08.04.2022

1 Million Geflüchtete aus der Ukraine beenden nicht den Fachkräftemangel

Pressemitteilung | Studie

Die Bundesrepublik hat gute Chancen, die Herausforderungen der aktuellen Geflüchtetenkrise zu bewältigen und sogar zu ihrem Vorteil zu nutzen. Nach Ansicht des LBBW Research stellt sich dieses Mal nicht die Frage „Schaffen wir das?“, die 2015 bei der bislang letzten vergleichbaren Krise die Schlagzeilen beherrschte. „Schaffen wir diese Flüchtlingskrise? Ja. Zum einen, weil der Bildungsstand der Geflüchteten relativ hoch ist, zum anderen, weil Deutschland inzwischen eine gewisse Erfahrung bei der Inte¬gration hat. Wir müssen es schaffen – es geht auch gar nicht anders“, urteilt Analyst Guido Zimmermann in einer Studie.

Die Flucht von Millionen von Ukrainern vor russischen Angriffen sorgt in Europa für die größte Fluchtbewegung seit 1945. Noch sei zwar unklar, welchen Beitrag Deutschland dabei leisten müsse. „Die Aufnahme 1 Million Kriegsgeflüchteter ist aber nicht unrealistisch“, sagt Zimmermann. Diese Zahl könnte steigen, je länger die russischen Angriffe auf die Ukraine andauerten. Er verweist auf Schätzungen, wonach bei einer Gesamtzahl von zehn Millionen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern etwa 1,2 Millionen davon nach Deutschland kommen könnten. Nach Ansicht des ifo Instituts wird Deutschland nach Polen, Italien und Tschechien möglicherweise das viertwichtigste Fluchtziel werden.

Geflüchtete: Gut 90 Prozent mit Abitur oder Uni-Abschluss

In seiner Analyse sieht Zimmermann gleich mehrere Unterschiede zur europäischen Flüchtlings- und Migrationskrise v on 2015 und 2016, als jeweils mehr als 1 Million Flüchtlinge in die EU einreisten, die Mehrheit davon aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Damals kamen zu 70 Prozent junge Männer nach Deutschland, während es aktuell fast nur Frauen (mit Kindern und Jugendlichen) und Alte sind. Für Männer zwischen 18 und 60 besteht in der Ukraine ein Ausreiseverbot. Laut einer Umfrage des Bundesinnenministeriums haben zudem gut 90 Prozent der Neuankömmlinge Abitur oder einen Studienabschluss. Dem gegenüber sorgt ein teilweise geringes Bildungsniveau der außereuropäischen Flüchtlinge und Migranten der Jahre 2015 und 2016 auch sieben Jahre später noch für relativ niedrige Beschäftigungsquoten und hohen Abhängigkeiten von Transfer-leistungen . Wobei auch deren Integration bereits besser gelaufen ist als bei Flüchtlingsgruppen zuvor, betont der Analyst.

„Die Hoffnung, die Geflüchteten könnten den Fachkräftemangel beseitigen, hat sich damals nicht erfüllt“, sagt Zimmermann. Es sollte deshalb auch nicht darauf gebaut werden, mit Hilfe der Geflüchteten aus der Ukraine den Mangel an Fachkräften zu beheben. So ist es beispielsweise noch viel zu früh für eine belastbare Schätzung, ob und wie lange die Geflüchteten in Deutschland bleiben werden, bevor sie in die teils verwüsteten Städte und Gemeinden zurückkehrten. „1 Million Geflüchtete aus der Ukraine beenden nicht den Fachkräftemangel, könnten ihn aber lindern.“

Im Moment stehen humanitäre Fragen wie Sicherheit, Unterbringung, Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt die Familienzusammenführung im Vordergrund. Danach aber gelte es, die Fehler der Migrationskrise 2015 zu vermeiden, fordert Zimmermann in seiner Studie.

Gelungene Integration steigert BIP um 0,5 Prozentpunkte

Dazu gehört die Registrierung aller Geflüchteten und Migranten, um den Überblick zu behalten. Die schnelle Schaffung von Bildungs- und Betreuungsangeboten für Kinder und Deutsch-kursen für Erwachsene. Der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse mit einer raschen Beratung beim Arbeitsamt und einer zeitnahen Anerkennung der Bildungsabschlüsse erleichtert werden. Ebenso sollte auf eine Wohnsitzauflage verzichtet werden, die die Mobilität bei der Arbeitsplatzsuche einschränkt.

Gelänge die Integration entsprechend, zahle sich dies auch volkswirtschaftlich aus, da Deutschland unter der demo-graphischen Alterung schon jetzt leidet, urteilt Analyst Guido Zimmermann. „Sollten erneut 1 Million Geflüchtete kommen, so ist unter Umständen ein zusätzlicher BIP-Wachstumsimpuls von 0,5 Prozent möglich. Der Effekt hängt dabei entscheidend von der Arbeitsmarktintegration und den Bildungserfolgen ab. Das dürfte bei den Ukrainern unseres Erachtens besser laufen als bei den Migranten des Jahres 2015.“