI eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten mit hohen Effizienzgewinnen. „Neue KI-Methoden wie ChatGPT dürften zu großen Produktivitätssteigerungen insbesondere bei Tätigkeiten kognitiver Berufe führen“, urteilt Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research in einer Studie.

  • Neben der Erstellung von Texten sowie Bild- und Videodesigns könnte generative KI künftig in hohem Maße Hilfestellung bei der Programmierung geben. Einer Studie des Microsoft Research (PDF | 1.9 MB) zufolge erhöht GenAI die Produktivität von Programmiererinnen und Programmierern um bis zu 50 Prozent.
  • Unternehmensrelevante Daten dürften in Zukunft vermehrt in privatwirtschaftlichen Systemen, die auf LLMs basieren, gespeichert werden. Das könnte es Beschäftigten erleichtern, gezielte Abfragen dieser Daten vorzunehmen. Zudem könnte jeder Mitarbeitende über Anwendungen wie ChatGPT Zugang zu einem quasi individualisierten Tutor erhalten, der seine Nutzerinnen und Nutzer im Lauf der Zeit immer besser kennenlernt.
  • GenAI könnte den Wandel der Industrieproduktion massiv beschleunigen. Da sie neben Texten auch Töne, Bilder und Videos verarbeiten kann, könnte GenAI unter anderem die Vernetzungsmöglichkeiten von Maschinen untereinander und mit anderen Unternehmensbereichen weiter erhöhen – Stichwort Industrie 4.0.
  • Künstliche Intelligenz senkt die Kosten von Prognosen und erhöht zugleich deren Treffgenauigkeit. Künftig könnte KI deshalb in allen Bereichen zum Einsatz kommen, in denen Vorhersagen besonders wichtig sind, etwa in der Unternehmensberatung oder dem Finanzwesen.

„Langfristig dürfte jeder Beruf mit kognitiven Tätigkeiten durch GenAI berührt werden“, erläutert Zimmermann. „Neben dem Bildungssektor könnten vor allem der Finanzsektor und die Rechtsprechung davon betroffen sein.“ Einen signifikanten Stellenabbau erwartet das LBBW Research dadurch nicht, jedoch dürfte die Spreizung bei den Einkommen zunehmen.

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effektiver könnten Programmierer unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz arbeiten.

Langfristig dürfte jeder Beruf mit kognitiven Tätigkeiten durch GenAI berührt werden. Neben dem Bildungssektor könnten vor allem der Finanzsektor und die Rechtsprechung davon betroffen sein.

Dr. Guido Zimmermann, Senior Economist bei LBBW Research

Mahnende Worte aus dem Silicon Valley

Nicht zuletzt das Examensexperiment von Christian Terwiesch hat auch Gefahren generativer KI aufgezeigt: Wird sie entsprechend gefüttert, lässt sich – wenn überhaupt – nur noch von Experten erkennen, ob ein Text von einem Menschen oder einer KI erstellt wurde. Neben der Fälschung wissenschaftlicher Arbeiten könnten ChatGPT und vergleichbare Programme auch dazu genutzt werden, Fake-News zu produzieren. Um das zu verhindern, mehren sich Forderungen nach einer umfassenden Regulierung von KI-Anwendungen.

Das Europaparlament etwa postuliert bereits, den im April 2021 von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf für ein europäisches Gesetz über künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence Act) um einen eigenen Artikel zu generativer KI zu ergänzen. Selbst aus dem technologieaffinen Silicon Valley kommen mahnende Wort: Ende März 2023 forderten mehr als 1.000 Expertinnen und Experten, dass alle KI-Labore sofort das Training von KI-Systemen, die leistungsstärker als die aktuelle GPT-Version sind, für sechs Monate unterbrechen sollten.

1.000 Expertinnen und Experten bezeichneten kürzlich in einem offenen Brief unregulierte KI-Entwicklungen als „tiefgreifendes Risiko für die Gesellschaft und die Menschheit“.

KI-Anwendungen werden perspektivisch das Leben im Metaversum und den dort aufzufindenden digitalen Content prägen.

Dr. Guido Zimmermann, Digital-Analyst des LBBW Research

Treiber für das Metaversum

Beflügeln könnte die generative künstliche Intelligenz möglicherweise auch eine andere schon länger erwartete Tech-Revolution: das Metaversum. „KI-Anwendungen werden perspektivisch das Leben im Metaversum und den dort aufzufindenden digitalen Content prägen“, erwartet Dr. Guido Zimmermann. Zuvor müsse allerdings eine einheitliche Definition für Metaversum gefunden werden. LBBW Research definiert es als ein immer verfügbares mobiles Internet zur sozialen Interaktion in 3D. Der Weg dorthin dürfte jedoch noch Jahre dauern, denn bislang gebe es nur wenige nicht miteinander vernetzte digitale Galaxien. „Bis daraus ein Metaversum wird, sind nutzerfreundliche KI-Anwendungen wie ChatGPT die eigentliche und wahre Tech-Revolution unserer Zeit“, betont LBBW Research Experte Zimmermann.