„Das würden wir nicht verkraften“

Die Zahl der Corona-Fälle steigt wieder. LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert erklärt, warum ein zweiter Lockdown in Deutschland katastrophale Schäden verursachen würde.

Uwe Burkert

LBBW Hauspost: Herr Burkert, die Neuinfektionszahlen sind zuletzt wieder stark angestiegen. Die Sorgen vor einem zweiten Stillstand sind groß. Teilen Sie die Ängste?

Uwe Burkert: Wir haben die Pandemie noch nicht im Griff. Soviel ist klar angesichts der weltweit wieder steigenden Neuinfektionszahlen. Neuseeland zum Beispiel hat jüngst wieder einen Lockdown verhängt. In vielen anderen Staaten wird wieder sehr offensiv über Grenzschließungen und Quarantäne nachgedacht. Indien musste zuletzt beinahe täglich Rekordzahlen von 90.000 Neuinfektionen melden. Auch in Deutschland herrscht Sorge vor den Herbst- und Wintermonaten.

LBBW Hauspost: Was würde ein zweiter Stillstand bedeuten, welche Folgen hätte er für die Wirtschaft?

Burkert: In unserem Worst-Case-Szenario aus der Sommer-Konjunkturprognose haben wir das durchgerechnet. Bei einem zweiten Lockdown würde die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um wahrscheinlich 10 bis 12 Prozent schrumpfen. Vor allem aber würde dann der sonst erwartete Schwung im vierten Quartal ausbleiben – und damit auch das kommende Jahr nicht in einem Aufholprozess münden.

LBBW Hauspost: Das hört sich so an, als ob ein zweiter Lockdown die Wirtschaft komplett abwürgen würde …

Burkert: Viele Branchen, die schon durch den ersten Stillstand stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, werden eine solche zweite Phase kaum überleben: also das Hotel- und Gaststättengewerbe, viele Freiberufler und Selbstständige. Hinzu käme die Gefahr, dass internationale Zulieferketten vollends zusammenbrechen würden. Vor allem aber wäre das Vertrauen der Marktteilnehmer stark erschüttert. Und das ist und bleibt die halbe Miete für die Wirtschaftspsychologie. Einfach gesagt: Das würden wir nicht verkraften.

LBBW Hauspost: Der Staat müsste nochmals Hilfspakete schnüren?

Burkert: Darauf liefe es hinaus. Wahrscheinlich in noch größerem Umfang als im Sommer dieses Jahres. Denn ein zweiter Stillstand würde auch den Arbeitsmarkt deutlich mehr treffen.

LBBW Hauspost: Schon jetzt muss ja nachgebessert werden. Erst die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate, dann die Einmalzahlung von Kindergeld?

Burkert: Was wir erleben, ist eine nie zuvor dagewesene globale Krise. Da gibt es dann eben auch keine Patentrezepte. Wir müssen aber aufpassen, dass wir mit den Hilfen und Krediten nicht Strukturen manifestieren, die auch ohne diese Wirtschaftskrise eigentlich keine Chance hatten, zu überleben. Da wirkt Covid-19 jetzt wie ein Brennglas.

LBBW Hauspost: Wie real sehen Sie die Gefahr eines zweiten Lockdowns?

Burkert: Die steigenden Neuinfektionszahlen sind ja nur ein Indiz. Der erste Lockdown war der unmittelbaren Krise im Frühsommer geschuldet. Es ging um ein schnelles Strecken der Infektionskurve, weil wir nur eine begrenzte Anzahl von Krankenhausbetten und Intensivplätzen zur Verfügung haben. Zudem haben wir die Kapazitäten in den Krankenhäusern massiv erhöht. Ich schätze daher die reale Gefahr eines zweiten Lockdowns als nicht sehr hoch ein.

LBBW Hauspost: Auch weil wir die Risiken für die Wirtschaft mittlerweile besser einschätzen können?

Burkert: Genau. Wir befanden uns im Frühjahr im totalen Ausnahmezustand. Eine pandemische Krise unbekannten Ausmaßes. Die Bundesregierung hatte nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie man so sagt. Heutzutage können und würden wir viel flexibler reagieren. Wir haben gelernt: Ein zweites komplettes Dichtmachen wäre Gift.