Nachhaltig wirtschaften? Das dauert noch Jahrzehnte.

In der LBBW-Studie zum klimabezogenen Umbau der europäischen Unternehmen kommen die Analystinnen zu einer bitteren Erkenntnis: Es wird noch ganz schön lange dauern.

Mitarbeiterin im Schutzanzug läuft durch Chemielabor

Mit Green Deal und EU-Taxonomie gilt seit Jahresbeginn auch für die Banken und ihre Kreditbücher das neue Nachhaltigkeits- oder Dekarbonisierungs-Regime. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen hat sich auch die Bundesrepublik entschieden, die Schadstoffemissionen beim Wirtschaften, Arbeiten und Leben deutlich zu senken. Dem Plan zufolge will Deutschland bis 2050 treibhausgasneutral werden. Bis 2030 sollen die deutschen Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Aber schaffen wir das auch?

Nach einer jetzt von LBBW Research vorgelegten umfassenden Studie wird es bis zum Aufbau eines nachhaltigen Wirtschaftssystems noch Jahrzehnte dauern. „Für die Klimaziele zur Verhinderung der dauerhaften Erderwärmung stellen die Unternehmen die Weichen über alle Branchen hinweg“, attestieren die Autorinnen Bettina Deuscher und Alexandra Schadow eigentlich eine gute Note. „Allerdings sind die Branchen völlig unterschiedlich positioniert. Wer glaubt, bereits am Ziel zu sein, könnte durch Regulatorik und technologischen Fortschritt schnell eines Besseren belehrt werden“, so das Urteil der Analystinnen.

Starke Dynamik bei Handelsunternehmen

Besonders erfolgreich sind nach dem Urteil der Analystinnen die Handelskonzerne und Konsumgüterhersteller in der Transformation ihres Geschäftsmodells. Beide zeigen bereits seit Längerem eine starke Dynamik. „In puncto Veränderungsbereitschaft und Wandlungstempo sind die beiden sicher weiter als viele andere Branchen“, urteilt Bettina Deuscher. Der Handel ist bei der CO2-Reduktion deutlich erfolgreicher, als er zum Erreichen der Klimaziele sein müsste. Auch zeigt die Branche mit ihren ambitioniert gesteckten Klimazielen, wie ernst sie den Klimawandel nimmt. Einen möglichen Spitzenplatz verfehlen die Händler gleichwohl, bewegen sie sich bei der Transparenz der Umwelt-Reportings doch nur im Mittelfeld.

Problem in allen Branchen sind die Umwelt-Reportings

Die Konsumgüterbranche ist ebenfalls spürbar im Umbruch begriffen. Bei den Maßnahmen gegen den Klimawandel nimmt sie in der Matrix der Analystinnen mit Abstand eine weit fortgeschrittene Positionierung in der Transformation ein. Ihren CO2-Ausstoß reduzierten die Konsumgüterhersteller in den vergangenen Jahren gleich dreimal so stark, wie es für die Erreichung der Klimaziele bis jetzt schon notwendig gewesen wäre. Bei den anderen Kriterien des Vier-Phasen-Umweltmodells der LBBW belegen sie zumindest die vorderen Plätze. Die verwandte Lebensmittelindustrie treibt den Wandel ebenfalls energisch voran. Die Branche kann auch mit ihren Umwelt-Reportings punkten. Wie die Auswertung zeigt, liegt sie aber bei der Treibhausgasreduzierung ähnlich weit zurück wie die Reisebranche.

Autobranche liegt insgesamt gut im Rennen – bis auf einige

Wie die Lebensmittelbranche steckt auch die Automobilbranche gerade mitten in der Umsetzungsphase. Fast alle Hersteller und Zulieferer verfügen über Konzepte zur strategischen Neuausrichtung in Richtung Elektromobilität und passen ihre Prozesse und Produkte an. Insgesamt arbeite die Autobranche zwar mit Hochdruck, jedoch variiere das Tempo der Unternehmen erheblich.

Wer von den Unternehmen glaubt, bereits am Ziel zu sein, könnte schnell eines Besseren belehrt werden.

Bettina Deuscher und Alexandra Schadow, LBBW Research

Die Branche verbuche bei der Reduktion schädlicher Treibhausgase (THG) gute Fortschritte. „Der Klima-Score der Automobilbranche bewegt sich auf einem ähnlich hohen Niveau wie bei der Telekommunikationsbranche. Aber bei der Transparenz des Umwelt-Reportings schneiden die Unternehmen der Branchen Nahrung, Telekommunikation und Versorger aktuell besser ab“, stellen Schadow und Deuscher fest. Zudem seien viele der Hersteller und Zulieferer bei ihren Selbstverpflichtungen weiter zurückhaltend. Für den sehr hohen Handlungsdruck sorgen in der Branche viel mehr die sich wandelnde Nachfrage der Verbraucher und neue gesetzliche Vorgaben.

Chemiebranche unter Zeitdruck

Auch die Chemiebranche setzt derzeit viel daran, ihr Image als Schmuddelkind loszuwerden. In den vergangenen Jahren ist der Druck auf die Unternehmen durch eine strenger werdende Regulierung sowie die wachsende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gestiegen. Außer umweltschonenderen Produktionsprozessen und der Optimierung des unternehmenseigenen CO2-Fußabdrucks muss die Branche Nachhaltigkeit dabei auch aus der Perspektive ihrer Kunden und die Einflüsse auf nachgelagerte Wertschöpfungsketten berücksichtigen. „Die Uhr tickt und der Weg zu nachhaltigen Produkten und Prozessen ist noch sehr weit“, so das Fazit der Analystinnen. Die bis dato geleisteten CO2-Verringerungen übertreffen zumindest bereits jene der Branchen Bau, Energie und Telekommunikation. Bei den Klimaindikatoren Treibhausgas-Ausstoß, Wasserverbrauch und produzierter Müllmenge ist sie zusammen mit den Versorgern eine der schwächsten Branchen.